Remis der DFB-Elf gegen Italien:Ebenbürtig im November

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Ließ Mario Balotelli (links) nicht aus den Augen: Jérôme Boateng. (Foto: Andreas Gebert/dpa)

Das Testspiel zwischen Deutschland und Italien entwickelt sich zum erhofften Prestigeduell zweier ewiger Konkurrenten. Eine ruppige Spielweise und viele Nickligkeiten prägen das 1:1-Unentschieden der beiden WM-Teilnehmer, bei dem sich Marco Reus und Sven Bender am Ende gegenseitig des Siegtreffers berauben.

Sami Khedira blieb liegen, es dauerte eine Weile, bis er aufstand und hinaus humpelte, gestützt von Betreuern. Er hatte sich am Knie verletzt und war nach dem Spiel im Krankenhaus zur Kernspin-Untersuchung, er gehe davon aus, sagte Teammanager Oliver Bierhoff, dass Khedira am Dienstag gegen England "auf keinen Fall dabei ist". Es war keine schöne Szene, wie Khedira im Zweikampf mit Andrea Pirlo einen Schlag auf das Knie bekam, aber eine, die irgendwie zu diesem Spiel passte: Es war ja Khedira, der foulte.

"Ein Spiel voller Nickligkeiten", so beschrieb Thomas Müller dieses hundertste Länderspiel des Bundestrainers Joachim Löw. So kann man es zusammenfassen: Deutschland und Italien traten sich recht unnachgiebig gegenüber und trennten sich in Mailand folgerichtig 1:1.

Stimmen zum Länderspiel
:"Wir hätten locker gewinnen können"

DFB-Kapitän Philipp Lahm ärgert sich über die verpasste Chance auf einen Sieg gegen Italien, Joachim Löw wundert sich nicht über das körperbetonte Spiel und Thomas Müller kritisiert den Schiedsrichter.

Die Reaktionen im Überblick

Die Italiener sind Illusionskünstler, so hat Löw das vor kurzem gesagt, "ein Wolf im Schafspelz", und das war ganz schön gerissen. Joachim Löw hat ja auch schon das ein oder andere mal gezeigt, dass er so etwas kann, täuschen und überraschen, dass er ein Löw im Schafshemd sein kann: Er hat zum Beispiel im Halbfinale der EM 2012 gegen Italien eine Aufstellung gewählt, mit der niemand rechnete. Damals ist das schief gegangen, Deutschland verlor 1:2, danach ging das furchteinflößende Foto des Siegtorschützen Mario Balotelli um die Welt, er sah aus wie ein aufgepumpter Wolf ohne Pelz. Diesmal überraschte Löw wieder mit den Spielern, die er aufbot. Vor allem: wo er sie aufbot.

Dass Philipp Lahm, der beste Rechtsverteidiger der Welt, auch ein hervorragender defensiver Mittelfeldspieler ist, das weiß man bereits dank Pep Guardiola, aber Löw sagte kürzlich, bei ihm sei Lahm vor allem ein Rechtsverteidiger. Gegen Italien spielte Lahm: im defensiven Mittelfeld. An Lahms Position lief der Schalker Benedikt Höwedes auf, hinten links der Hamburger Marcell Jansen statt des Dortmunders Marcel Schmelzer, und vorne, alleine im Sturmzentrum, der Münchner Mario Götze, als sogenannte falsche Neun.

