Dieter Hecking ist normalerweise der unglamouröseste Trainer der Fußballwelt, doch nun saß er da: verschwitzt, breit grinsend, auf dem Kopf eine schwarze Basecap mit der Aufschrift "King". Kurz darauf war er nicht nur verschwitzt und glücklich, sondern auch patschnass. Es war Naldos Werk, der halbnackt in den Saal gestürmt war und seinem Trainer, dem "King", einen ordentlichen Humpen Bier übergekippt hatte.
Zuvor hatten sich auf dem Rasen des Olympiastadions Szenen abgespielt, an die man sich ebenfalls erst gewöhnen musste: weil es Wolfsburger waren, die dort feierten. André Schürrle und Vierinha tollten im Lamettaflitter herum, Kapitän Diego Benaglio rannte mit dem Goldpokal in der Hand zu den Fans. Etwas abseits gönnten sich Hecking und Geschäftsführer Klaus Allofs eine lange, innige Umarmung.
Noch nie hatte Hecking im großen Fußball etwas gewonnen
"Wir haben uns bedankt, dass wir zueinander gefunden haben", erzählte Hecking später. Fast alles, was beim VfL in den vergangenen beiden Jahren in die Wege geleitet wurde, fühlte sich plötzlich schrecklich richtig an.
Noch nie hatte Hecking im großen Fußball etwas gewinnen können, dafür hatte er zu viel Zeit bei Klubs wie Nürnberg oder Aachen verbracht. Nun war er Pokalsieger. "Das fühlt sich wahnsinnig bekloppt an", sagte der 50-Jährige. Er war stolz, doch ja: auch ein wenig nachdenklich. Seine Mannschaft hatte ein großes Spiel geliefert, vor etwa 30 000 Wolfsburger Fans, die ihr Team nach Berlin begleitet hatten (mehr als von vielen erwartet). "Wir brauchen nicht mehr darüber zu reden, dass Wolfsburg uninteressant ist", sagte Hecking. Auch aus dieser Ecke rührte seine Zufriedenheit.
Solange in Wolfsburg Fußball gespielt wird, wird sich der Klub mit dem Vorwurf herumschlagen müssen, dass der VfL nur dank des Geldes seines Großsponsors VW konkurrenzfähig ist. Nur ein Plastikklub, der sich sein Team zusammenkauft. Nun lässt sich nach zwei Jahren unter Hecking und Allofs zumindest konstatieren, dass die Wolfsburger gelernt haben, ihr vieles Geld sinnvoll einzusetzen. Das 3:1 gegen Dortmund war das Werk einer hochklassig besetzten Mannschaft, die nach dem frühen Führungstreffer durch Pierre-Emerick Aubameyang (5.) sich kurz schüttelte, dann aber nur 16 Minuten benötigte, um das 0:1 in ein 3:1 zu verwandeln.
Erst traf Luiz Gustavo nach einem Abpraller (22.), dann der wieder einmal herausragende Kevin De Bruyne aus der Distanz (33.), schließlich Bas Dost per Kopf (38.). "Wir haben uns für eine richtig gute Saison belohnt", sagte Benaglio, der Kapitän. Eine richtig gute Saison einer richtig guten Mannschaft, die im Moment des Sieges bewies, dass aus ihr ein echtes Team geworden ist.
Denn schnell waren die Gedanken bei einem, der den großen Moment nicht mehr miterleben konnte. "Wenn uns heute die Kraft ausgeht, haben wir einen zwölften Mann, der uns hilft", hatte Hecking in der Halbzeitpause seinen Spielern gesagt. Die Gedanken waren bei Junior Malanda, dem jungen Belgier, der im Januar bei einem Autounfall nahe Porta Westfalica ums Leben gekommen war.
Die gesamte Rückrunde hatten die VfL-Profis das Gedenken an Malanda hochgehalten. Zuletzt hatte Ivan Perisic ein ganzes Spiel mit Malandas Trikot unter seinem eigenen absolviert. In jeder Partie singen die Fans in der 19. Spielminute den Namen des verstorbenen Belgiers; die 19 war seine Rückennummer gewesen. Nun war Malanda erneut bei ihnen.
"Es ist eine große Wunde und sie ist tief", sagt De Bruyne
"Junior hat mit uns weitergespielt. Es ist eine große Wunde und sie ist tief, aber es ist okay", sagte De Bruyne, der besonders eng mit Malanda war. Ein Freund, der seinen Freund seitdem schrecklich vermisst. Gleich nach seinem Tor hatte der De Bruyne auf das grüne Herz mit der Nummer 19 auf seinem Trikot gedeutet, seinen Blick von dort in den Himmel wandern lassen. "Er hat in dieser Saison noch gespielt und ist auch Pokalsieger", bekräftigte Kapitän Benaglio. Die Wolfsburger feierten kräftig, doch sie vergaßen nicht.
Der 30. Mai 2015 wird nicht nur als der Tag in Erinnerung bleiben, an dem der VfL Wolfsburg seinen ersten Pokalsieg feierte und Dieter Hecking zum "King" wurde. Die Kappe hatte ihm übrigens sein Sohn mitgegeben, für den Fall des Sieges. "Bei fünf Kindern hat immer eines eine dumme Idee", berichtete der Familienvater.
Der Tag wird auch in Erinnerung bleiben, weil sich der VfL Sympathien erspielte, die sich mit bloßer Anti-Kommerz-Rhetorik so schnell nicht wegwischen lassen.