Besser kann eine Abschiedstour kaum beginnen. Vergangenen Montag gewann Brian McKeever souverän sein erstes Rennen bei den Spielen von Peking. Mehr als drei Minuten Vorsprung hatte er nach 20 Kilometern auf den Zweitplatzierten US-Amerikaner Jake Adicoff - das ist auch im Para-Langlauf eine Welt. An diesem Mittwoch sicherte sich der Kanadier außerdem die Goldmedaille über die Sprintdistanz.
Den Eindrücken nach könnte McKeever, 42, wohl noch lange um Titel mitlaufen. Doch er hat bereits angekündigt, dass diese Paralympics seine sechsten und letzten sein werden. "Mein Körper reagiert nicht mehr so auf das Training wie früher. Mal läuft nach der Vorbereitung alles gut, ein andermal nicht - das hat auch mit dem Alter zu tun", sagt er am Telefon in seinem Hotelzimmer in Peking. Er ist gerade ein gefragter Gesprächspartner.
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Vor vier Jahren in Pyeongchang war McKeever Fahnenträger des kanadischen Teams und gehörte bereits damals zu den erfolgreichsten Athleten der Paralympics-Geschichte. Von Salt Lake City 2002 bis Peking 2022 hat er insgesamt 19 Medaillen gesammelt, 15 davon in Gold - seit den Spielen in Vancouver vor zwölf Jahren hat er alle paralympischen Wettkämpfe der sehbehinderten Langläufer gewonnen.
Erfolgreich war er schon vorher - ein Werbespot macht den Kanadier einem Millionenpublikum bekannt
Trotzdem lernte ein breites Publikum McKeever erst vor wenigen Wochen kennen. Beim Super Bowl flimmerte über Millionen Fernsehbildschirme ein Werbespot, der das Leben des Kanadiers nachzeichnet. Der Clip zeigt einen wintersportbegeisterten Jungen, der im frühen Erwachsenenalter die Diagnose "Morbus Stargardt" bekommt - eine Krankheit, durch die sich die Sehschärfe der Betroffenen nach und nach verschlechtert.
Kamerafahrten vermitteln einen Eindruck von McKeevers Restsehvermögen. Und natürlich zeigt der Film die Langlauferfolge, die McKeever mit seinem Bruder Robin als Guide schaffte. "Ich habe den fertigen Clip zum ersten Mal gemeinsam mit einem guten Freund angeschaut und wir haben beide angefangen zu weinen", erzählt McKeever. "All diese bedeutenden Momente in einem Leben eingefangen in 30 Sekunden."
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Dass viele ihn nun vor allem wegen einer Werbung kennen, stört ihn nicht. "Mir haben Menschen mit der gleichen Erkrankung geschrieben, die nicht wussten, dass es andere wie sie gibt", sagt McKeever. Er findet: "Repräsentanz ist wichtig." Dazu brauche es die große TV-Präsenz - für Kinder mit Behinderung, die ihren Platz in der Welt suchen, auch für aktuelle Para-Sportler. Vielen Zuschauern sei noch immer nicht klar, dass paralympische Athleten in gleichem Umfang trainieren wie ihre olympischen Pendants, sagt er.
In Vancouver wäre McKeever sogar fast bei Olympia gestartet - doch die Trainer entschieden anders
Mit Olympia hat der Langläufer seine eigene Geschichte. Vor den Spielen in seiner Heimat Kanada 2010 waren McKeevers Leistungen so gut, dass er sich für einen Platz im Olympiafeld qualifizierte. Was es bei Sommerspielen schon mal gab - die Teilnahme eines Para-Sportlers -, wäre im Winter eine Premiere gewesen. Doch das kanadische Trainerteam um den Norweger Inge Bråten entschied sich vor dem 50-Kilometer-Rennen für vier andere, ebenfalls startberechtigte Athleten - McKeever blieb außen vor. "Olympia-Traum vorbei. Ich glaube nicht, dass ich schon einmal so traurig war", erklärte er damals.
"Es macht mich immer noch traurig", sagt McKeever heute. Er habe damals alles getan, was er konnte. Er habe es sich verdient gehabt, bei Olympia dabei zu sein. In Vancouver hätten jedoch auch Faktoren jenseits der sportlichen Leistung eine Rolle gespielt. McKeever spricht von einer "politischen Entscheidung". Dass er sich überhaupt die Möglichkeit einer Olympiateilnahme erarbeitet hatte, macht ihn trotzdem stolz: "Das ändert nichts. Ich stand vielleicht nicht an der Startlinie, aber ich habe mich fair qualifiziert."
Im paralympischen Kosmos ist McKeever der Legendenstatus auch so sicher. In Peking will sich der Kanadier noch einmal auf der großen Bühne messen. Aber es sind auch Spiele, die gleichzeitig mit einem Krieg in Europa stattfinden und so politisch sind wie wohl keine zuvor. "Ich habe mit Freunden aus dem ukrainischen Team gesprochen", erzählt McKeever, "sie haben Angst, und wir haben Angst um sie und ihre Familien."
Die jüngste diesbezügliche Nachricht aus Peking: Die ukrainischen Athletinnen Ljudmila Ljaschenko und Anastasija Lalentina verzichteten jeweils auf ein Rennen. Lalentinas Vater, Soldat in der ukrainischen Armee, sei von russischen Soldaten gefangen genommen worden. Ljaschenkos Haus in Charkiw sei bei russischen Angriffen zerstört worden.
McKeever widerspricht dem IPC: "Sport ist von Natur aus politisch."
Bei den Paralympics stehe seit jeher auch der menschliche Geist im Mittelpunkt, die derzeitige Situation sei unglaublich traurig, sagt McKeever. Mit Kritik am zögerlichen Ausschluss Russlands hält er sich zurück. Doch dass das Internationale Paralympische Komitee (IPC) vor den Spielen erklärte, Sport und Politik voneinander zu trennen, davon hält er nichts: "Sport ist von Natur aus politisch. Wir treten mit unseren Nationalflaggen an, wir stehen auf dem Podium und singen unsere Nationalhymne", sagt McKeever. "Das ist politisch. Wir können nicht so naiv sein, zu behaupten, die negativen Aspekte von Politik wären kein Teil davon."
Ein Einzelrennen hat er bei seinen letzten Paralympics noch vor sich. Am Samstag geht es über die Zehn-Kilometer-Strecke, eventuell kommt am Abschlusstag noch ein weiterer Start in der Staffel dazu. Ob er noch mal Medaillen gewinnt, das sei ihm nicht so wichtig, sagt McKeever. Einfach das bestmögliche Rennen laufen, darum sei es ihm immer gegangen.
Und abrupt beenden will er seine Karriere auch nicht. Keinen vollen Vier-Jahres-Zyklus mehr, das stehe fest. Schon jetzt hatte er vor den Spielen mit langwierigen Verletzungen zu kämpfen. Doch den ein oder anderen Wettkampf möchte er noch machen. Und ein Vorbild für andere paralympische Athleten dürfte er ohnehin bleiben.