Probleme bei Verteidiger John Terry:Mr. Chelsea grätscht ins Leere

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Der Unantastbare gerät ins Wanken: Chelsea-Kapitän John Terry macht neuerdings mehr Fehler als sonst und steht wegen Rassismus-Vorwürfen im Fokus von "Scotland Yard". Vor der wichtigen Champions-League-Partie gegen Bayer Leverkusen ist sein Legendenstatus bedroht.

Raphael Honigstein, London

Die Situation war äußerst brenzlig und somit ganz nach John Terrys Geschmack. Gegenspieler Glen Johnson hatte die halbe Abwehr des FC Chelsea ausgespielt, Torwart Petr Cech war auch schon überwunden, aber der sanft getretene Ball musste noch am tapferen Kapitän der Blauen vorbei, der in weiser Vorahnung bis an die Linie zurückgeeilt war.

Ratloses Idol: John Terry hat beim FC Chelsea immer mehr Probleme. (Foto: AFP)

Terry streckte instinktiv sein rechtes Bein aus und warf sich in den Schuss, wie er es seit 13 Jahren hundertfach getan hat, mit all der selbstlosen Vehemenz, die ihm seit 13 Jahren die Verehrung der Chelsea-Fans einbringt.

Er - der Retter - war mal wieder zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Platz. Doch die Aktion geriet trotzdem daneben. Terrys eigenes Momentum hatte ihn schon zu weit in die Tormitte gedrängt, um den Ball noch zu erwischen; er fiel hilflos auf den Boden, als das Leder am Sonntag knapp neben dem Pfosten zum 2:1 für die Gäste vom FC Liverpool einschlug (84.). Terry blieb nach dem Siegtreffer der Reds einige Sekunden rücklings liegen. Er war geschlagen. Wie seine Mannschaft. Schon zum vierten Mal in dieser Saison.

Dreißig, vierzig Meter über seinem Kopf, am Oberrang der Stamford Bridge, hing das bekannte "John Terry: Captain, Leader, Legend"-Banner, das zur Zeit allerdings etwas unwirklich wirkt. Kapitän im Verein und in der englischen Nationalmannschaft ist Terry zwar noch, jedoch nur unter Vorbehalt. Bereits vor dem ersten Ligaspiel hatte Chelseas Trainer-Neuling André Villas-Boas das Ende von Terrys Unantastbarkeit angekündigt; der 34-Jährige Portugiese ist nicht zuletzt von Chelsea-Eigentümer Roman Abramowitsch verpflichtet worden, um dem gefühlten Spielertrainer aus Barking Einhalt zu gebieten.

Unter dem konfliktscheuen Vorgänger Carlo Ancelotti hatte die Macht der Stars in der Kabine ein neues Ausmaß angenommen. Gerade John Terry nahm es sich heraus, in taktischen und personellen Fragen zu intervenieren: "Trainer erlangten ihre Legitimation von ihm, nicht umgekehrt", schrieb dazu der Daily Telegraph.

Auch in der Nationalmannschaft begehrte Terry während der WM 2010 gegen Coach Fabio Capello auf. Der Putschversuch wurde ihm verziehen, Anfang der Saison bekam er sogar die nach einer Liebesaffäre verlorene Binde zurück. Wie lange ihn der Verband noch tragen kann, ist fraglich.

Die Londoner Polizei ermittelt, ob Terry einen schwarzen Gegenspieler von Queens Park Rangers rassistisch beleidigt hat. Alles ein Missverständnis, sagt der Beschuldigte. Er gab zwar zu, gegenüber Anton Ferdinand einen rassistischen, vulgären Ausdruck gebraucht zu haben, allerdings nur in Form einer rhetorischen Frage: "Hey Anton! Glaubst du, dass ich dich eine verdammte schwarze.... genannt habe?"

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Wie glaubhaft diese Erklärung ist, muss Scotland Yard entscheiden; die Causa bedroht Terrys Legendenstatus und erst recht seine Karrierepläne. Am liebsten würde er den Verein ja nach seiner aktiven Laufbahn ganz übernehmen, daraus hat er nie einen Hehl gemacht. Als er im Frühjahr 2007 seinen Vertrag neu verhandelte, wollte er sich eine Option aufs Traineramt garantieren lassen, Chelsea konnte das mit Müh und Not verhindern.

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Als Leader auf dem Platz taugt er derweil auch nicht recht. Die von Villas-Boas verschriebene, riskant hohe Verteidigungslinie, die von Experten als Hauptgrund für Chelseas schwachen Saisonstart ausgemacht wird, mutet beinahe wie ein Komplott gegen Terry an.

Der Innenverteidiger kompensiert nach unzähligen nicht vollständig auskurierten Verletzungen ("ich habe nichts dagegen, später meine Medaillen im Rollstuhl zu zählen") seine immer akuteren Antrittsschwierigkeiten gewöhnlich mit Routine und Stellungsspiel. Aber beides hilft wenig, wenn hinter ihm 50 Meter Grünfläche die gegnerischen Stürmer zu Vorstößen einladen. Selbst in seiner Paradedisziplin, dem Grätschen, erfüllt Terry nicht mehr die Ansprüche.

Statistiker errechneten, dass er 2007/08 eine Erfolgsrate von 93 Prozent aufwies, heute aber nur noch zwei von drei Zweikämpfen am Boden gewinnt. "Terry hat in den letzten acht Spielen so viele Fehler wie in den acht Jahren zuvor zusammen gemacht", sagte der BBC-Experte und frühere Liverpool-Verteidiger Alan Hansen.

Chelsea war, mit anderen Worten, in der Ära Abramowitsch nie anfälliger in der Abwehr. Mit zwölf Punkten Rückstand auf ManCity ist die Meisterschaft fast schon verloren, was Erfolge in der Champions League vor dem Gruppen-spiel gegen Leverkusen noch unerlässlicher macht. Den jungen Villas-Boas stellt die Flut der Gegentore vor ein Dilemma: Entweder muss er sein taktisches Reformprogramm dem Spielermaterial anpassen - oder umgekehrt.

Letztere Variante droht auf einen Showdown mit Terry hinauszulaufen. Dabei könnte der Spieler für sich in Anspruch nehmen, dass die Fans ihn weiter als "Mr. Chelsea" sehen, als Symbolfigur ihres Klubs. In der Tat war der Kampfname selten passender, aber das ist in diesen schattigen Zeiten kein Trost.

© SZ vom 23.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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