Renato Sanches bei OSC Lille:Ein paar Worte für die Schreihälse

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Renato Sanches (links) konnte sich beim FC Bayern nicht durchsetzen. In Frankreich bei Lille aber schon. (Foto: Denis Charlet/AFP)

Tabellenführer in Frankreich ist überraschend OSC Lille mit dem rasanten Antreiber Renato Sanches. Vor dem Treffen mit seinem Ex-Coach Niko Kovac wird klar, was dem Portugiesen in München gefehlt hat.

Von Jonas Beckenkamp

Für die Idioten auf Korsika hatte Renato Sanches in dieser Woche ein paar Worte parat. Sie waren wohl gewählt und versprachen eine Portion Souveränität gegenüber dem Pöbel. "Wir lachen einfach weiter über euch rassistische Schreihälse", schrieb der Portugiese auf seinem Instagram-Account.

Angesprochen durfte sich eine Handvoll Zaungäste fühlen, die am vergangenen Sonntag beim Pokalspiel zwischen Sanches' Klub OSC Lille und dem Viertligisten Gazélec Ajaccio Dinge wie "Renato, geh' Baumwolle pflücken" ins Stadion geschrien hatten. Herein durften sie pandemiebedingt nicht, weshalb sie sich auf dem Dach eines nahegelegenen Supermarktes versammelt hatten, um von dort Böller und Zeugnisse ihrer Gesinnung abzufeuern.

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Sanches, 23, hatte die Antwort ohnehin schon im Spiel gegeben. Nach seiner Einwechslung leistete er die Vorarbeit zu einem Tor. Das Sechzehntelfinale im Cup gewannen "Les Dogues" (die Doggen, so nennt der Volksmund den Olympique Sporting Club Lille Métropole ) auch dank seiner Mithilfe mit 3:1. Die deutlich größere Herausforderung wartet auf Sanches und seinen Klub ohnehin an diesem Wochenende: Da pilgert Frankreichs Tabellenführer zum Spitzenspiel der Ligue 1 nach Monaco.

Pikanterweise bildet die Partie Erster gegen Vierter für Lilles bekanntesten Fußballer den Rahmen für sein erstes Wiedersehen mit Niko Kovac nach ihrer gemeinsamen Bayern-Zeit. Das Hinspiel (2:1 für Lille) verpasste der Mann mit den Rasta-Zöpfen aufgrund einer Muskelverletzung, doch diesmal steht einem Treffen nichts im Weg. Sanches gegen Kovac, an diesem Duell lässt sich ablesen, welch unterschiedliche Wege der Fußball für seine Protagonisten oftmals bereithält.

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Irgendwie gescheitert sind sie beim FC Bayern bekanntlich beide: Kovac an der Entwicklung einer offensiven Spielidee und am Unwillen der Münchner Profis, mit ihm Außenseiterfußball zu praktizieren. Und Sanches am Erwartungsdruck, der auf ihm als 35-Millionen-Talent und Wunderknaben lastete, an der erdrückenden Konkurrenz im Mittelfeld, an seiner eigenen Fahrigkeit und taktischen Ungeschliffenheit.

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Dass man sich nun in Frankreich wieder begegnet, zeigt aber auch, dass das Nachbarland ein passables Ziel für Bekanntheiten aus der Bundesliga sein kann. Die Ligue 1 als etwas anderer, kleinerer Fußballkosmos - auch Kevin Volland reüssiert bekanntlich in Monaco. Er, wie auch der Defensiv-Trainer Kovac und der Kraftankurbler Sanches passen mit ihrer Art des Fußballs besser in die physisch geprägte französische Liga, in der Tempo mehr zählt als Taktik.

Renato Sanches glänzt ohne Zwänge auf dem Feld wieder mehr mit seinen Instinkten, seinen Läufen und seiner Präsenz. Er ist in Lille nach Stationen in München und Swansea (dort spielte er leihweise 2017/18) endlich in der richtigen Mannschaft gelandet. "Renato ist um einige Erfahrungen reicher, er hat an Reife dazugewonnen und ihm ist jederzeit ein großes Spiel zuzutrauen", sagte sein Trainer Christophe Galtier neulich auf einer Pressekonferenz im Rahmen des Europa-League-Duells mit Ajax. Vergangene Saison durchlebte der Klub ein Abenteuer in der Champions League (kein Sieg in der Gruppenphase), in der Liga wurde man Vierter. Jetzt ist sogar die Meisterschaft drin - wenn es gelingt, Monaco, PSG und Lyon weiter zu distanzieren.

Sanches fungiert dabei als Antreiber aus der Tiefe, er spielt im Grunde so, wie man das von ihm nach seiner starken EM 2016 immer erwartet hatte. Und Galtier setzt zumeist auf ihn, weil er Entscheidendes in Sanches' Biographie verstanden hat. Der Einwanderersohn aus dem Lissaboner Problembezirk Amadora gilt als sensibler, fast schreckhaft schüchterner Typ. Einer wie er braucht Vertrauen - und Fürsorge.

Er fände die Vorhaltungen wegen Sanches' stockender Karriere "übertrieben", sagt Galtier. "Man muss geduldig und nachsichtig mit ihm sein. Ich möchte nicht, dass so viel Druck auf ihm lastet." In München begann er als Teenie, jetzt tritt er gefestigter, abgeklärter auf. Sein Spiel versprüht Klarheit, seine Pässe rollen präzise zum Mann, sein Körper ist abgesehen von einigen Zipperlein in diesem Winter intakt.

Und er hat ein paar Landsleute um sich herum, die ihm ein Heimatgefühl geben und seiner saudade, der Melange aus Fern -und Heimweh, entgegenwirken. Einen Kümmerer wie Lille-Verteidiger José Fonte zum Beispiel, der mit 37 schon alles erlebt hat. Und bis vor kurzem auch Luís Campos, der als Sportdirektor mitverantwortlich für Sanches' Transfer von München nach Lille (für geschätzte 20 Millionen Euro) war.

Doch Campos, den José Mourinho nun gerne als Helfer in Tottenham hätte, musste im vergangenen Dezember als Teil einer kuriosen Volte gehen: Da wurde Lille kurzerhand von Besitzer Gérard Lopez an einen luxemburgischen Investmentfonds verkauft und mit einem neuen Präsidenten namens Olivier Létang versehen.

Am Konzept Lilles, Spieler halbwegs günstig zu holen und dann mit Gewinn weiter zu verkaufen, dürfte das wenig ändern. Für Renato Sanches soll es dem Vernehmen nach bereits Angebote um die 70 Millionen Euro gegeben haben. Fürs erste bleibt er aber in Nordfrankreich. Es gilt ja noch einen Titel zu holen.

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