Australien bei der Rugby-WM:"Das ist die schmerzhafteste Zeit"

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Geste des Respekts: Die Waliser Spieler verabschieden die geschlagenen Australier im Stadion von Lyon. (Foto: Chris Hyde/Getty Images)

Zum ersten Mal ist die stolze Rugby-Nation Australien bei der Weltmeisterschaft in der Vorrunde gescheitert - an Fidschi und Wales. Die Frage ist nun: Was lernt man aus einer 6:40-Niederlage?

Von Thomas Hahn

Es ist nicht einfach, ein Verlierer zu sein, erst recht nicht für den erfolgsverwöhnten Rugby-Trainer Eddie Jones. Trotzdem musste er die Rolle jetzt irgendwie annehmen, denn dieses 6:40 seiner Australier im Vorrundenspiel gegen Wales bei der Rugby-WM in Frankreich war ja nicht irgendeine beliebige Niederlage. Es war ein Manifest der Chancenlosigkeit, ein historischer Anschlag auf den Stolz der Rugby-Nation Australien, die nach einer reichen Turnier-Geschichte mit Titelgewinnen 1991 und 1999 nun so gut wie sicher ihr erstes Vorrunden-Aus erleiden wird. Alle schauten auf ihn, als Eddie Jones nach dem Spiel im OL-Stadion von Lyon zur Pressekonferenz erschien. Schönreden ging nicht, das wusste Jones, ein bisschen Hoffnung sollte trotzdem noch schimmern.

Eddie Jones entschied sich also für einen Auftritt, der Einsicht und Optimismus zugleich ausstrahlte. Er entschuldigte sich, er sagte: "Ich übernehme die volle Verantwortung." Aber er deutete die Schmach auch als hilfreiche Lektion für seine jungen Spieler. "Ohne diese Erfahrung werden sie nicht zu den Spielern heranreifen, die sie sein können", sagte Jones: "Das ist die schmerzhafteste Zeit, verstehen Sie mich nicht falsch, aber es ist auch die beste Zeit zum Lernen für junge Spieler."

Australiens Headcoach Eddie Jones überwacht das Aufwärmen seiner Spieler. (Foto: Laurent Cipriani/AP)

Tatsächlich? Eignet sich eine WM als Lehrveranstaltung? Es stimmt schon, jede Mannschaft bewegt sich im Rhythmus stetiger Generationswechsel. Erfolgsteams welken, zerfallen, werden neu aufgebaut, reifen, glänzen, welken irgendwann wieder, zerfallen und so weiter. In diesem natürlichen Kreislauf des Mannschaftssports müssen renommierte Teamarchitekten Erneuerung und Erfolg irgendwie in Einklang bringen - wie Eddie Jones eben, der gerade ein neues australisches Rugby-Team für die Heim-WM 2027 aufbauen soll. Er hatte Recht, als er am Montagmorgen australischer Zeit in die nationale Ernüchterung hinein sagte, jeder Neuanfang sei ein Prozess. "Und ein Prozess kostet leider Zeit und Schmerz."

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Erfolgserlebnisse sind beim Lernen allerdings auch wichtig, und in dieser Hinsicht läuft gerade viel schief um die sogenannten Wallabies, das Männer-Rugby-Nationalteam des Verbandes Rugby Australia (RA). Erst im Januar feuerte RA den Coach Dave Rennie aus Neuseeland. Nach Australiens Viertelfinal-Aus bei der WM 2019 in Japan hatte Rennie den Job übernommen, eine neue Mannschaft aufzubauen. Aber unter ihm gewann das Team nur 38 Prozent seiner Spiele. Der bewährte Australier Eddie Jones aus Burnie in Tasmanien sollte einen neuen Neuanfang starten. Jones war zwar selbst gerade als Nationalcoach Englands entlassen worden; allerdings nach sieben Jahren im Amt und Erfolgen wie der WM-Finalteilnahme 2019. Außerdem hatte Jones die Australier schon einmal erfolgreich gecoacht; in seine Amtszeit von 2001 bis 2005 fiel Platz zwei bei der Heim-WM 2003.

Tatsächlich reiste der Trainer Eddie Jones mit dem jüngsten aller 20 Teams nach Frankreich

Eddie Jones, 63, stellte ein neues Team zusammen. Vor der WM ließ er einige bekannte Routiniers zu Hause und reiste mit dem jüngsten Kader aller 20 Teilnehmer-Nationen nach Frankreich. Aber die Unerfahrenheit sieht man der Mannschaft an. Sie produziert zu viele Fouls, ihre Leistungen im Spiel sind zu wechselhaft. Gegen die eingespielten Energiebündel-Kollektive der Weltklasse ist das zu wenig. Vor dem Debakel gegen Wales zerbrachen die Wallabies an der Kraft und Entschlossenheit des klug geführten Teams aus Fidschi. Das 15:22 war Australiens erste Niederlage gegen eine Auswahl des Inselstaats seit 69 Jahren. Von den acht Spielen seit Jones' Comeback haben die Australier nur eines gewonnen. "Wir sind den Ansprüchen nicht gerecht geworden", gab Jones zu.

Autsch! Ganz schön eng geht es zu im Spiel zwischen Australien und Wales, außer am Ende beim Ergebnis. (Foto: Gonzalo Fuentes/Reuters)

Es gehe nicht nur um die Wallabies, sagte Eddie Jones in Lyon, "wir müssen am ganzen System des australischen Rugby ansetzen". Die Frage ist allerdings, ob Jones sich der Aufgabe noch lange stellen wird. Aus dem Verband bekam er Rückendeckung, dafür berichtete der Sydney Morning Herald, dass Jones vor der WM mit japanischen Funktionären gesprochen habe. Eddie Jones war von 2012 bis 2015 Japans Nationaltrainer und coachte Japans Team bei der WM 2015 zu einem sensationellen Vorrunden-Sieg über die Rugby-Großmacht Südafrika. Ist Eddie Jones in Gedanken schon beim nächsten Job?

"Ich weiß nicht, wovon du redest, Kumpel", sagte er im bodenständigen Australien-Sprech, als ihn jemand darauf ansprach. Und er wurde sauer, als die Fragerei weiterging. Er drohte sogar, den Raum zu verlassen: "An meinem Engagement für den Job zu zweifeln, ist ein bisschen übertrieben." Allerdings dementierte er den Kontakt mit den Japanern nicht. Es wirkte, als wäre was dran an dem Verdacht, dass Eddie Jones die kriselnden Wallabies bald verlassen könnte.

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