SC Freiburg:"Halten Sie dem SC die Treue!"

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Ärgerlicher Samstag: Freiburgs Nico Schlotterbeck (links) und Nicolas Höfler. (Foto: Tom Weller/dpa)

Nach dem 1:4 gegen Union erweckt Freiburg den Eindruck, als wäre die heimische Mannschaft soeben aus der Liga geschieden. Die Europapokal-Qualifikation steht zwar fest, doch die Ansprüche im Breisgau haben sich merklich verändert.

Von Ron Ulrich, Freiburg

Um 17.25 Uhr konnte man im Freiburger Stadion den Eindruck gewinnen, die heimische Mannschaft wäre soeben plötzlich und unerwartet aus der Liga ausgeschieden. Die SC-Spieler standen minutenlang fast regungslos am Mittelkreis, wechselten nur wenige Worte und fassten sich immer wieder an den Kopf. Dann trotteten sie mit einem Plakat umher, auf dem "Danke Fans!" zu lesen war. Begleitend lief der aus Liverpool bekannte Mutmachersong "You'll never walk alone". Und der Stadionsprecher sagte tatsächlich: "Halten Sie dem SC die Treue!"

Der SC Freiburg hatte daheim gegen den 1. FC Union klar mit 1:4 (0:3) verloren, aber damit mitnichten den Klassenverbleib verspielt, sondern eine große Chance auf die Champions League. So haben sich die Ansprüche im Breisgau mittlerweile verändert. Die Teilnahme am Europapokal ist dem SC schließlich weiterhin so sicher wie dem Gegner aus Berlin. Die Unioner sprinteten dementsprechend glücklich zum Gästeblock, sie tanzten und posierten vor den größtenteils im Sonderzug angereisten Fans. Einen Sprint zog dann auch Freiburgs Trainer Christian Streich an, aber nur um wild fuchtelnd seine Spieler Nico Schlotterbeck und Lucas Höler vom TV-Interview wegzuholen. Der Coach verspürte akuten Redebedarf in der Kabine.

"Du kannst nicht gegen Union vier Tore kriegen", sagt Streich

"Wir müssen ein ernstes Wort reden", sagte Streich. "Wir haben schlecht verteidigt. Wie wir die Flanken zulassen, das ist inakzeptabel auf diesem Niveau. Du kannst nicht gegen Union vier Tore kriegen." Für den Trainer musste sich gerade der erste Durchgang angefühlt haben wie die Erfüllung einer Dystopie. Denn in der Pressekonferenz vor der Partie hatte Streich haargenau die Stärken des Gegners benannt: Unions Grischa Prömel beispielsweise jage, so Streich, immer wieder von hinten nach, weil er wisse, die gegnerischen Abwehrspieler "henn a Mordsstress durch die Stürmer". In der elften Minute trafen die Unioner dank der Anstrengungen der beiden Angreifer erst den Pfosten, bevor der nachjagende Prömel den Ball zum 1:0 über die Linie drückte. Weiterhin hatte Streich gewarnt, dass Union klare Abläufe im 3-5-2-System praktiziere und mit ihren "zwei Pfeilen" vorne umschalte.

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Einer dieser schnellen Stürmer, Sheraldo Becker, leitete das erste Tor ein, bereitete das zweite durch Christopher Trimmel (30.) mustergültig vor und schoss das dritte dann eiskalt selbst (41.). "Wir haben gesehen, was möglich ist, wenn jeder gegen den Ball arbeitet", sagte der Mann dieses Spiels, über den sein Trainer Urs Fischer schwärmte: "Sheraldo hat außergewöhnlich gespielt und war fast nicht zu verteidigen."

Union Berlin, gerade einmal drei Jahre Erstligist, wird damit zum zweiten Mal nacheinander in Europa spielen, mindestens in der Conference League. Die "Schlosserjungs aus Köpenick" erinnern immer mehr an die Arbeiter im japanischen Fukuoka, die 2016 eine Kreuzung mit einem 30 Meter langen Straßenkrater innerhalb von einer Woche wieder aufgebaut haben. Das Bautempo der Berliner ist genauso beachtlich wie ihre Arbeitsweise. Sie rührten zwar nicht wie ihre japanischen Kollegen 2000 Lkw-Ladungen Beton an, doch ihre kompakte Defensivleistung kam dieser Leistung auch am Samstag wieder nahe. Die gesamte Mannschaft verengte choreografiert die Räume, staffelte sich tief, Mittelfeldspieler Genki Haraguchi nahm Freiburgs Regisseur Vincenzo Grifo zeitweise in Manndeckung. Die Unioner Vorarbeiter ackerten dann gnadenlos effektiv, der eingewechselte Andras Schäfer schoss das vierte Tor (90.).

Zurückgepfiffenes Tor von Höler erzürnt SC-Coach

Erstaunlich war dabei, dass Freiburg trotz allen Vorwissens genau gegen diesen Plan nicht die richtigen Mittel fand. Die Breisgauer waren bestimmend, doch eben anfällig für das Umschalten des Gegners und zu unkonzentriert in der Defensive. Sie spielten lange Bälle in die Spitze und wollten dann mit fast allen Spielern weit vor für die zweiten Bälle rücken. Auf diese Art erzielten sie immerhin je ein anerkanntes (59.) und ein wegen Handspiels zurückgepfiffenes Tor von Höler (24.). "Der Ball ist am Ärmel, vielleicht schiele ich, aber ich habe nicht gesehen, dass er an der Hand war. Ich verstehe es nicht", sagte der später immer noch erzürnte Streich.

Besänftigung fand der Trainer einerseits durch die Freiburger Fans, die ihre Mannschaft mit dem Gesang "Wir fahren nach Berlin!" aufrichteten. Und am Abend durch ein Buch, das er in diesen Tagen zur Ablenkung liest: "Müll" von Wolf Haas. "Das ist saumäßig lustig", meinte Streich - und konnte nur in diesem einen Moment wieder lächeln.

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