1. FC Saarbrücken im DFB-Pokal:"Langsam wird es zur Gewohnheit"

Lesezeit: 3 min

Kai Brünker besorgte dem 1. FC Saarbrücken in der Nachspielzeit das 2:1 gegen Mönchengladbach. (Foto: Andreas Schlichter/Getty)

Unaufhörlicher Regen, eskalierender Jubel: Der 1. FC Saarbrücken schlägt Gladbach und damit den dritten Erstligisten, wieder durch ein Tor in der Nachspielzeit - den dauernden Erfolgen liegt ein kleiner Etikettenschwindel zugrunde.

Von Martin Schneider

Es gibt im Handball oder auch im Basketball eine Art Standardstrategie, um enge Partien zu gewinnen. Wenn der Spielstand Gleichzahl anzeigt und die Spielzeit Richtung Ende tickt, dann sollte man den letzten Angriff im besten Fall so knapp vor der Schlusssirene erfolgreich abschließen, dass dem Gegner danach keine Zeit mehr für einen Gegenschlag bleibt. Der 1. FC Saarbrücken hat diese Strategie nun sehr erfolgreich auf den Fußball übertragen.

Es lief die dritte Minute der Nachspielzeit im Pokalviertelfinale gegen Gladbach, und würde der Reporter Herbert Zimmermann noch leben, dann hätte er wohl wieder gesagt, dass der Regen unaufhörlich herniederprasselte. Der Rasen im Ludwigspark verwandelte sich immer mehr in die Seenlandschaft, die er schon Anfang Februar war, als das Spiel abgesagt werden musste. Und diesmal sah es so aus, als würden sich die Bedingungen gegen den Außenseiter wenden. Immer tiefer sanken die müden Saarbrücker ein, jeder Schritt wurde schwerer, in der zweiten Halbzeit hatten sie das Gebiet um den eigenen Sechzehner kaum noch verlassen, mehr als drei Pässe am Stück selten zustande gebracht, aber tapfer jedes Gladbacher Anrennen abgewehrt.

Ja, und dann kam die Nachspielzeit, ein Ballgewinn, mehr als drei Pässe über die linke Seite, ein Sprint, ein Querpass, ein Tor von Kai Brünker, 2:1, Eskalation, eine Jubeltraube, ein Schlusspfiff - und schon wieder die Sensation, die längst normal geworden ist.

Es war im vierten DFB-Pokalspiel der dritte Siegtreffer für den Drittligisten in der Nachspielzeit. Schon gegen den Karlsruher SC in der ersten Runde traf Brünker in der 91. Minute, gegen die Bayern Marcel Gaus in der 96. und nun wieder Brünker in der 93. Minute. Saarbrücken steht damit zum ersten Mal im Pokalhalbfinale seit ... vier Jahren. Damals brauchte Saarbrücken als Viertligist zweimal das Elfmeterschießen, Torhüter Daniel Batz war der Protagonist. Diesmal haben sie jedes Spiel in der regulären Spielzeit gewonnen und der aktuelle Torhüter Tim Schreiber trat noch nicht groß in Erscheinung. Findige Statistiker merkten noch am Dienstagabend an, dass Saarbrücken nun in dieser Saison mehr Erstligisten geschlagen hat (drei) als die Erstligisten Darmstadt und Mainz im Ligabetrieb (je zwei).

"Langsam wird es zur Gewohnheit, kann man sagen", sagte der Kapitän und gebürtige Saarländer Manuel Zeitz zu den Pokalfähigkeiten seines Vereins, ergänzte aber trotzdem noch pflichtschuldig die Adjektive "surreal" und "unfassbar". Und auch wenn Torjäger Brünker die Emotionen zum Tag lieferte ("könnte heulen") war es doch faszinierend, wie nüchtern die Saarbrücker ihre Partie analysierten. "Ehrlich gesagt haben wir heute überhaupt kein gutes Spiel gemacht", sagte Zeitz. "In der ersten Halbzeit hatten wir Glück, und in der zweiten Halbzeit sind wir eigentlich gar nicht mehr nach vorne gekommen. Bis auf die Nachspielzeit - ein Mal."

Es wird die Gladbacher nicht trösten, dass sie sich im Vergleich zum FC Bayern und vor allem zu Eintracht Frankfurt noch am besten auf die Saarbrücker Spielweise eingestellt hatten. Aber nach der frühen Führung durch Robin Hack kassierten sie sofort den Ausgleich von Amine Naïfi und schafften es danach nicht, den von Zeitz erneut stabil aufgestellten Dreierriegel zu knacken.

"Es war auch für mich nicht vorhersehbar, dass wir noch einen Konter setzen", sagte FCS-Trainer Rüdiger Ziehl später. Er hatte gegen den FC Bayern seine Spieler angewiesen, die Entscheidung in der regulären Spielzeit zu suchen, weil er das Überstehen der Verlängerung als nicht realistisch eingeschätzt hatte. Diesmal, sagte Ziehl, habe er eigentlich nur auf das Elfmeterschießen gehofft. Aber ... tja.

Saarbrücken erfreut sich im DFB-Pokal an der herrlichen Unvorhersehbarkeit des Fußballs

Wer neben Regen, Rasen, höheren Mächten und der herrlichen Unvorhersehbarkeit des Fußballs nach rationalen Erklärungen für die dauernden Pokalsiege des FCS sucht, der landet bei dem Gedanken, dass die Ligazugehörigkeit, die in Klammern ja immer hinter dem Vereinsnamen steht, eigentlich ein kleiner Etikettenschwindel ist. Schon beim Pokalhalbfinale 2020 spielte kein klassischer Viertligist, sondern eine Drittligamannschaft. Und die aktuelle erste Elf könnte sich von der individuellen Qualität her wohl auch in der zweiten Liga behaupten. Von den letzten 18 Pflichtspielen hat der FCS nur eins verloren und die Saarländer kämpfen nur deswegen nicht um den Aufstieg in die zweite Liga, weil sie im Alltag selbst das Problem haben, dass sie im Pokal den Erstligisten bereiten: Sie tun sich schwer damit, tief stehende Abwehrreihen zu knacken.

Nun kommt es im Halbfinale am 2. April zu dem Spiel, auf das im Südwesten jeder Fan und kein Polizist gehofft hat. Das Duell Saarbrücken gegen Kaiserslautern ist eines der vergessenen Derbys in Deutschland, weil beide Teams jahrelang in getrennten Ligen kickten. Die Rivalität, die erwuchs, als beide in den 1950er-Jahren in der Oberliga Südwest zu den besten Teams Deutschlands zählten, ist aber immer noch groß. Das Aufeinandertreffen im DFB-Pokalhalbfinale ist - FC Bayern hin oder her - der Höhepunkt dieser erneut erstaunlichen Saarbrücker Pokalsaison.

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