Premier League:Der Preis für die Vormacht im Weltfußball

Premier League: Mittendrin im Chelsea-Chaos: Trainer Thomas Tuchel will sich der besonderen Herausforderung stellen.

Mittendrin im Chelsea-Chaos: Trainer Thomas Tuchel will sich der besonderen Herausforderung stellen.

(Foto: Chris Radburn/Reuters)

Der FC Chelsea bangt nach den Sanktionen gegen Klubeigner Abramowitsch um sein Fortbestehen. Auch die anderen Klubs müssen sich fragen, wie es mit dem ungezügelten Kapitalismus in Englands Fußball weitergehen soll.

Von Sven Haist, London

Der Gewissenskonflikt, wie hoch der Preis für Tore und Triumphe sein darf, war im englischen Fußballbetrieb am Donnerstagabend nicht zu überhören. Beim Ligaspiel zwischen Norwich City und dem FC Chelsea, das erwartungsgemäß 3:1 für Chelsea ausging, forderten sich beide Fanlager lautstark gegenseitig heraus.

Nur Stunden nachdem die Regierung die Beschlagnahmung des Vermögens von Chelsea-Eigentümer Roman Abramowitsch veranlasst hatte, stellten sich die Anhänger des Londoner Klubs vehement hinter den russischen Oligarchen. Sie hofierten den Rohstoffmilliardär mit Sprechgesängen und jubilierten darüber, mithilfe seiner mittlerweile auf ziemlich genau 1,8 Milliarden Euro bezifferten Darlehen "alle" Titel des Klubfußballs gewonnen zu haben ("We have won it all"). Auf die direkte Erwiderung der Norwich-Fans, dass Chelsea infolge des Staatseingriffs nun eher "alles" verloren hätte ("You have lost it all"), kam die Retourkutsche, dass Norwich nach der Saison "absteigen" werde ("You are going down"). Auch das ließen die Sympathisanten des Tabellenletzten nicht auf sich sitzen. Der Konter: "You are going bust". Ihr bei Chelsea werdet dafür pleitegehen!

Anders als die meisten Frotzeleien auf Englands Tribünen, die sonst im Getöse der Premier League untergehen, hallte die Auseinandersetzung zwischen Norwich und Chelsea nach. Fast alle Leitmedien arbeiteten sich tags darauf an den Solidaritätsbekundungen für Abramowitsch ab. Die Times titelte, die Fans hätten im Stile von "PR-Bots für Abramowitsch und Putin" fungiert. Dabei vergöttern die Anhänger ihren Klubbesitzer schon seit 2003 - als der sich damals für 200 Millionen Euro den früheren Mittelklasseklub als Wertanlage schnappte, um ihn danach zu einer Weltmarke zu formen.

Solange man "Trikots und einen Bus" habe, werde man sich der Situation stellen - sagt Thomas Tuchel

In Abramowitschs Schlepptau kauften sich allerhand weitere superreiche Geschäftsleute in den englischen Spitzenfußball ein, mittlerweile sogar ganze Staaten. Außer vereinzelter Kritik - wie etwa nach dem als Sportswashing gebrandmarkten Einstieg des saudischen Staatsfonds im Herbst 2021 bei Newcastle United -, schienen sich Fans, Medien und Politik lange lieber an der weltweiten Attraktivität der Premier League zu erfreuen, die zum Exportschlager des Landes aufstieg.

Doch davon will auf der Insel jetzt plötzlich fast niemand mehr etwas wissen, nachdem die Öffentlichkeit am Donnerstag auf 42 Seiten eine Sanktionsliste der UK-Regierung vorgelegt bekam, laut der 204 Geschäftsleute sowie 65 Firmen für ihre Vetternwirtschaft mit dem kriegsführenden russischen Staat abgestraft werden - durch die Einfrierung ihrer Vermögenswerte.

Premier League: Ein "prominenter Kreml-naher Oligarch", der über seine Nähe zu Putin "materielle Vorteile" erlangt habe: So wird Roman Abramowitsch in einer Sanktionsliste der UK-Regierung beschrieben.

