Radsport:Der Skijäger am Hinterrad

Lesezeit: 4 min

Hat die Skier gegen Pedale getauscht: Florian Lipowitz wird beim Giro d'Italia in deutlich größerer Dimension als bisher in seiner neuen Sportart getestet. (Foto: Imago/SZ-Collage)

Florian Lipowitz ließ sich vom Biathleten zum Radprofi umschulen. Bei der Tour de Romandie verpasste er knapp den Gesamtsieg - und startet beim Giro d'Italia erstmals bei einer großen Rundfahrt. Wird er der neue deutsche Erfolgsfahrer?

Von Korbinian Eisenberger

Ein Rennradtrainer beim Biathlon, das kann passieren, und doch war Dan Lorang kein verirrter Mann, er war ganz bewusst zur Deutschen Meisterschaft der Skijäger gefahren. Er befand sich ja selbst auf Jagdmission, wenngleich ohne Gewehr unterwegs. Lorang war als Talente-Scout mit dem Dienstfahrzeug des Radrennstalls Bora-Hansgrohe angereist, wo Logo und Name gut ersichtlich auf dem Lack zu lesen sind. So trug es sich im Sommer 2019 zu, dass das Auto und sein Fahrer einem Mann am Streckenrand auffielen, dessen Sohn gerade auf Skirollern seine Runden drehte. Und so brachte Lorang in Erfahrung, dass dieser Sohn ganz gerne die Kleinkaliberwaffe gegen eine Radrennmaschine tauschen würde.

Das Kapitel liegt einige Jahre zurück und muss Erwähnung finden, weil der Vater dieses wechselwilligen jungen Mannes dazu beitrug, dass die Geschichte eine entscheidende Wendung fand. Florian Lipowitz aus Ulm, inzwischen 23 Jahre alt, taucht seit einigen Tagen auf den Ergebnislisten der Weltbesten auf. Und zwar der weltbesten Radsportler.

SZ PlusMeinungÜbernahme von Bora-Hansgrohe
:Red Bull und die Revolution im Radsport

Der österreichische Konzern übernimmt das deutsche Radteam Bora-Hansgrohe. Das Team und die Szene dürfen sich auf ein immenses Investment freuen - doch das Projekt birgt ein großes Risiko.

Kommentar von Johannes Aumüller

Bei der Tour de Romandie in der Schweiz, einer knapp einwöchigen Rundfahrt, verpasste er nur um neun Sekunden den Sieg und wurde Gesamtdritter. Sein Entdecker Lorang sagt, Lipowitz habe "das Potenzial, eine einwöchige Rundfahrt zu gewinnen, das hat er jetzt gezeigt." Und so wartet nun der nächster Prüfstein für die Qualität der Umschulung vom Skijäger zum Radfahrer: der Giro d'Italia.

Von Samstag an wird Lipowitz erstmals bei einer der drei "Grands Tours" des Radsportkalenders an den Start gehen. Und eventuell erste Hinweise auf eine Frage liefern, die Radsportdeutschland seit vielen Jahren umtreibt: Wann kommt mal wieder einer, der bei den Highlights um den Sieg mitfahren kann?

Jede Wandlung ist eine Geschichte für sich - und die von Florian Lipowitz insbesondere

Am Samstagmittag werden sich 176 Fahrer im italienischen Venaria Reale auf die erste Etappe nach Turin begeben, unter ihnen acht Athleten des deutschen Teams Bora-Hansgrohe. Zu ihnen zählen der Berchtesgadener Anton Palzer und eben Florian Lipowitz. Sie beide sind die Quereinsteiger der Szene, Biathlet Lipowitz und Teamkollege Palzer, der sich als einer der weltbesten Bergläufer und Skibergsteiger einen Namen machte. "Unser Teamchef Ralf Denk war immer schon offen für Out-of-the-Box denken", erklärt Lorang, Cheftrainer bei Bora-Hansgrohe, bei einem Telefonat 24 Stunden vor dem Start. Kein Zufall ist etwa auch, dass der ehemalige Skispringer Primoz Roglic für Bora-Hansgrohe fährt (wegen mehreren Sturzverletzungen aber nicht beim Giro startet). Dan Lorang selbst stieß einst als Triathlon-Coach zum Team von Ralf Denk. Das Ziel mit den Quereinsteigern aus dem Wintersport? "Dass es einer nach ganz oben schafft".