Sechs Münchner standen in der Startelf, kaum überraschend, das Spiel der Nationalmannschaft und das des FC Bayern haben sich ohnehin längst angeglichen. Beide Mannschaften lieben den Ballbesitz, viele Pässe, suchen den Spaß in der Offensive. Beim FC Bayern führt das zu unheimlichem Erfolg, in der Nationalmannschaft ist der Erfolg nur alle zwei Jahre messbar, weshalb ein Urteil noch aussteht; jetzt jedenfalls begann das Spiel nicht mit Pässen der Deutschen, sondern mit dem Trauma aus dem Halbfinale von Warschau. Die Uhr lief 42 Sekunden, als Balotelli Lahm und Hummels aussteigen ließ und zum Schuss ausholte, der Ball aber zischte ausreichend weit an Manuel Neuers Tor vorbei. Nach knapp drei Minuten flog der Ball nach einem Freistoß von Andrea Pirlo noch mal in Richtung Neuer, diesmal über das Tor, und dann stellten auch die Deutschen fest, dass das Spiel angepfiffen worden war. Sie passten sich den Ball zu, hin und her, sie stabilisierten sich. Und gingen in Führung.

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Von Thomas Hummel, Mailand

Es war die erste Offensivaktion, eine platziert in den Strafraum gezogene Ecke von Toni Kroos, die zum 1:0 führte. Mats Hummels, der einzige Dortmunder in der Startaufstellung, sprang höher als Andrea Barzagli und beförderte den Ball per Kopf an den Innenpfosten, von wo er über die Linie sprang. Eine Aktion, ein Tor? Die Effizienz, das sei etwas, das die Deutschen von den Italienern lernen könnten, auch das hatte Löw kürzlich gesagt. Und jetzt: Waren es nicht die in Blau gekleideten Italiener, die durch Effizienz bestachen, sondern die in Weiß gekleideten Deutschen.

Die Kleidung übrigens hatte ja auch einigen Raum in den Vorbesprechungen dieses Länderspiels eingenommen, Deutschland führte gegen Italien erstmals und vorerst wohl auch letztmals die neue Dienstkleidung für die WM in Brasilien vor: weiße Hosen und eine Art rot-roter Pfeil nach unten auf der weißen Brust, nicht jedermanns Sache. Vollständig weiße Trikots nennt man im Fußball Weißes Ballett, und passt das nicht ganz hervorragend zu dieser Ansammlung an Ballkünstlern, zu all den Götzes, Özils, Lahms? Nach 17 Minuten knallte Sami Khedira den Ball mit einem wuchtigen Schuss an den Pfosten.

Die Antwort auf die Ballett-Frage wird, so sieht es nun aus, erst einmal verschoben. Italien brauchte keine Balletttänzer, um Deutschland in Schwierigkeiten zu bringen. Es brauchte nur Ignazio Abate, einen Rechtsverteidiger, der in 162 Pflichtspielen für den AC Mailand ein Tor erzielte.

Nach 28 Minuten geriet ein Pass von Hummels an der Torauslinie zu Kroos zu lang, Abate fing den Pass ab, lief in den Strafraum, bekam ihn nach einem Doppelpass mit Bonucci wieder - und wuchtete den Ball unhaltbar ins Tor. Khedira hatte Bonucci eher geleitet als gestört, auch sonst verhielt sich die deutsche Defensivabteilung recht passiv. Der Ausgleich änderte das Spiel. Die Deutschen hatten auch danach noch viel Ballbesitz. Aber sie hatten Italien jetzt nicht mehr im Griff.

André Schürrle traf in der 32. Minute zwar nochmal die Latte, aber es war vor allem nach dem Seitenwechsel nicht so, dass die Deutschen einem Treffer näher gewesen wären als die Italiener. Bis in der dritten Minute der Nachspielzeit Höwedes plötzlich den Ball gegen den Pfosten setzte - und sich die eingewechselten Sven Bender und Marco Reus beim Nachschuss wenige Meter vor dem leeren Tor gegenseitig behinderten. Danach pfiff der Schiedsrichter ab, 1:1, immerhin: besser als 1:2, nicht wahr? 1:1, ach, "da weiß man nicht, wie man dran ist", sagte Thomas Müller.

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Von Claudio Catuogno und Christof Kneer, Mailand

Und Löw? War "sehr zufrieden mit der sehr guten kämpferischen Leistung". Das weiße Ballett kämpft, wenn das mal keine hilfreiche Erkenntnis ist

© SZ vom 16.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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