Real Madrid gegen Manchester City:Der Unberührbare

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Hielt den 1:0-Sieg im Hinspiel fest: Reals Torhüter Andriy Lunin fängt den Ball vor Leipzigs Lois Openda ab. (Foto: Motivio/Imago)

Andrij Lunin galt lange als überragendes Torwarttalent. Doch erst vor wenigen Wochen schaffte es der Ukrainer, das volle Vertrauen seiner Vorgesetzten bei Real zu erlangen - und aus dem Schatten von Thibaut Courtois herauszutreten.

Von Javier Cáceres, Madrid

In Spaniens Sportpresse werden fußballerische Angelegenheiten üblicherweise mit heiligem Ernst verhandelt, manchmal aber ist sie auch ein Hort der feinen Ironie. "Intocable", gellte am 15. Februar das Sportblatt As auf seiner Titelseite, "unberührbar". Dass das nicht auf einen Angehörigen der gleichnamigen indischen Kaste gemünzt war, konnte man gut daran erkennen, dass die großen gelben Lettern mit einem Foto von einem Mann unterlegt waren, der Torwarthandschuhe trug: Andrij Lunin von Real Madrid. Der ironische Unterton der Zeile wiederum galt der Tatsache, dass es sich zwei Tage zuvor tatsächlich als verboten erwiesen hatte, diesen Keeper zu berühren: Der Leipziger Benjamin Henrichs hatte Lunin sanft am Rücken touchiert, seinem Team wurde deshalb im Hinspiel des Champions-League-Achtelfinales in Leipzig ein Tor aberkannt, das die frühe Führung für RB und - möglicherweise - einen anderen Ausgang dieses K.-o.-Duells bedeutet hätte.

Unberührbar war Lunin nach jenem Spiel in Leipzig aber in ganz anderer Hinsicht: Er war fortan bei Real Madrid aus dem Tor nicht mehr wegzudenken. Und er wird nun auch am Dienstag (21 Uhr) gegen Manchester City im Bernabéu-Stadion im Hinspiel des Champions-League-Viertelfinales das Tor bewachen. "Wir haben einen Torwart entdeckt, der uns Vertrauen gibt", sagte Real-Trainer Carlo Ancelotti wenige Wochen nach dem Spiel in Leipzig.

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In jenen Tagen wurde in Madrid geraunt, dass Lunin in der Kabine in Leipzig von seinen Teamkollegen mit Ovationen bedacht worden war. Der Nationaltorwart der Ukraine hatte den 1:0-Hinspielsieg mit neun Paraden festgehalten. Derlei hätte man in Madrid lange Zeit nicht für möglich gehalten. Im Gegenteil: Lunin sei nach seiner Verpflichtung im Sommer 2018 behandelt worden "wie ein Boxsack", schrieb einmal die Zeitung Marca. Und auch wenn das eine etwas schräge Hyperbel sein dürfte, so ist doch wahr, dass Lunin nie einen leichten Stand hatte, seit er als 19-jähriger Torwart-Rookie in Madrid vorgestellt wurde.

In jenem längst fernen WM-Jahr 2018 durchlebte Real einen größeren Umbruch. Unter anderem, weil Cristiano Ronaldo ging, weil der frühere spanische Nationaltrainer Julen Lopetegui für ein letztlich kurzes Intermezzo das Kommando als Chefcoach übernahm - und weil Lunin nicht die einzige Neuigkeit auf der Torwartposition war. Denn Real verpflichtete seinerzeit auch Thibaut Courtois. Der Belgier trat in Madrid an, um den Costa-Ricaner Keylor Navas vergessen zu machen - und stieg bei Real zum wahrscheinlich besten Torwart der Welt auf. Der bislang letzte Champions-League-Titel des Klubs im Jahr 2022 wäre ohne Courtois undenkbar gewesen. Zumal er dabei der erste Real-Torhüter gewesen war, dem in einem Champions-League-Spiel neun Paraden gelungen waren.

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Vom Leiharbeiter bei Valladolid zur Stammkraft bei Real Madrid

Lunin saß damals hinter Courtois auf der Bank, und das war schon ein Fortschritt gewesen im Vergleich zu den Jahren davor. Da war ihm nichts anderes übrig geblieben, als sich bei Leihstationen um Spielpraxis zu bemühen. Lunin ging in der Saison 2018/19 zu CD Leganés, wo er nur fünfmal spielen durfte (und ebenso viele Tore kassierte). Es folgte eine Anstellung als Leiharbeiter bei Real Valladolid, wo er aber kein einziges Mal auflaufen durfte, sodass er bereits im Januar 2020 in der zweiten Liga bei Real Oviedo landete. In 20 Spielen kassierte er dort 20 Gegentore. Nach seiner Rückkehr nach Madrid spielte Lunin nur sporadisch, unter anderem im Sommer 2020, als Real beim drittklassigen Alcoyano im Pokal in Überzahl 1:2 verlor.

Und so war das Misstrauen groß, als sich im vergangenen Sommer Thibaut Courtois ein Kreuzband riss.

Real Madrid wurde deshalb auf dem Transfermarkt aktiv - und schaffte es, Kepa Arrizabalaga beim FC Chelsea auszuleihen und damit den FC Bayern zu düpieren, der zuvor bei seiner Suche nach einer Vertretung für DFB-Torwart Manuel Neuer mit Kepa handelseinig geworden war. Kepa, heute 29, war einst zum teuersten Torwart der Geschichte geworden, 2018 hatte Chelsea für ihn 80 Millionen Euro Ablöse an Athletic Bilbao überwiesen, sein Name hatte in Spanien einen Klang. Es war daher fast schon zwangsläufig, was zu Beginn der laufenden Saison geschah: Lunin fand sich nach Einsätzen in den ersten beiden Saisonspielen für die Dauer von zehn Spieltagen auf der altbekannten Ersatzbank wieder.

So richtig aber überzeugte auch Kepa nicht, also begann eine Art Wechselspiel, das bis in den Januar anhielt. Danach war auch Trainer Ancelotti davon überzeugt, dass Andrij Lunin aus Krasnohrad, einem ostukrainischen Städtchen mit rund 20 000 Einwohnern, hinreichend Qualität als Torwart hat - und vor allem die mentale Stärke, um bei Real Madrid im Tor zu stehen. Die Statur bringt er jedenfalls mit: Er misst 1,91 Meter, ist damit zwar neun Zentimeter kleiner als Courtois, aber ähnlich gut in der Strafraumbeherrschung.

Lunin galt in Madrid immer schon als etwas verschlossen und introvertiert. Dass er perfekt Spanisch spricht, hat ihm bislang nicht dabei geholfen, das Bild eines kühlen Osteuropäers aufzutauen. Er galt aber immer auch als ernsthafter und disziplinierter Arbeiter, der schon mal gebremst werden muss. Bei Real, schrieb vor geraumer Zeit die Zeitung El País, werde gewitzelt, dass der Torwarttrainer Luis Llopis, 59, von Lunin in Form gehalten werde, nicht umgekehrt. Lunins Vertrag läuft bis 2025, und es heißt längst, dass Real ihn gern vorzeitig verlängern würde. Zumal Lunin bei der EM das Tor der Ukraine hüten soll - und sich dabei für anderweitige Jobs empfehlen könnte.

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