Pippo Inzaghi beim AC Mailand:Vom Prinzen zum Aschenputtel

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Filippo Inzaghi wie man ihn sein ganzes Leben kannte: Jubelnd nach einem seiner zahlreichen Tore. (Foto: AP)

Der einstige Weltklasse-Stürmer Filippo Inzaghi soll den AC Mailand als Trainer zu altem Glanz zurückführen. Doch jenseits der billigen Elogen auf seine Zeit als Schrecken aller Verteidiger erwartet "Superpippo" im Berlusconi-Klub eine Aufgabe, bei der er kaum reüssieren kann.

Von Birgit Schönau, Rom

Mit Niederlagen hält sich ein Siegertyp wie Silvio Berlusconi nicht lange auf. Wozu öffentlich wehklagen, wenn seine Partei Forza Italia bei den Europawahlen das schlechteste Ergebnis seit der Gründung einfährt? Mit solchen Petitessen mussten sich am Montag die Subalternen abgeben, Berlusconi hatte Besseres zu tun. Er rief Filippo Inzaghi an, den Jugendtrainer des AC Mailand.

Inzaghi, 40, weilte in einem Luxusbadeort in der Toskana, als ihn die Stimme seines Herrn erreichte, viel Zeit, die Strandsachen wieder einzupacken, blieb ihm nicht: Berlusconi lud ihn zum Abendessen um 21 Uhr in der Villa San Martino in Arcore bei Mailand. Jener schlossähnlichen Residenz, in der er vor drei Sommern noch ausgelassen Bunga-Bunga-Parties feierte und die er jetzt als verurteilter Steuerbetrüger nur unter richterlichen Auflagen verlassen darf.

Es wurde ein Dinner im kleinsten Kreis. Neben Inzaghi waren Adriano Galliani, 69, und Fedele Confalonieri, 76, geladen, Berlusconis altgediente Statthalter bei Milan und im Fininvest-Konzern, ausgebuffte Verhandlungsführer und treue Vollstrecker. Inzaghi wurde an der Traube von Journalisten vorbei geschmuggelt, die vor dem Portal vergebens auf einen politischen Kommentar des Hausherrn warteten, angeblich hatte er sich auf der Rückbank von Gallianis Limousine ausgestreckt. Das kleine Versteckspiel war eine leichte Übung für einen Mann, der als Fußballer eine ganze Karriere am Limit des Strafraums absolviert hat.

Filippo Inzaghi, genannt "Superpippo", war der Schrecken einer ganzen Generation europäischer Verteidiger. Keiner tänzelte so kunstvoll wie dieser schlaksige Norditaliener aus Piacenza an der Grenze des Abseits entlang, keiner warf sich so theatralisch in den gegnerischen Strafraum, keiner machte soviel Tore: Allein in der Champions League gelangen Superpippo 50 Tore.

Mit Milan gewann er zwei Mal die europäische Königsklasse, mit der Squadra Azzurra erreichte er 2000 das EM-Finale und wurde 2006 in Deutschland Weltmeister. Als er vor zwei Jahren als Spieler aufhörte, übergab ihm Galliani die Jugendmannschaft von Milan. Inzaghi arbeitete wie besessen - und mit Erfolg.

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Schon länger war er für den Posten des Cheftrainers im Gespräch. Dann aber zog sein früherer Mannschaftskollege Clarence Seedorf an ihm vorbei. Berlusconi berief den Holländer Mitte Januar an seinen Hof, damals spielte er in Rio de Janeiro beim Traditionsklub FC Botafogo und besaß noch gar keine Trainerlizenz.

Vier Monate später muss Seedorf gehen. Milan hat nur Platz sieben erreicht und ist von allen europäischen Wettbewerben ausgeschlossen, für Berlusconi ist diese Schlappe fast so schmerzlich wie die Wahlniederlage für Forza Italia - und mindestens so teuer. Nicht nur, dass das schöne Pokal-Geld ausbleibt, auch das Seedorf-Intermezzo kostet ein kleines Vermögen: Der smarte Weltenbummler hat noch zwei Jahre einen Vertrag, mit allem Drum und Dran kostet seine Kündigung Berlusconi zehn Millionen Euro.

Das Triumvirat der alten Herren servierte dem jungen Inzaghi also ein Angebot, das dieser nicht ausschlagen konnte: Neuer Cheftrainer bei Milan zu werden. Als Ausputzer für Seedorf, von den 2,5 Millionen Euro netto, die der Vorgänger als Jahresgehalt kassiert, kann Superpippo aber nur träumen. Nach insgesamt drei Stunden hatte Inzaghi alles geschluckt und verließ Schlag Mitternacht die Villa San Martino. Da hatte Berlusconi aus seinem einst so strahlenden Milan-Prinzen ein Aschenputtel gemacht.

Dem Patriarchen Berlusconi entgleitet das Imperium

Denn jenseits der billigen Elogen, die die Hofgazetten anderntags dem treuen Pippo widmeten, erwartet Inzaghi jetzt ein Spiel, bei dem er kaum gewinnen kann, nur billiger scheitern als seine Vorgänger Massimiliano Allegri und Clarence Seedorf. Der Glanz vergangener Zeiten ist verweht, bei Milan ist der Lack genauso ab wie im Wahlverein Forza Italia, und genau wie in der Partei krankt der Verein an katastrophaler Führungsschwäche. Als Boss fungiert da wie dort der bald 78-Jährige Berlusconi, einst der reichste und mächtigste Mann Italiens, heute ein Greis, der den eigenen Niedergang nicht fassen kann.

Der Klubpatron ist kein freier Mann mehr, er musste seinen Reisepass ebenso abgeben wie den Ehrentitel Ritter der Arbeit, er darf in den nächsten Jahren weder wählen noch gewählt werden und ist bis mindestens zum nächsten Frühjahr verpflichtet, Sozialstunden bei Demenzkranken in einem nahe gelegenen Altenheim abzuleisten. Während Berlusconi sein Imperium entgleitet, streiten seine Kinder um die Anteile.

Die beiden Erstgeborenen Marina und Piersilvio sollen in Firma und Partei den Ton angeben, ihre jüngere Halbschwester Barbara den AC Mailand führen. Doch bislang hat Barbara nicht mehr erreicht als ein Zerwürfnis mit Galliani. Es fehlt an Geld und an Ideen. Kauf-Interessenten aus China und Singapur haben bereits angeklopft, doch vor der Europawahl wollte Silvio Berlusconi sich nicht die Blöße geben, sie offiziell zu empfangen.

Bald wird er es müssen, wenn Milan in der Champions League auf Dauer nicht nur Zuschauer bleiben soll. Wie am Samstag, als ausgerechnet Carlo Ancelotti mit Real Madrid das Finale in Lissabon gewann. Ancelotti hatte zuvor bereits vier Mal den Königspokal gewonnen, je zwei Mal als Spieler und als Trainer, stets mit dem AC Mailand des Presidentissimo Berlusconi.

"Pippo ist jetzt der richtige Mann", sagte Ancelotti am Dienstag. "Er hat den nötigen Enthusiasmus und kennt den Klub." Er selbst, so Ancelotti, wolle in Italien nur noch die Nationalmannschaft trainieren. Und schöne Grüße an Don Silvio in der Villa San Martino.

© SZ vom 28.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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