Neuer Coach von ManUnited:Rangnick will sein Lebenswerk abrunden

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Der ewige Entwicklungshelfer des Fußballs präsentiert sich zum Amtsantritt in England geradezu untypisch deutsch: gut gelaunt, ausgeruht und humorvoll - und der Interimstrainer lässt sich eine Hintertür offen.

Von Sven Haist, Manchester

Ralf Rangnick hat es seinem Traum nicht leicht gemacht, in Erfüllung zu gehen. Mehrmals stand er davor, Trainer im englischen Vereinsfußball zu werden, für den er seit seinem Studienaufenthalt auf der Insel vor vier Jahrzehnten eine tiefe Zuneigung empfindet. Jahrelang zogen allerdings entweder potenzielle Arbeitgeber kurz vor Vertragsabschluss zurück oder Rangnick selbst überlegte es sich in letzter Sekunde noch einmal anders. Mit seiner im Sommer gegründeten Beratungsfirma für Fußballklubs fügte er sich dann offenbar endgültig in seine Rolle als ewiger strategischer Vordenker.

Rangnick träumte immer von England

Vielleicht war es aber nur so, dass der dahingehend ziemlich selbstlos agierende Rangnick, der die Karrieren anderer häufig mehr voranzutreiben schien als die eigene, erst alle von ihm entdeckten Spieler und Trainer quasi unterbringen musste, um anschließend guten Gewissens an sich denken zu können. Als er vermutlich selbst nicht mehr daran glaubte, noch mal als Trainer zurückzukehren (schon gar nicht bei einem englischen Spitzenverein), bot ihm Manchester United nach der Entlassung des Norwegers Ole Gunnar Solskjaer vor zwei Wochen eine Interimsstelle bis Saisonende an.

Bislang verwahrte sich Rangnick stets, mitten in einer Saison bei einem Klub einzusteigen, ein wenig aus Eitelkeit, aber auch aus Sorge, seine komplexen Vorstellungen in kurzer Zeit nicht verwirklichen zu können. Aber eine Beschäftigung bei Manchester United, dieser ruhmreichen Weltmarke, konnte selbst Rangnick nicht ausschlagen. In gewisser Weise ist er letztlich zu seinem Glück gezwungen worden.

Ralf Rangnick hat eine neue, ziemlich große Aufgabe in Manchester. (Foto: ODD ANDERSEN/AFP)

Der Inselfußball begrüßt Rangnick standesgemäß mit einem intensiven Match zwischen United und Arsenal

Als hätte ihn die Premier League mit einem Willkommensgruß empfangen wollen, entwickelte sich am Donnerstag vor seinen Augen zwischen Manchester United und dem FC Arsenal (3:2) ein Spiel, das dem von ihm gepriesenen Ursprung des Inselfußballs nahekam: leidenschaftlich, mitreißend und stimmungsvoll. Auf der Ehrentribüne wirkte Rangnick, dessen Arbeitserlaubnis erst am Spieltag eintraf, wodurch sein Einstand an der Seitenlinie für Manchester aufs Heimspiel gegen Crystal Palace an diesem Sonntag (15 Uhr) verschoben wurde, fast wie beseelt: Autogramme hier, Selfies da und immer diese ihm ins Gesicht geschriebene Freude. Nach seinen zahlreichen deutschen Stationen von Ulm bis Leipzig vermittelte er den Eindruck, endlich dort angekommen zu sein, wo er schon immer hinwollte.

Bereits fünf Minuten vor der auf neun Uhr angesetzten Präsentation stellte sich Rangnick, 63, am Freitag mit einem herzlichen "Hello to everybody" als erster deutscher und insgesamt 20. Trainer der United-Historie vor. Noch im ersten Satz feixte er über die "früheste Pressekonferenz" seiner Karriere. "Unmöglich" hätte er das Angebot, versehen mit einer zweijährigen Anschlusstätigkeit als Berater des Vorstands, ablehnen können, sagte er, und geriet sofort ins Schwärmen über die "herausragenden" Qualitäten seiner Spieler und die "absolut einzigartige" Unterstützung der Fans im Old Trafford, dem größten Klubstadion in England.

