Spitzenspiel in der Premier League:Mourinhos cleverer Bluff

Lesezeit: 3 min

Manches ändert sich auch unter José Mourinho (li.) nicht: Harry Kane ist weiterhin der Mann für die Tore bei Tottenham. (Foto: AFP)

Mit klugen Transfers, effektivem Fußball, ein bisschen Understatement und Musterschüler Pierre-Emile Hojbjerg hat José Mourinho Tottenham auf Platz eins geführt. Nun trifft sein Team auf ein angeschlagenes Liverpool.

Von Sven Haist, London

Kürzlich dozierte José Mourinho, der Trainer der Tottenham Hotspur, mit finsterer Miene über den Ausgang der Meisterschaft. In dem ihm eigenen Duktus aus Charme, Arroganz und Coolness gab er zu verstehen, dass Tottenham, der aktuelle Tabellenführer der Premier League, das Titelrennen gar nicht erst aufnehmen werde. Denn sein Verein sei nur ein "Pony" - ein kleines Pferd, das gegen die großen Pferde der Liga sowieso keine Chance habe. Es war schon eine schauspielerische Glanzleistung, wie sich Mourinho dabei jede Gefühlsregung verkniff - die sein Argument direkt als Ente entlarvt hätte.

So blieb allein seine Aussage zurück, und die Zuhörer dürfen jetzt rätseln, wie sie wirklich gemeint war. War das Mourinhos ehrliche Einschätzung? Oder nur ein Ansporn für seine Spieler, sich mehr anzustrengen, um von ihm nicht weiter als Pony eingestuft zu werden? War es eine bewusste Untertreibung, um die Erwartungshaltung zu bremsen? Oder mal wieder bloß eine Nebelkerze zur Irreführung der Konkurrenz?

Man kann sich bei José Mourinho, dem portugiesischen Meister der psychologischen List, nicht mal sicher sein, ob nicht schon Flunkerei dabei war, als er bei seinem Pressesprecher nachfragte, was denn der englische Begriff für "ein kleines Pferd" sei.

Internationaler Fußball
:Kroos führt Real Madrid an Spitzenduo heran

Die Königlichen siegen gegen Bilbao. Chelsea verpasst den Sprung auf Platz eins. Lazio Rom, Bayerns nächster Champions-League-Gegner, spielt nur Remis.

Meldungen im Überblick

Mourinho präsentiert sich auf jedem Foto in einer anderen Rolle

Nicht zu erkennen geben, woran man bei ihm ist, gehört zu Mourinhos Grundprinzipien. Die Unsicherheit schärft - jedenfalls aus seiner Sicht - die Sinne. Auch auf seinem neuen Instagram-Profil scheint er einen Einblick geben zu wollen in diese Art von facettenreichem Wirken. Auf jedem Foto präsentiert er sich in einer anderen Rolle. Er verteilt Lob und Kritik, isst Popcorn im Flugzeug, putzt Schuhe, begleicht eine Wettschuld mit Edelschinken. Die Unberechenbarkeit macht ihn zur ständigen Herausforderung, an der ein Team gleichermaßen wachsen und zerbrechen kann. Den früher eher als sanftmütig bekannten Spurs versucht er auf diese Weise, die eigene Wettkampfhärte zu vermitteln.

Eine seriöse Antwort auf die Frage, ob Tottenham in dieser Saison mehr Pony oder mehr Pferd ist, wird vermutlich der heiß ersehnte Schlagabtausch am Mittwochabend (21 Uhr) mit Meister FC Liverpool liefern. Es ist schon das zwölfte Trainerduell zwischen José Mourinho und Jürgen Klopp. Doch erstmals seit Oktober 2018 schlägt eine Gastmannschaft als Spitzenreiter in Anfield auf; vor dem 13. Spieltag in der Premier League trennen Tottenham und Liverpool lediglich fünf Tore bei je 25 Punkten. Seine Brisanz erhält das Spitzenspiel zusätzlich durch Liverpools 66 Ligaheimspiele ohne Niederlage, welche die einst vom FC Chelsea auf den Weg gebrachte Bestmarke von 86 nicht verlorenen Heimspielen gefährden könnte. Erreicht in den Jahren 2004 bis 2008, unter José Mourinho.

