Renato Sanches beim FC Bayern:Bayerns teurer Schelm mit Herz

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Trainer Niko Kovac lobt Renato Sanches überschwänglich. (Foto: Drew Hallowell/AFP)
  • Unter dem neuen Trainer Niko Kovac startet Renato Sanches seinen zweiten Anlauf beim FC Bayern München.
  • Kovac weiß, dass er im Umgang mit Sanches zeigen kann, dass er der richtige Trainer ist, um den dringend nötigen Umbruch beim FC Bayern voranzutreiben.
  • Beim 3:1 gegen Paris am vergangenen Wochenende erzielte Sanches bereits ein schlitzohriges Freistoßtor.

Von Benedikt Warmbrunn

Renato Sanches war der 18-Jährige, der 35 Millionen Euro plus X gekostet hat; er war derjenige, der das Gewicht der ganzen Welt auf seinen Schultern hatte; er war derjenige, der die Werbebande mit einem Mitspieler verwechselte. Doch bevor er all das war, war Renato Júnior Luz Sanches ein Junge im Einwandererviertel Musgueira in Lissabon, der wahnsinnig gerne Fußball spielte. Sie sagten über ihn, er sei ein coração malandro, ein Schelm mit Herz, manchmal nannten sie ihn auch Bulo da Musgueira.

Eineinhalb Jahrzehnte später versucht Renato Sanches, diesen kleinen Jungen aus Musgueira wieder in sich zu finden.

In Swansea war er ein Junge, der das Gewicht der ganzen Welt auf seinen Schultern hatte

Der FC Bayern reist gerade durch die USA, es gibt Dutzende an Werbeterminen, dazu zwei Spiele, das erste ging 0:2 gegen Juventus Turin verloren, das zweite steht in der Nacht zu Sonntag (1.05 Uhr MESZ) in Miami an, gegen Manchester City. Trainer Niko Kovac arbeitet dennoch akribisch, manche Trainingseinheiten dauern bis zu zweieinhalb Stunden. Und da die WM-Teilnehmer noch in München trainieren, bietet sich auf dieser Reise die Gelegenheit für andere, auf sich aufmerksam zu machen. Zurzeit sind beim FC Bayern daher die Wochen des Renato Sanches.

Der 20 Jahre alte Portugiese durfte schon einmal in München ankommen, vor zwei Jahren. Sanches kam als Europameister, als bester junger Spieler der EM, er kam für eine Ablösesumme, die bei 35 Millionen Euro lag, versehen mit Klauseln, die Sanches bis zu 80 Millionen Euro teuer werden lassen können (er müsste dafür, zum Beispiel, unter die besten Drei bei der Wahl zum Weltfußballer kommen, solche Klauseln). Die Erwartungen an ihn waren so riesig, dass sie kaum zu erfüllen waren.

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Sanches spielte ein unauffälliges Jahr, dann wurde er zu Swansea City verliehen. Dort fiel er auf, als er im November 2017 gegen den FC Chelsea die Werbebande mit einem Mitspieler verwechselte und dieser den Ball zuspielte. Und er fiel auf als einer, über den die Verantwortlichen viel Kritisches sagten. Paul Clement, der ihn aus München kannte und sein erster Trainer in Swansea war, sagte: "Als er kam, war er deutlich zerstörter, als ich gedacht hatte. Er war ein Junge, der das Gewicht der ganzen Welt auf seinen Schultern hatte." Im Sommer war Swansea nicht länger an einer Leihe interessiert.

Auch beim FC Bayern wussten nicht alle, wie sich dieser nun zweimal gescheiterte Sanches durchsetzen sollte. Zwei aber setzten sich für ihn ein. Uli Hoeneß, der Präsident, warb dafür, Sanches noch eine Chance zu geben. Und Niko Kovac, der neue Trainer, wollte unbedingt mit ihm arbeiten. "Ich werde versuchen, ihn zu formen. Er hat Fähigkeiten, die man in der Bundesliga nicht alltäglich sieht", sagte Kovac in seinen ersten Tagen. Nach dem 3:1 gegen Paris am vergangenen Wochenende, bei dem Sanches ein schlitzohriges Freistoßtor erzielte, sagte der Trainer über das Talent, dass dieses "ein wenig aufgetaut" sei. Und er sagte: "Der Fußball ist wie das Leben auch: Man braucht Selbstvertrauen, und das bekommt man nur, indem man die Unterstützung hat. Er wird mit Sicherheit in dieser Saison viele gute Spiele für den FC Bayern machen." Kovac weiß, dass er im Umgang mit Sanches zeigen kann, dass er, Kovac, der richtige Trainer ist, um den dringend nötigen Umbruch beim FC Bayern voranzutreiben.

Vielleicht musste er erst zweimal scheitern, um sich selbst zu hinterfragen

Auch Gerhard Tremmel sagt, er habe selten "ein so großes Talent" gesehen. Tremmel hat Sanches in Swansea beobachtet, der frühere Bundesliga-Torwart arbeitet für die Waliser als Scout. "Er ist ziemlich robust, er hat eine unglaubliche Ballsicherheit, ein sehr gutes Auge, einen guten Abschluss." Das waren Tremmels Eindrücke aus den Trainingseinheiten. In den Spielen sah er einen anderen Sanches. "Gerade am Anfang war zu spüren, dass er Dreh- und Angelpunkt sein wollte. Aber er war nicht locker genug, in der Hektik traf er falsche Entscheidungen. Irgendwann hat er gespürt, dass die Menschen mehr von ihm erwarten. Als dann immer noch nichts funktioniert hat, ist sein Selbstvertrauen endgültig in den Keller gegangen."

Tremmel wundert sich, dass Sanches manchmal alleine gelassen wurde, "nach einem doppelten Kulturschock". München, Wales, zwei Länder, zwei Sprachen, "das ist viel für einen Teenager". Sanches konnte sein Talent auch nicht entfalten, weil ihm niemand die Möglichkeit gab, seine Fähigkeiten auszuprobieren - die Möglichkeit also, aus einem Fehler zu lernen. Nun, glaubt Tremmel, sei Sanches stärker als vor zwei Jahren. "Erst durch diese Erfahrungen fängt ein junger Spieler wie er an, sich zu hinterfragen." Nur so kann Sanches wieder in sich den finden, den er irgendwann verloren hat, den Schelm aus Musgueira.

© SZ vom 28.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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