Leonie Walter bei den Paralympics:St. Peter steht kopf

Leonie Walter bei den Paralympics: "Irgendwann sind alle aufgesprungen, dann war mir klar: Okay, ich hab's." Leonie Walter mit Guide Pirmin Strecker.

"Irgendwann sind alle aufgesprungen, dann war mir klar: Okay, ich hab's." Leonie Walter mit Guide Pirmin Strecker.

(Foto: Oliver Kremer/Beautiful Sports/Imago)

Leonie Walter, 18, gewinnt die zweite Goldmedaille für das deutsche Team bei den Paralympics - ihre Mutter erzählt, wie ein Ort im Schwarzwald vor Stolz platzt.

Von Sebastian Fischer

Was passiert, wenn sich die Gemeinde St. Peter im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald über eine Goldmedaille freut, das kann Renate Walter seit Dienstagmorgen sehr anschaulich beschreiben. Es sei ein Glück, sie überhaupt zu erreichen, sagt sie am Telefon, und tatsächlich klingelt während des Gesprächs im Hintergrund schon wieder das Handy. Die Trachtenschneiderin habe angerufen, die Grundschullehrerin, ehemalige Feriengäste auf ihrem Hof. Der Seniorchef vom Lebensmitteleinzelhandel habe eine Karte vorbeigebracht, "ich kann das gar nicht fassen". Auch der Briefträger habe gratuliert, später kommt noch der SWR. "Familie, Skiclub, alle stehen kopf. Man kann nicht ins Dorf gehen, man kommt nicht mehr heim!"

Renate Walters Tochter Leonie, 18, hatte schon zwei Bronzemedaillen gewonnen in den ersten Tagen der Paralympics in Peking, im Biathlon-Sprint und im Langlauf über 15 Kilometer, jeweils hinter der erst 15-jährigen Linn Kazmaier. Dass beide in den Wettbewerben der sehbehinderten Athletinnen überraschend so weit vorne mitliefen, das lag neben ihrer ganz offensichtlichen Begabung auch an den zahlreichen, wegen des Krieges in der Ukraine gesperrten Russinnen, die in der Weltrangliste die vordersten Plätze unter sich ausmachen.

Am Dienstag im Biathlon gab es die nächsten Medaillen für Deutschland in den nordischen Disziplinen, Silber für Martin Fleig und Bronze für Anja Wicker. Von den beiden Jüngsten im deutschen Team ging im Rennen über zehn Kilometer nur Walter an den Start, Kazmaier sollte sich schonen. Walter schoss fehlerfrei - und lief dann mit ihrem Guide Pirmin Strecker 3,4 Sekunden schneller als die Ukrainerin Oxana Schischkowa, die zuvor schon zweimal Gold gewonnen hatte. "Ich lag im Ziel, hab gewartet und wusste nicht, ob es gereicht hat", sagte Walter: "Irgendwann sind alle aufgesprungen, dann war mir klar: Okay, ich hab's."

Eine angeborene Behinderung lässt Leonie Walter weniger als fünf Prozent Sehkraft

Vor diesen Paralympics waren die Nachwuchsprobleme im deutschen Behindertensport ein großes Thema, nur 17 Athletinnen und Athleten sind für Deutschland in China am Start. Nun sind es eine 15-Jährige und eine 18-Jährige, die bislang den Großteil der Medaillen gewannen. Lässt sich daraus vielleicht etwas über die Förderung des paralympischen Sports lernen? Renate Walter sagt, ungefragt: "Schreiben Sie bitte: Der Skiclub St. Peter ist so ein toller Verein. Und der tollste Mann im Skiclub St. Peter ist ihr ehemaliger Trainer, der Albert Kürner." Der, sagt sie, habe "das Mädle groß gemacht."

Leonie Walter, geboren mit einer Behinderung, die ihr weniger als fünf Prozent Sehkraft lässt, begann im Alter von sieben Jahren mit dem Langlaufen in ihrem Heimatverein. Beim Skiclub St. Peter hätten sie damals noch keine großen Erfahrungen mit Behindertensportförderung gehabt, erzählt Renate Walter, aber besagter Albert Kürner habe schon mal am Olympiastützpunkt mit Sehbehinderten trainiert. Und dann sei er jahrelang Rennen vor ihrer Tochter gelaufen, als Guide. "Der hat da einfach Spaß dran gehabt und konnte sie optimal fördern".

Seit eineinhalb Jahren ist Leonie Walter im Sportinternat am Olympiastützpunkt in Freiburg. Natürlich, sagt ihre Mutter, sei der Sport auch nicht die Lösung für alles. Aber der Sport fördere die Entwicklung ihrer Tochter, ohne wäre das wohl schwieriger. "Wir sind wirklich sehr glücklich als Eltern."

Miteinander gesprochen haben Mutter und Tochter gleich nach dem Rennen auch schon, per Live-Anruf im ARD-Interview. Renate Walter rief: "Ganz St. Peter wartet jetzt auf dich!"

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