Philipp Lahm im WM-Viertelfinale:Der Flügel hat wieder Kraft

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Zurück auf seinem alten Stammplatz: Philipp Lahm im WM-Viertelfinale gegen Frankreich. (Foto: Getty Images)

Philipp Lahm ist nicht nur ein exzellenter Fußballer, sondern auch ein vielseitiger. Im WM-Viertelfinale gegen Frankreich nimmt er wieder die Position des rechten Verteidigers ein. Dort agiert er wie ein echter Kapitän.

Von Thomas Hahn

Die Pflichten eines Kapitäns verrichtet Philipp Lahm längst mit der souveränen Routine eines Mannes, der mit seiner Chefrolle eins geworden ist. Er kennt seinen Platz ganz vorne beim Einlaufen, er weiß, wo der Wimpel hängt, den er vor den Länderspielen gegen den seines gegnerischen Kapitän-Kollegen einzutauschen hat. Mit den knappen Gesten des Kenners absolviert Lahm die Platzwahl, textsicher intoniert er die Nationalhymne wie ein echter erster Mann im Fußballstaat - wenn auch nicht mit ganz der Inbrunst, die in den schwarzrotgoldenen Fanblocks zu erleben ist.

Und am Freitag vor der Viertelfinalpartie gegen Frankreich hat Philipp Lahm außerdem noch ohne Versprecher die deutsche Version der Anti-Rassismus-Botschaft verlesen, welche der Weltfußball-Verband Fifa seinem Publikum vorführte. Fußball spielt Philipp Lahm allerdings auch noch, auch gegen Frankreich hat er es nicht bei administrativen Akten belassen können. Im Gegenteil.

Er hat hart arbeiten müssen und dabei zeigen dürfen, dass er nicht nur ein exzellenter Fußballer ist, sondern auch ein vielseitiger. Er hat gegen Frankreich nämlich wieder die Position des rechten Verteidigers eingenommen, die er doch schon fast hinter sich gelassen zu haben schien bei dieser WM.

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Der Bundestrainer Joachim Löw wollte eine neue Abwehr haben, er brauchte Lahm wieder auf der Außenbahn, nachdem das Experiment mit dem Neu-Nationalspieler Shkodran Mustafi als Rechtsverteidiger gegen Algerien erstens nicht funktioniert hatte. Und zweitens wegen Mustafis Muskelverletzung gar nicht mehr möglich war. Philipp Lahm musste also zurück auf seinen alten Stammplatz. Hinaus aus der defensiven Mittelfeldzentrale, dorthin, wo er herkommt: auf die rechte Außenbahn.

Die meiste Zeit seiner Karriere galt Philipp Lahm als einer der besten Außenverteidiger der Welt. Bis zur Fußballrente hätte er beim FC Bayern und in der Nationalelf wahrscheinlich dort draußen auf der Außenbahn zubringen können, mal links, mal rechts, je nach Bedarf. Er verrichtete seine Arbeit dort so zuverlässig, dass die Idee ziemlich abwegig wirkte, ihn ohne akuten Personalmangel irgendwo anders hinzustellen.

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Dann kam der spanische Kreativkopf Pep Guardiola im vergangenen Jahr zum FC Bayern, sah sich seinen Kader an und stellte fest, dass dieser kleingewachsene Feinfuß und Musterzweikämpfer dort draußen auf dem Flügel ein Edelstein im Mosaik seines Tiki-Taka-Konstrukts sein könnte. Seither ist Lahm ein zuverlässiger Mitarbeiter im zentralen defensiven Mittelfeld. Und weil Löw eine Schwäche für schräge Fußballideen hat, besetzte er auch seine Defensiv-Zentrale mit dem versierten Lahm. Lahm selbst spielte, wo man ihn hinstellte, und meistens spielte er gut.

Man könnte manchmal fast vergessen, dass Philipp Lahm nicht nur ein diensthabender Interview-Geber und Mannschaftsprimus ist, sondern auch noch einen Job auf dem Feld zu verrichten hat, der ziemlich wichtig ist für die Statik jeder Mannschaft. Er steht in der ersten Reihe, wenn die Mannschaften die Arena betreten. Aber wenn das Spiel läuft, schlüpft er in die Rolle des Handwerkers, dessen technische Raffinesse nur dann so richtig auffällt, wenn er sie mal nicht wie gewohnt abrufen kann.

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Beim 2:2 im Gruppenspiel gegen Ghana hat sich Philipp Lahm mal ein schlechtes Spiel erlaubt. Schon hob ein Geraune an, das dann aber gleich wieder vergessen war, als Lahm zur Normalform zurückfand. Und nun rückte er also gegen Frankreich zurück auf seinen alten Stammplatz, um das Flügelspiel zu forcieren.

Im Achtelfinale gegen Algerien wirkte Mustafi wie ein Fremdkörper im Gefüge da draußen auf seiner rechten Seite. Mit Lahm hatte der rechte Flügel wieder Kraft. Sachlich erledigte er seine Aufgaben, mit gutem Auge arbeitete er seine Zweikämpfe ab. Manchmal kamen die Franzosen gefährlich über links, manchmal wirkte Philipp Lahm ein bisschen zu sachlich gegen die Offensivdribblings seiner Gegner. Aber er strahlte viel Sicherheit aus.

Er selbst nannte seinen Auftritt "phasenweise gelungen". Er war ein wichtiger Mann für die Deutschen an diesem Tag, und ein guter Kapitän war er sowieso.

© SZ vom 05.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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