Sein Ziel sei es, dem Team zu mehr "Stabilität und Spielkontrolle" zu verhelfen, um den "Zufallsfaktor" zu minimieren, der auch die Partie gegen Arsenal bestimmt hatte. In geschliffenem Englisch parierte Rangnick die Gerüchte über eine finanzielle Beteiligung an zukünftigen Transfers ("Nonsens"), ebenso wie den Unfug eines drohenden Konflikts mit Cristiano Ronaldo ("absoluter Vollprofi"), den er in einem früheren Interview angeblich als "zu alt" bezeichnet hatte.

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Man müsse seine Ideen immerzu "an die vorhandenen Spieler" anpassen, stellte Rangnick klar, "nicht umgekehrt". In der halbstündigen Gesprächsrunde präsentierte sich Rangnick ausgesprochen gut gelaunt, ausgeruht und vor allem humorvoll. Ob er nicht im Erfolgsfall gedenke, über die Saison hinaus Trainer bei United zu bleiben? Vielleicht werde er dem Vorstand zu gegebener Zeit "den gleichen Rat" erteilen wie einst der Führung bei RB Leipzig, witzelte Rangnick: nämlich empfehlen, mit ihm zu verlängern. Touché!

Die Fans trauen Rangnick sogar zu, dass er United noch mal in den Titelkampf schleust

Im Vergleich zu seinen Tätigkeiten in Hoffenheim und Leipzig, wo Rangnick als Entwicklungshelfer für Klub und Jungprofis gefragt war, übernimmt er nun einen Kader mit lauter renommierten Spielern, von denen zu erwarten ist, dass sie direkt umsetzen können, was er ihnen vorgibt. Diese Annehmlichkeit dürfte auf ihn einen ganz eigenen Reiz auslösen und speziell Zeit sparen, die er nach Uniteds miesem Saisonstart sowieso nicht mehr hat.

Der Klub liegt zwölf Punkte hinter Tabellenführer Chelsea, aber einige Fans haben aus der Euphorie heraus über seine Verpflichtung schon die Hochrechnung angestellt, dass das Team noch einmal in den Titelkampf eingreifen könnte, wenn es die nun bevorstehenden 13 Ligaduelle mit schlagbaren Gegnern für sich entscheidet. Erst im März wartet in Stadtrivale City der nächste Hochkaräter.

Sofern Rangnick ähnlich transformativen Einfluss aufs Team nehmen kann, wie ihm das seine Landsleute Jürgen Klopp (Liverpool) und Thomas Tuchel (Chelsea) vorgemacht haben, könnte ihm bald ebenfalls jene Wertschätzung zuteilwerden, die ihm für seine Leistungen oftmals (zu Unrecht) verwehrt geblieben war - und sein Lebenswerk als einer der führenden Fußballstrategen seiner Zeit abrunden, dessen Anfänge nach England zurückreichen.

Im Rahmen eines Austauschprogramms mit der Universität Stuttgart lebte Rangnick 1979 für ein Jahr bei einer Gastfamilie nahe Brighton an der Südküste. Dort studierte er Englisch und Sport auf Lehramt und kickte nebenbei beim Dorfklub FC Southwick. Im zweiten Spiel erlitt Rangnick dabei einen dreifachen Rippenbruch samt verletzter Lunge. Ohnehin lag sein Fokus jedoch mehr darauf, möglichst viele Erstligaspiele im eine Zugstunde entfernten London zu verfolgen. Noch heute erinnern sich die damaligen Kollegen an seinen Sachverstand und Weitblick - sowie an seinen Fiat 131 und die Getränkewahl in den Pubs. Einer seiner Mitspieler schilderte mit Erstaunen, Rangnick habe stets "Cola mit Limonade" gemischt, was irgendwann aufgefallen sei, weil das jeweils der "billigste Drink" gewesen sei.

In einem Interview mit der Times scherzte Ralf Rangnick einmal, in seinem früheren Leben wohl "ein Englishman" gewesen zu sein. Dieser englische Traum ist jetzt wahr geworden: Trainer von Manchester United.

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