Pierre-Emile Hojbjerg ist Mourinhos Musterschüler

Das Leistungsvermögen seiner Mannschaft hat Mourinho in dieser Frühphase der Saison geschickt unter Verschluss gehalten, indem er sie in Liga, Ligapokal und Europa League nur so hoch springen ließ, wie es fürs Weiterkommen unbedingt notwendig war. Anders als in der erfolgreichen Zeit seines Vorgängers Mauricio Pochettino - mit dem Champions-League-Finale 2019 als Höhepunkt, das allerdings 0:2 gegen Liverpool verloren ging - erweckt Tottenham nach der Übernahme von Mourinho vor einem Jahr nicht mehr den ständigen Eindruck, am Limit zu spielen und mit den Nerven am Ende zu sein.

Derby in Manchester
:Im Schatten früherer Größe

Das 0:0 zwischen ManUnited und City gerät zum Langweiler, nach dem sich alle einen Tick zu gern haben - finden zumindest kritische Klub-Legenden von United.

Von Sven Haist, London

Der überfällige Kehraus im Kader, der unter Pochettino nie stattfand, hat den Londonern zuletzt zu neuem Lebensmut verholfen. In Zusammenarbeit mit Klubchef Daniel Levy, eigentlich einem notorischen Sparfuchs, verstärkte Mourinho die Außenbahnen mit dem flinken Sergio Reguilón (Real Madrid) und dem robusten Matt Doherty (Wolverhampton). In der Offensive haben Spurs-Rückkehrer Gareth Bale (Real Madrid) sowie Carlos Vinícius (Benfica Lissabon) und die feste Verpflichtung des Leihspielers Giovani Lo Celso die Flexibilität erhöht. Stellvertretend für die klugen, im Einzelfall günstigen, mit circa 110 Millionen Euro in Summe aber natürlich doch kostspieligen Transfers steht Mittelfeldboss Pierre-Emile Hojbjerg - ein Musterschüler, der Mourinhos taktische Wünsche quasi von dessen Lippen abliest.

2013, mit erst 17 Jahren, war Hojbjerg der damals jüngste Bundesliga-Debütant des FC Bayern. Beim FC Southampton wurde er später Kapitän. Nun prägt er mit seiner Verlässlichkeit die Spielweise der Spurs. Unter Mourinho hat sich Tottenham zu einer staubtrockenen Männermannschaft entwickelt, die - Pony hin oder her - nur eines im Sinn hat: die in der Meisterschaft seit 1961 und im Pokal seit 2008 anhaltende Dürrephase zu beenden.

Liverpool ist angeschlagen

In dieser Konstellation verwundert es kaum, dass für den hochbegabten, aber flausenhaften Spielmacher Dele Alli derzeit kein Platz in der Startelf ist. Früher galt Alli als kongenialer Partner des Leitwolfs Harry Kane, der sich im Angriff jetzt vorwiegend von Heung-min Son bedienen lässt. Am Wochenende legten sich die beiden beim 1:1 gegen Crystal Palace den zwölften Treffer der Saison gegenseitig auf; nur ein Tor fehlt ihnen noch, um den 25 Jahre währenden Rekord des Duos Alan Shearer und Chris Sutton (Blackburn Rovers) in der Premier League zu egalisieren. Mit 19 Ligatoren haben Kane und Son schon mehr Tore gemeinsam erzielt als alle Spieler von Manchester City zusammen.

Das seit zehn Ligaspielen ungeschlagene Tottenham trifft jetzt auf das angeschlagene Liverpool, das den Ausfall von sechs wichtigen Spielern verkraften muss. Und wenn Mourinhos titelreiche Karriere bisher eines gelehrt hat, dann, wie man den Finger in die Wunde des Gegners legt.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Fußball in Italien
:Vergehen: Gotteslästerung

Bryan Cristante vom AS Rom unterläuft nach einem Eigentor ein unseliger Fluch. Ein Sportrichter sieht sich wegen Blasphemie zum Handeln gezwungen.

Von Oliver Meiler

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: