Drei Tore für Manchester United:"Viva Ronaldo"

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Der Stürmer zelebriert den ersten seiner drei Treffer mit seiner speziellen Flugshow und lässt sich von den United-Fans feiern. (Foto: Phil Noble/Reuters)

Cristiano Ronaldo schreibt wieder mal Geschichte: Mit 807 Toren in Pflichtspielen übertrifft der 37-Jährige einen Uraltrekord. Die britische Presse überschlägt sich mit Superlativen - Trainer Ralf Rangnick kann sich in seiner Arbeit bestätigt sehen.

Von Sven Haist, Manchester

Fast ebenso beachtlich wie die drei sehenswerten Tore von Cristiano Ronaldo für Manchester United beim 3:2 (2:1) über Tottenham Hotspur am Samstagabend war die Reaktion seines Trainers Ralf Rangnick auf den Dreierpack. Unmittelbar, nachdem Ronaldo der Siegtreffer in der 81. Spielminute gelungen war und der Portugiese im Jubel der Mitspieler erdrückt zu werden schien, zog Rangnick seine letzte Wechseloption. Um den knappen Vorsprung seiner Elf in der Schlussphase abzusichern, entschied sich Rangnick, mit Victor Lindelöf die Abwehr zu stärken - für Cristiano Ronaldo.

Noch bevor das Spiel fortgesetzt wurde, musste Ronaldo also das Spielfeld im Old Trafford verlassen, unter der kaum enden wollenden Ovation der United-Fans. In der Ehrenloge verneigte sich sogar der kürzlich zurückgetretene Quarterback Tom Brady, der mit seinen sieben Super-Bowl-Titeln im American Football eine vergleichbare Ausnahmestellung einnimmt wie Ronaldo im Fußball. Aber vor allem klatschte ihm Rangnick, vor aller Augen am Spielfeldrand, sekundenlang Beifall für seine Leistung, anschließend umarmte er den Torjäger.

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Mit der Abfolge seiner Handlungen - zuerst dem Befehl zur Ronaldo-Auswechslung und dann dessen Würdigung - machte Rangnick deutlich, dass nur er allein bei United derjenige ist, der aus eigener Überzeugung die Entscheidungen im Sinne des Teamerfolgs trifft, aber trotzdem bereit ist, außergewöhnliche individuelle Darbietungen zu honorieren. Und ganz anders als bei den Jubelarien nach seinen Treffern verzichtete Ronaldo auf dem Weg zur Ersatzbank auf jede Form der Selbstinszenierung.

Anerkennung für eine außergewöhnliche individuelle Leistung im Dienst der Mannschaft: Trainer Ralf Rangnick nimmt Ronaldo unmittelbar nach dessen drittem Treffer vom Feld - und schließt ihn dann in seine Arme. (Foto: Darren Staples/Imago)

Wann immer Ronaldo das Pompöse weglässt - so viel darf man nach knapp zwei Jahrzehnten dieser außergewöhnlichen Profikarriere unterstellen - geht ihm die Szenerie besonders nah. Ringsherum standen die Zuschauer für ihn auf und zückten ihre Mobiltelefone, um festzuhalten, wie ergriffen Ronaldo aufnahm, dass ihn die Fans mit dem anhimmelnden Sprechgesang "Viva Ronaldo" ("Es lebe Ronaldo!") vergötterten. Den Ohrwurm gaben die Leute ungefähr genauso oft zum Besten, wie Ronaldo in seiner Laufbahn ins Tor getroffen hat. Laut dem Weltverband Fifa hat der 37-Jährige nun sagenhafte 807 Pflichtspieltreffer für seine Klubs Sporting Lissabon, Real Madrid, Juventus Turin und Manchester United sowie die portugiesische Nationalmannschaft erzielt - zwei mehr als Josef "Pepi" Bican, der in der Zwischen- und Nachkriegszeit den Mammutrekord von 805 Toren aufstellte.

Nur Teddy Sheringham war bei seinem letzten Dreierpack in der Premier League noch ein paar Tage älter

Auf Instagram teilte Ronaldo zu später Stunde mit, dass United "einmal mehr unter Beweis gestellt" hätte, jedes Team der Welt schlagen zu können. Für den Klub gebe es "keine Grenzen", egal was passiere: "Auf geht's, Red Devils!" Die englische Presse benutzte tags darauf in ihren Schlagzeilen ähnlich überschwängliche Worte für Ronaldo, der nahezu alle Aufmacherseiten im Sport vereinnahmte. Den Ton gab das Massenblatt Sun vor, das ihn in Analogie zu Brady als "MVP" betitelte, als den wertvollsten Spieler. Die Times dichtete, dass Brady auf der Tribüne "vermutlich das Gefühl hatte, in einen Spiegel" zu blicken. Denn das, was ihm vom Platz aus "entgegengestrahlt" habe, sei "ein Abbild sportlicher Übergröße" gewesen.