Ein "prominenter Kreml-naher Oligarch", der über seine Nähe zu Putin "materielle Vorteile" erlangt habe: So wird Roman Abramowitsch in einer Sanktionsliste der UK-Regierung beschrieben.

(Foto: BPI/Shutterstock/Imago)

An zweiter Position der Liste steht Abramowitsch, dessen Reisepassnummern sogar herausgegeben wurden. Über ihn heißt es, er sei - was er selbst bestreitet - ein "prominenter Kreml-naher Oligarch", der über seine Nähe zu Putin "materielle Vorteile" erlangt habe und über seine Anteile am Stahlkonzern Evraz an der "Destabilisierung der Ukraine" mitgewirkt haben soll. Der konkrete Verdacht dazu lautet: Beteiligung an der "Lieferung von Stahl ans russische Militär". Außenministerin Liz Truss sagte martialisch, das "Blut des ukrainischen Volkes" hinge "an den Händen" der sanktionierten Personen, darunter Abramowitsch.

Um zu gewährleisten, dass der auch mit einem Handels- und Einreiseverbot belegte Abramowitsch, 55, unter keinen Umständen mehr einen Penny aus dem Königreich erhält, verhängte Großbritannien auch gegen den Chelsea Football Club weitreichende Auflagen. Diese machen den Verein aktuell kaum überlebensfähig.

Aus diesem Grund sollen sofort Gespräche zwischen dem Klub und dem Sportministerium über eine Aufweichung der Maßnahmen stattgefunden haben. Während die Boulevardpresse schon Chelseas künftige Konkurrenzfähigkeit in Frage stellte, betonte Trainer Thomas Tuchel, in London "immer noch glücklich" zu sein. Solange Chelsea "genug Trikots und einen Bus" habe, um zu Spielen zu fahren, werde sich sein Team der Herausforderung stellen. Angesprochen auf das Verhalten der Fans entgegnete Tuchel, deren wohlwollende Rufe für Abramowitsch "nicht gehört" zu haben.

Eigentlich müssten die Eigentumsstrukturen vieler weiterer Klubs auf den Prüfstand geraten

Während offenbar die Bemühungen um einen zeitnahen Verkauf des FC Chelsea, der dessen Fortbestehen garantieren würde, mit einer Sondergenehmigung der Regierung im Hintergrund weitergehen, steht der gesamte Inselfußball nun vor einer unausweichlichen Frage: Wie soll mit den Auswüchsen des bisher ungezügelten Fußball-Kapitalismus künftig umgegangen werden? Die Times schrieb, dass alle im Land darüber nachdenken sollten, wie "dieser schmutzige Profit" einst überhaupt angenommen werden konnte. Denn die bis heute fast uneingeschränkten Besitzverhältnisse bei den Klubs haben die Premier League in Verbindung mit maßlosem Gewinnstreben augenscheinlich in eine Sackgasse manövriert.

Angesichts des komplexen Zusammenwirkens aus sportlichen, politischen und wirtschaftlichen Interessen müssten eigentlich die Eigentumsstrukturen vieler weiterer Klubs auf den Prüfstand geraten. Insbesondere des saudisch geführten, pikanterweise an diesem Sonntag bei Chelsea gastierenden Newcastle United, auch wenn beteuert wird, der Klub stehe nicht unter direkter Kontrolle des autokratischen Saudi-Arabien.

Soeben blieb der Liga angesichts der neuen Weltlage auch nichts anderes übrig, als den teuer ausgehandelten TV-Vertrag mit dem russischen Sender Okko Sport zu stornieren. Ein ähnliches Problem gab es in der Vorwoche mit dem chinesischen Anbieter IQIYI Sports, der selbst die Übertragung des England-Spieltags aussetzte, weil China die Solidaritätsgesten der Klubs mit den Kriegsopfern in der Ukraine nicht gefielen. Schon 2020 geriet die Premier League mit Chinas damaligem Rechteinhaber CCTV aneinander, der nach einer politischen Auseinandersetzung beider Länder die englischen Spitzenspiele auf weniger populäre Kanäle verlegt hatte.

All diese unangenehmen Vorkommnisse deuten an, dass den Klubs in England gerade der Preis für ihre aktuelle Vormachtstellung im Weltfußball vor Augen geführt wird.

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