Ganz ohne Drama ging es am Ende nicht. Im Gegenteil: Cristiano Ronaldo, 38, durchlitt sogar noch Höllenqualen, denn viel hätte nicht gefehlt, und das vom Berliner Daniel Siebert angeführte Schiedsrichterteam hätte ihm im isländischen Reykjavik die Kirsche auf der Torte verweigert. Die Sekunden, die Ronaldo warten musste, müssen ihm wie Stunden vorgekommen sein, aber dann gab es grünes Licht von Videoreferee Bastian Dankert: Kein Abseits, das Tor zu Portugals 1:0-Sieg, erzielt in der 90. Minute, war legal. Ronaldos Gesichtszüge entspannten sich nicht nur, sie waren auf einmal so glatt wie nach einer Botox-Kur. Er breitete die Arme aus, lief zur Eckfahne, machte dort seinen charakteristischen Eiskunstlaufsprung und rief "Siiiiuuuuu!!!!", wie er es seit Jahren immer macht, wenn er ein Tor erzielt. Und sei es ein derart schnöder Abstauber wie am Dienstagabend in Island.
Portugals vierter Sieg im vierten Spiel der EM-Qualifikation war an diesem Abend sekundär, jedenfalls für Ronaldo, der seit kurzem beim FC Al-Nassr in Saudi-Arabien seine Karriere hochdotiert ausklingen lässt. Ronaldo hatte mit diesem Tor "eine Torte mit 200 Kerzen" gekrönt, die "lange nicht auftauen wollte", wie die Zeitung Récord schrieb, eine Anspielung auf das wahrhaft zähe Match. Die 200 Kerzen standen für die 200 Länderspiele, die Ronaldo seit 2003 für sein Heimatland absolviert hat - und die einen einsamen Rekord darstellen. Denn Ronaldo ist der erste Mann der Fußballwelt, der diese Schallmauer nun durchbrochen hat - bei den Frauen gibt's mehr als 40 Spielerinnen mit mehr als 200 Partien, unter ihnen die frühere Deutschland-Stürmerin Birgit Prinz (212 Spiele, 128 Tore). "Mehr kann ich nicht verlangen, es war spekakulär", sagte Ronaldo, der nun 123 Treffer für Portugal erzielt hat, auch das natürlich ein Rekord.
Schon vor Spielbeginn war ihm gehuldigt worden. Die Isländer spendierten Blumen und ausgiebigen Applaus, Portugals Verbandschef übergab dem früheren Spieler von Sporting Lissabon, Manchester United, Real Madrid und Juventus Turin zwei gerahmte Trikots: eine Replik des Jerseys mit der Rückennummer 17, das Ronaldo bei seinem Debüt am 20. August 2003 gegen Kasachstan (1:0) getragen hatte, sowie ein Shirt aus der aktuellen Kollektion mit der Rückennummer 200. Eine Urkunde gab es auch, überreicht von der Firma Guinness, die mächtiges Bier braut und skurrile Rekorde zertifiziert. Wenngleich Ronaldo am Vorabend des Jubiläumsspiels betont hatte, Bestwerte seien für ihn kein Antrieb: "Ich verfolge nicht Rekorde, die Rekorde verfolgen mich", hatte er (wieder mal) gesagt.
Für Titel auf Nationalmannschaftsebene gilt das eher weniger. 2004 beweinte Ronaldo in Lissabon die EM-Finalniederlage gegen die von Otto Rehhagel trainierten Griechen, gegen die Ronaldo im Eröffnungsspiel noch sein erstes Länderspieltor erzielt hatte. 2016 durfte er in Frankreich den EM-Pokal in die Luft stemmen, drei Jahre später die Nations-League-Trophäe. Ein Weltmeister-Titel hingegen blieb ihm bei fünf WM-Teilnahmen zwischen 2006 und 2022 versagt. Schlimmer noch: Im Dezember musste Ronaldo ertragen, wie sein ewiger Rivale um die Krone des Weltfußballers, der Argentinier Lionel Messi, das Finale von Katar gegen Frankreich gewann. Portugal war zuvor nach einem 0:1 im Viertelfinale gegen Marokko ausgeschieden.
Das ändert allerdings kein Jota daran, dass Ronaldo schon jetzt auf eine beeindruckende Karriere zurückblickt. "Reinaldo" nannte ihn Récord, eine Wortschöpfung aus Rei (König) und seinem Namen. Die Zahl 200 stehe "beispielhaft für Mühe, Hingabe und Talent", lobte Portugals neuer Trainer Roberto Martínez, dessen Team in der Qualifikationsgruppe J auf dem besten Wege ist, sich für die EM 2024 in Deutschland zu qualifizieren. Dann immer noch mit Ronaldo? Davon muss ausgegangen werden: "Ich möchte meine Marke ausbauen", sagte er, "und weiterhin alle Portugiesen glücklich machen."