Manchester United:Eine Hommage an Sir Alex

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Der Verschmähte dreht das Spiel: Scott McTominay ist vom Erlebnis gegen Brentford selbst überwältigt. (Foto: Alex Livesey/Getty Images)

Scott McTominay galt bei Manchester United unter Trainer Erik ten Hag als abgeschrieben. Gegen Brentford dreht er nach seiner Einwechslung mit zwei Treffern in der Nachspielzeit die Partie - wie United einst das Champions-League-Finale gegen die Bayern.

Von Sven Haist, London

Scott McTominay hätte bei seiner Einwechslung für Manchester United gute Gründe gehabt, um auf seinen Trainer Erik ten Hag schlecht zu sprechen zu sein. Zuvor war der Mittelfeldspieler lediglich in fünf von zehn Pflichtspielen zum Einsatz gekommen, nur zwei Mal war er in der Startelf gestanden. Obwohl er zuletzt maßgeblich am Arbeitssieg in Burnley beteiligt war, setzte ihn ten Hag bei den beiden folgenden Niederlagen direkt wieder auf die Bank - angeblich, weil McTominay leicht kränkelte. Ohnehin schien der Trainer ihn im Sommer loswerden zu wollen.

Während der gesamten Transferperiode war McTominay zum Verkauf gestanden. Mehrere Vereine, darunter auch der FC Bayern, beschäftigten sich mit ihm, ohne dass jeweils eine Einigung zustande gekommen wäre. So musste er in Manchester bleiben. Und seine Chance auf regelmäßige Spielpraxis schien zu Saisonbeginn in etwa so hoch zu sein wie die für United, die englische Meisterschaft zu gewinnen. Denn nach seinem Amtsantritt im Sommer 2022 hatte ten Hag zusätzlich zum vorhandenen Personal vier Spieler für McTominays Position verpflichtet: Casemiro und Christian Eriksen im Vorjahr, in diesem Sommer dann Mason Mount - und am sogenannten Deadline Day auch noch Sofyan Amrabat.

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Trotz der Investitionen legte United einen der miesesten Saisonstarts in der Premier-League-Historie überhaupt hin. Der Druck auf den wackelnden Trainer stieg stark an. Und als dem englischen Rekordmeister am Samstag kurz vor Schluss im Premier-League-Match gegen den FC Brentford die dritte Heimpleite in einer Woche drohte, war es nicht mehr auszuschließen, dass sich der Verein während der kommenden zweiwöchigen Ligapause vom Niederländer trennen würde. In seiner Not griff ten Hag bei seiner letzten im Spiel verbliebenen Wechselmöglichkeit in der 87. Minute auf den von ihm verkannten McTominay zurück. Statt sich hängen zu lassen, was wohl viele Fußballer in seiner Situation getan hätten, riss der Schotte das Match für United spektakulär herum - mit zwei Treffern in der dritten und siebten Minute der Nachspielzeit.

Die britische Presse fühlt sich an den Champions-League-Triumph gegen Bayern erinnert

Manchesters - beziehungsweise eher McTominays - 2:1 über Brentford wirkte wie eine Hommage an Alex Ferguson, den Ewigtrainer des Vereins. Der Sir verlor am Donnerstag seine Lady Cathy Ferguson, die im Alter von 84 Jahren starb. Beide lernten sich 1964 in einer Schreibmaschinenfabrik kennen und heirateten zwei Jahre später. Als Zeichen des tiefen Mitgefühls und Respekts setzte United die Fahnen in Old Trafford auf Halbmast und drückte sein Beileid in einem rührenden Statement aus. Spieler und Trainer trugen dazu am Spieltag schwarze Armbinden, die Fans klatschten andächtig Beifall in einer Schweigeminute vor Anpfiff. Aber keine Geste dürfte Ferguson derart nahe gegangen sein wie die Tore seines Landsmanns McTominay. Dessen Doppelschlag weckte Erinnerungen an Fergusons berühmtesten Erfolg: den Champions-League-Sieg 1999, den sich der Verein erstmals unter seiner Führung ebenfalls mit zwei Toren in der Nachspielzeit gegen den FC Bayern gesichert hatte. Entsprechend lautete die Schlagzeile fast aller englischen Zeitungen einfach: "Fergie Time!" Der Begriff steht für die Idee einer generösen Nachspielzeit, die Ferguson mit seinen Mannschaften einst geprägt hatte. So heißt es, die Spieldauer sei immer so lange verlängert worden, bis United am Ende vorne lag.

Nach dem Brentford-Sieg gab es im Stadion fast kein Halten mehr. Die Zeitung Times notierte, dass der Jubelausbruch "viel instinktiver" gewesen sei als sonst. Denn die Freude habe sich aus einem Aufschrei der Erleichterung, angestauter Frustration und der Liebe für den Helden McTominay zusammengesetzt - einem United-Jungen durch und durch, der in Manchester aufgewachsen ist und nie für einen anderen Klub spielte. Das Massenblatt Sun fand, dass United den Erfolg sogar wie 1999 zelebriert habe - aber, hey Lads, dies sei Brentford gewesen, nicht Bayern.

McTominay gebe sein Leben für den Klub, lobt der Trainer nun. Nur warum kommt er dann so selten zum Einsatz?

Bei seinem ersten Treffer kontrollierte der in seiner Ballfertigkeit stark unterschätzte McTominay das Spielgerät im Strafraum nach einer Klärungsaktion artistisch mit dem Fuß auf Kopfhöhe. Dann legte er sich den Ball im Stand mit dem Knie vor und schoss ihn flach ins Eck. Die Virtuosität des Treffers ging jedoch unter, weil er mit dem letzten Angriff des Spiels eine Vorlage seines ebenfalls von ten Hag abservierten und nun in die Startelf zurückbeorderten Mitspielers Harry Maguire per Kopf ins Netz wuchtete. Nach dem Tor rannte McTominay wie befreit durchs Stadion, seine Teamkameraden ihm hinterher. Das Erlebnis beschrieb der 26-Jährige hinterher als eine "außerkörperliche Erfahrung", bei der er so überwältigt und beschwingt wirkte wie im Rausch.

Am Seitenrand ließ selbst der immerzu um Kontrolle bemühte ten Hag seinen Emotionen freien Lauf. Später lobte er seinen vermeintlichen Arbeitsplatzretter angemessen überschwänglich. McTominay sei in allem Manchester United, er gebe sein Leben für den Klub. Wenn ein Spieler eingewechselt werde und so was wie McTominay für sein Team tue, sage dies "sehr viel" über dessen Charakter aus. Nur: Warum kam dieser McTominay dann überhaupt so selten zum Einsatz?

Bisher setzte ten Hag bloß in Krisensituationen, wie jener gerade, auf Pragmatismus. Mit dem dritten Platz der Vorsaison im Rücken wollte er seine Elf zu einer ähnlich spielstarken Mannschaft umbauen, wie ihm das einst in einer komplett anderen Situation bei Ajax Amsterdam gelang. Dafür opferte er mannschaftsdienliche Spieler wie McTominay. Dieses Vorgehen kritisierte nun Uniteds 99er-Torwart Peter Schmeichel scharf. Er, Schmeichel, verstehe nicht, wie Trainer heutzutage agierten. Sie holten Akteure, bei denen man sich frage, warum die eigentlich hier seien. Dabei sei McTominay doch ein "fantastischer Universalspieler", der sogar auf verschiedenen Positionen verwendet werden könne. Vor allem verfügt er über jene Charakterstärke, die Manchester United dringend benötigt.

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