Lorang warb den jungen Lipowitz nicht einfach so vom Biathlonbetrieb ab, er erkundigte sich seinerzeit bei dessen Trainer. Der Junge sei, sehr zielorientiert, aber im Biathlon, so die Einschätzung, "wird's für ganz oben nicht reichen". Und so luden Lorang und Denk den zielorientierten Mann, der nicht mehr mit dem Gewehr zielen wollte, zu sich ein. Nach einigen Tests kam Lorang zu dem Schluss: "Das könnte einer werden."

Carlos Rodriguez Cano (Mitte) gewann zwar knapp vor ihm die Tour de Romandie - aber Florian Lipowitz (re.) machte auch so auf sich aufmerksam. (Foto: Fabrice Coffrini/AFP)

Jede Wandlung ist eine Geschichte für sich und die von Florian Lipowitz insbesondere. Sie beginnt mit einem Exkurs in die Welt der Anatomie, wo Leistungssportler von roten und weißen Muskelfasern sprechen. Für kurze Sprint-Einsätze eignen sich die weißen Fasern besser, die sogenannten schnell zuckenden Muskelfasern. Sprinter aller Art bevorzugen so eine Ausstattung, etwa auch Biathleten, bei denen die Intervalle zwischen den Schusseinlagen kurz und intensiv sind. Der andere - rote - Muskelfasertyp spricht indes auf solche Reize langsamer an, ermüdet aber sehr viel langsamer und eignet sich so besser für lange Belastungen. Und Lipowitz stellte einst fest, wie er dem Fachmagazin Rennrad vor drei Jahren erzählte: "Meine Muskulatur war noch nie schnellkräftig. Ich habe langsame rote Ausdauer-Muskelfasern." Also: gut für beschwerliche Berg-Etappen - und lange Rundfahrten.

Die Teamleitung wird genau beobachten, wie Lipowitz die drei Wochen Belastung wegsteckt

Bei der Tour de Romandie war das unübersehbar. Während der sogenannten Königs­etappe von Saillon nach Leysin über vier Berge bei einer Steigung von bis zu 13,7 Prozent fuhr er nicht nur vorne mit, sondern lancierte die entscheidende Attacke, wurde Etappenzweiter und eroberte Rang drei im Gesamtklassement. Lediglich taktische Überlegungen bremsten ihn, wenig fehlte am Ende auf Sieger Carlos Rodriguez aus Spanien. Oder wie Coach Lorang es ausdrückt: "Wenn das Rennen ein bisschen anders läuft, vielleicht kann er das Ding sogar gewinnen".

Der Giro d'Italia wird nun ein Test von deutlich größerer Dimension - zumal bei einer Rundfahrt, die aus deutscher Sicht nie groß Anlass zur Hoffnung im Gesamtklassement gab. Der Vorjahres-Neunte Lennard Kämna fällt verletzungsbedingt aus, auf den Siebten aus dem Jahr 2022 Emanuel Buchmann - ein Teamkollege von Lipowitz - verzichtet Bora-Hansgrohe beim Giro. Dafür gibt Maximilian Schachmann sein Comeback - und Lipowitz sein Debüt. Als sogenannter Wasserträger für den Chef?

Dass der slowenische Ausnahmekletterer Tadeij Pogacar in Rom nicht die "Trofeo Senza Fine" in die Höhe stemmt: Unwahrscheinlich. Geraint Thomas, Ben O'Connor, Romain Bardet, Top-Talent Cian Uijtdebroeks oder Lipowitz' Teamkollege Dani Martinez sind eher pro Forma als Konkurrenten zu nennen. Und Lipowitz? Der, sagt Dan Lorang, sei "ein sehr guter Bergfahrer" - und entsprechend sei zu "hoffen, dass er unseren Kapitän Martinez bestmöglich unterstützt". Die Teamleitung werde genau beobachten, wie Lipowitz die drei Wochen Belastung wegsteckt. "Welche Rolle dann der Florian spielt, das wird sein Körper und sein Fitnesszustand entscheiden", sagt Lorang. "Das Team wird ihn da in allem unterstützen. Wir erwarten keine Wunder, aber wir werden auch niemanden anketten und stoppen."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusInterview mit Dopingjäger
:"Genau dasselbe hat man bei Armstrong gesagt"

Der renommierte Dopingjäger Antoine Vayer spricht über seine massiven Zweifel an Tour-de-France-Sieger Tadej Pogacar. Er sagt, was für ihn ein "Mutant" ist - und warum er glaubt, dass 90 Prozent des Pelotons mittlerweile sauber sind.

Interview von Jean-Marie Magro

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: