Claudia Pechstein bei Olympia:Auf der Ehrenrunde

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Claudia Pechstein wird Letzte, feiert aber trotzdem und macht ein Herz mit ihren Händen nach dem Rennen. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Über 3000 Meter wird Claudia Pechstein in Peking Letzte, stellt aber wieder einen Rekord auf: Als erste Frau hat die 49-Jährige nun an acht Olympischen Spielen teilgenommen. Und kommt "aus dem Strahlen nicht mehr heraus".

Von Barbara Klimke, Peking

Ein kurzer, vergewissernder Blick auf den Monitor: "Noch hab ich ihn!", stellte Claudia Pechstein fest. Dann wandte sie sich der letzten Gruppe der Fragesteller in der Eisarena von Peking zu. Der Wettkampf war noch im vollen Gang, aber Pechstein ahnte bereits, dass sie ihn als Letzte im Klassement abschließen würde; die besten Läuferinnen um die niederländische Europameisterin Irene Schouten waren noch nicht einmal in die Starthocke gegangen. Aber immerhin: Zu diesem Zeitpunkt hielt Claudia Pechstein aus Berlin, 49 Jahre alt, noch den Olympischen Rekord von 3:57,70 Minuten auf dieser 3000-Meter-Strecke, aufgestellt 2002 in Salt Lake City. Wenigstens dieses letzte Viertelstündchen.

Dann war auch das vorbei: Schouten gewann, schoss in 3:56,93 auf die Ziellinie zu, schnappte sich im Vorübergleiten den Olympiasieg samt -rekord. Und Claudia Pechstein, fünfmalige Olympiasiegerin? War auch weiterhin entschlossen, sich ihr persönliches Glücksgefühl zu bewahren.

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"Olympiasieger gibt es so viele, aber Fahnenträger nicht so viele", hatte sie nach ihrem Rennen erklärt. Dass sie am Abend zuvor die deutsche Mannschaft bei der Eröffnungsfeier anführen durfte, war ein Grund, weshalb sie an diesem Samstagnachmittag in Peking vielleicht nicht übers Eis, aber ganz gewiss auf einer Wolke schwebte. Und schon mit dem ersten Schlittschuhschritt im Oval hatte sie weiter Fakten geschaffen: Sie ist nun die erste Frau, die bei acht Olympischen Spielen angetreten ist. Bisher war das nur einem Mann, dem japanischen Skispringer Noriaki Kasai, gelungen. Um die Sache nach Pechsteins Muster noch ein bisschen zuzuspitzen: Fahnenträger gibt es viele, Rekordteilnehmerinnen aber nicht.

Vor dieser Lebensleistung, das wusste sie, rückten alle anderen Zahlen des Tages ins Kleingedruckte, auch der Fakt, dass sie mit ihren 4:17,16 Minuten 20 Sekunden hinter der 20 Jahre jüngeren Schouten blieb, an die sie ihren 20 Jahre alten Olympiastreckenrekord verlor. "Das ist für mich ein Sieg", sagte sie, "ich komme aus dem Strahlen gar nicht mehr heraus."

Schon wieder eine Fahne: Claudia Pechstein kürt sich am Rande des 3000-Meter-Rennens zur Rekordteilnehmerin bei Winterspielen. (Foto: Laci Perenyi/Imago)

Einen Rekord verloren, aber einen noch wichtigeren Triumph hinzugewonnen, das ist die Doppelhelix, in der sich Claudia Pechstein seit Jahren bewegt. Wer glaubt, sie habe ihren Ehrgeiz verloren, nur weil sie kurz vor ihrem 50. Geburtstag die Rundenzeiten der Jüngeren nicht mehr unterbieten kann, der irrt womöglich. Sie läuft nicht mehr nur gegen die Konkurrentinnen. Sie läuft, um ihren eigenen Platz zu behaupten und zu festigen - in der langen, glorreichen Geschichte ihres Sports. Eisschnelllauf gehört ja seit den ersten Winterspielen von 1924 durchgehend zum Olympia-Programm.

"Normalerweise muss ich die Chinesin im Sack haben", erklärte sie nach dem 3000-Meter-Duell gegen die direkte Gegnerin Ahenaer Adake, die ihr ebenfalls ein paar Schritte voraus war. "Aber sie hat zu mir gesagt: ,Ich laufe gegen eine Legende.' Und das geht runter wie Öl." Es sei nicht leicht zu laufen, fügte sie an, "mit den ganzen Komplimenten im Kopf, aber ich nehme das gern mit. Weil: Das hört man in Deutschland bei den Medien leider nicht so oft."

Es habe sie gefreut, dass ihre alte Rivalin Gunda Niemann-Stirnemann ihr zur Wahl als Fahnenträgerin gratulierte - jene Gunda Niemann aus Erfurt, die in den 1990er Jahren die international erfolgreichste Athletin im Eisschnelllauf war. Und dass der Hallensprecher im Stadion ihre historische Einmaligkeit als Rekordfrau bei Olympia pries, ist ihr ebenfalls nicht entgangen. Die Frage ist nun, wie Claudia Pechstein - fünfmalige Goldmedaillengewinnerin, erfolgreichste deutsche Olympia-Wintersportlerin, Rekordolympiateilnehmerin, Älteste ohnehin - ihre eigene Ausnahmestellung, also sich selbst, weiter überbieten will. Zunächst geht sie noch einmal aufs Eis im Pekinger Oval, in zwei Wochen, am vorletzten Wettkampftag, über 5000 Meter mit Massenstart. Und dann muss sie auf die Suche gehen: Wird sich noch ein Rekord finden, den sie ein- oder aufstellen kann?

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