Sami Khedira in der Nationalelf:Harte Worte eines Leisetreters

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"Jetzt war es mal an der Zeit, einige Dinge klarzustellen": Vor dem Türkei-Länderspiel nutzt Mittelfeldspieler Sami Khedira eine Pressekonferenz, um sich ungewohnt heftig gegen seine Kritiker zu wehren. Seine Chance im Länderspiel am Freitag will er deshalb unbedingt nutzen.

Philipp Selldorf, Mainz

Vor dem Aufbruch mit der Nationalmannschaft ins makellos sonnige Istanbul hat sich Sami Khedira noch einiger Wolken entledigt, die sein Leben als Fußballer zuletzt begleitet hatten. Zu diesem Zweck hielt er am Mittwochvormittag in Mainz eine Rede vor Journalisten. Zum Pressetermin kurz vor dem Training auf dem Gelände des FSV Mainz 05 hatten ihn die zuständigen Leute vom DFB nicht überreden müssen, Khedira hatte vielmehr ein dringendes Bedürfnis, sich mit einer Botschaft an die Öffentlichkeit zu wenden.

Ungewohnt forsch: Sami Khedira auf einer DFB-Pressekonferenz in Mainz. (Foto: dapd)

Worum es ihm ging, das hatte das Publikum bereits am Morgen nachlesen können, im Interview mit "Sport Bild" beklagte sich der Mittelfeldspieler von Real Madrid darüber, dass er in Deutschland als Stammspieler der Nationalmannschaft zur Diskussion gestellt worden sei, bloß weil er zuletzt ein paar Partien verpasst hatte. Er fand und findet es aber "respektlos, in meiner Abwesenheit über mich zu diskutieren - das ist unfair gegenüber meiner Leistung der vergangenen Jahre".

Vor dem Pressecorps in Mainz setzte er dann seine Beschwerde fort, es sei "mal an der Zeit, einige Dinge klarzustellen", sagte er: "Ich bin ein sehr kritikfähiger Mensch, aber ich kann nicht akzeptieren, wenn etwas unfair abläuft. Ich war sehr, sehr lange ruhig, aber irgendwann ist auch mal gut."

Seine Zuhörer wunderten sich. Dass Khedira durch eine respektlos diskutierende Öffentlichkeit Unrecht geschehen sein soll, das ist den Vertretern der öffentlichen Meinung gar nicht aufgefallen.

Ist Sami Khedira, 24, also bloß beleidigt wie eine Schönheitskönigin, die zuletzt weniger Komplimente erhalten hat als früher? Auf jeden Fall, das auch. Denn wenn er beklagt, dass über ihn diskutiert worden sei, dann meint er damit paradoxerweise und trotzdem zutreffend, dass eben nicht mehr über ihn diskutiert wurde.

Khedira geriet zunehmend ins Vergessen, weil sich die Komplimente an seinen Stellvertreter Toni Kroos richteten, der in den Spielen gegen Brasilien (3:2) und Österreich (6:2) aufsehenerregende Leistungen bot und zudem vom Bundestrainer mit einem eigens geschaffenen Titel gewürdigt wurde.

Kroos ist jetzt ein staatlich anerkannter "Zwischenspieler" im Mittelfeld, er hat von Löw das Diplom des defensiv wie offensiv versierten Alleskönners erhalten, und in seinem Heimatklub, dem FC Bayern, bewies er zuletzt, dass er die Auszeichnung mit Recht erhalten hat.

So ist es also nicht nur angekratzte Eitelkeit und der Ärger über verlorene Geltung in der Heimat, die Khedira jetzt zur Kampagne in eigener Sache getrieben hat. Letztlich steckt wohl auch die nicht unberechtigte Sorge dahinter, dass seine Bedeutung als Nationalspieler trotz seiner beachtlichen Auftritte bei der Weltmeisterschaft vor einem Jahr und trotz seines erfüllten Engagements beim galaktischen Superklub Real Madrid an Gewicht verloren hat.

Österreichische Nationaltrainer
:"Wir haben uns gut aus der Atmosphäre gezogen"

Als Trainer der österreichischen Nationalelf tritt Marcel Koller nicht nur die Nachfolge von Dietmar Constantini an: Österreich hatte in der Vergangenheit eine ganze Reihe legendärer Teamchefs - von "Schneckerl" Prohaska, dem "weißen Vater" Karel Brückner und "Otto Maximale".

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Dem loyalen Bundestrainer würde es zwar nicht einfallen, Khedira - den er stets hoch geschätzt hat - den nötigen Respekt zu versagen, und selbstverständlich wird er ihm am Freitag beim Spiel in der Türkei den alten Posten neben Bastian Schweinsteiger im defensiven Mittelfeld zuteilen. Aber Löw agiert dabei aus einer angenehm unverbindlichen Position: Erstens muss Kroos krankheitshalber zu Hause bleiben, zweitens ergeben sich die Personaldebatten ohnehin von selbst.

"Große Mannschaften haben einen guten Durchlauf und einen starken Konkurrenzkampf auf allen Positionen", stellte der Bundestrainer in Mainz zufrieden fest. Außer Kroos und Simon Rolfes stehen neuerdings für die variablen Positionen im Mittelfeld die Zwillinge Lars und Sven Bender bereit, auch an Ilkay Gündogan hat Löw Interesse.

Khedira hat in Madrid ein sehr befriedigendes erstes Jahr erlebt, da hat er es halbwegs verkraften können, dass in Deutschland vorwiegend über die Wundertaten seines Nationalteam-Kollegen Mesut Özil berichtet wurde.

Der Eindruck seiner zweiten Saison in Spanien ist geprägt von einer Adduktorenverletzung, die ihn einige Einsätze kostete, und einer gelb-roten Karte im Punktspiel gegen Levante, wofür ihn sein Trainer José Mourinho explizit kritisiert hatte - und plötzlich beginnt Khedira an seinem Image als Wasserträger im weißen Real-Ballett zu leiden.

Er hat offenbar die Sorge, das überlieferte Bild des niederen Arbeiters könnte auf sein Ansehen als Nationalspieler abfärben und seine Chancen mindern. Die Meldungen aus Spanien würden in Deutschland "verfälscht wiedergegeben", findet er. "Real Madrid ist für mich der größte Verein der Welt, und ich habe einen Trainer, der hinter mir steht. Ich bin sehr, sehr glücklich und wenn ich spiele, bringe ich meine Leistung", referierte er.

Für Löw ist es erfreulich, dass er sich in Istanbul davon selbst mal wieder überzeugen kann - Khediras jüngster Einsatz im Nationalteam liegt vier Monate zurück.

© SZ vom 06.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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