Durch den 49. Dreierpack seiner Vereinskarriere ist Ronaldo mit 37 Jahren und 35 Tagen der zweitälteste Profi in der Historie der Premier League nach dem Engländer Teddy Sheringham (37 Jahre und 146 Tage), dem drei Treffer in einem Spiel gelangen. Weil er seinen Torreigen (12. Minute/38./81.) in der ersten Spiel-Viertelstunde eröffnete, hat er nun als einziger Profi das Kunststück vollbracht, in jedem der sechs 15-minütigen Spielabschnitte auf mindestens 100 Tore zu kommen. United indes erreichte mit dem 400. Premier-League-Heimsieg ebenfalls unbekanntes Territorium. Mit dem Erfolg wahrt der Klub im Fernduell mit dem FC Arsenal und Tottenham die Chance auf den zur Teilnahme an der Champions League berechtigenden vierten Tabellenplatz. Der Erfolg dürfte dem Rekordmeister Auftrieb geben vor dem Achtelfinal-Rückspiel am Dienstag gegen Atlético Madrid (Hinspiel 1:1).

Rangnick begegnet den gehätschelten United-Stars mit Respekt, ohne unterwürfig zu sein. Das zeigt Wirkung

Auf der Pressekonferenz kleidete Rangnick seine Anerkennung für Ronaldo in entsprechende Worte. Das Spiel sei Ronaldos "beste Performance" in dieser Saison gewesen, lobte Rangnick, weil er eine "positive Energie" versprüht habe und immerzu "ein Teil des Teams" gewesen sei, speziell - hört, hört - in der Defensivarbeit. Die Leistungsexplosion provozierte Rangnick indirekt, indem er Ronaldo zuletzt deutlich in den Senkel stellte für dessen Auftreten und Torausbeute nach nur einem Treffer in zehn Pflichtspielen. Die Kritik gipfelte nach Ronaldos nicht abgesprochenem Trip nach Portugal in der Vorwoche, als sich der Stürmer wegen einer Verletzung am Hüftbeuger kurzfristig fürs Manchester-Derby (1:4) abmeldete. Gerüchten zufolge erwog Rangnick für die Partie, ihn eventuell nicht von Beginn an aufzustellen. Die unliebsame Debatte legte Rangnick, der den Umgang mit Ronaldo als "Herausforderung" bezeichnete, jetzt geschickt zu den Akten: Vielleicht, witzelte der Trainer, könnte es sinnvoll sein, Ronaldo "für den Rest der Saison immer für drei Tage nach Portugal" zu schicken. Denn nach seiner Rückkehr ins Training am Donnerstag habe er "herausragend" gearbeitet - und gegen Tottenham tatsächlich so gespielt, als müsste er sich beweisen.

Ein ähnliches Manöver glückte Rangnick offenkundig mit Marcus Rashford, 24, dem er vor ein paar Tagen klarmachte, den Klub im Sommer "verlassen" zu können, wenn ihm die geringe Spielzeit nicht passe. Nach mitunter selbstgefällig wirkenden Auftritten, die ihn seinen Stammplatz kosteten, nutzte Rashford plötzlich die ihm von Rangnick offerierte Bewährungschance. Anders als der oftmals unterwürfig agierende Vorgänger Ole Gunnar Solskjaer und im Gegensatz zu den eher herablassend auftretenden José Mourinho und Louis Van Gaal scheint Rangnick den lange Zeit gehätschelten United-Spielern auf Augenhöhe zu begegnen - und sie wirkungsvoll anzustacheln. Nur das ständige Auf und Ab im Spiel, das stark mit fehlender Fitness zusammenhängen dürfte, kann auch Rangnick bisher nicht abstellen. Gegen Tottenham verspielte die Mannschaft zwischenzeitlich gleich zwei Mal einen Vorsprung.

Trotzdem kam Manchester United jeweils erfolgreich zurück - dank Cristiano Ronaldo. Lange nach dem Abpfiff kam er noch einmal auf den Platz. Aber nicht, um am Spielfeldrand mit der Presse zu sprechen. Sondern mit Tom Brady.

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