Wenn Olympische Spiele enden, gehört es zu den üblichen Ritualen, ein "Gesicht der Spiele" sowie die prägende "Szene der Spiele" zu bestimmen und so der Veranstaltung irgendein Etikett zu verpassen. Noch selten fiel die Wahl so leicht wie diesmal in Sotschi. Das Gesicht der Spiele: Wladimir Wladimirowitsch Putin. Das Etikett der Spiele: "Putins Spiele". Nur bei der Szene der Spiele kann es ein paar Diskussionen geben. War es der Moment, in dem sich Putin auf seinen Auftritt bei der Eröffnungsfeier vorbereitete und auf dem Flachbildschirm im Hintergrund die manipulierten Fernsehbilder der olympischen Ringe zu sehen waren? Oder Putins Besuch im Österreich-Haus, wo er im roten Skianzug auf einen Schnaps vorbeikam? Oder Putins Jubel an der Seite von russischen Goldmedaillengewinnern?
Natürlich bleiben von solchen Winterspielen auch ein paar sportliche Leistungen und stimmungsvolle Momente; es bleiben auch die klassischen Probleme des Sports wie Dopingfälle oder umstrittene Wertungsurteile. Aber selten zuvor hat sich ein Politiker das Gesamtprodukt Olympische Spiele so kalkuliert einverleibt, wie das Russlands Staatspräsident in Sotschi gemacht hat.
In einer Reihe mit russischen Großprojekten
Sotschi lässt sich gut in eine Tradition gigantischer russischer Großprojekte einreihen. Peter der Große ließ mitten in den unwirtlichen Sümpfen der Newa Petersburg hochziehen. Unter den letzten Zaren entstand quer durchs Riesenreich die Transsibirische Eisenbahn. Und Putin schuf sich - nicht in sieben Tagen, aber in sieben Jahren - am Schwarzen Meer seine olympische Parallelwelt.
Aber Sotschi unterscheidet sich von den anderen Projekten. Bei Peters Bauwahn stand am Ende eine prunkvolle Stadt; die Transsib verkörpert die faszinierende Weite des Landes. In Sotschi ist das Produkt jedoch nachrangig - künftig kommen halt ein paar Touristen mehr dorthin oder auch nicht. Sotschi war in erster Linie ein Gefühl, eine Botschaft: Russland kann solche Großprojekte stemmen. Oder besser: Wladimir Putin kann solche Großprojekte stemmen. Völlig egal, wie viel das kostet; und völlig egal, wie sehr Umwelt, Arbeiter und Einwohner darunter leiden müssen. Wobei Putin damit rechnen konnte, im Zweifel ausgerechnet aus Deutschland umfangreichen Flankenschutz zu erhalten, von Duzfreund Gerhard Schröder, vom Gas-Botschafter Franz Beckenbauer und von Thomas Bach, dem Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC).
Die Putin-Spiele: Zu Beginn des Jahrtausends fand der russische Präsident bei einer Spritztour mit dem Jeep den konkreten Ort. Bei der Vergabe der Spiele 2007 in Guatemala bezirzte er persönlich die Mitglieder der Ringe-Organisation. In der Aufbauphase hatte er jederzeit die Kontrolle. Das IOC war schwer beeindruckt, dass es "immer die Möglichkeit hat, zum obersten Chef zu gehen" und dass "Bitten innerhalb von zwei Stunden erledigt werden", wie das Jean-Claude Killy, der Vorsitzende der Koordinierungskommission, berichtet hat.
Schließlich nutzte Putin die Bühne der Spiele vor allem in der ersten Woche für seine Propagandashow. Putin hier, Putin da, Putin überall - ersten Umfragen zufolge hat es gewirkt. Russlands Bevölkerung hatte den Spielen nicht unbedingt euphorisch entgegengelebt, aber wie so oft bei Sportgroßveranstaltungen profitieren die Staatenlenker.
Das IOC wiederum erwies sich mal wieder als Diener der Weltenläufe. Es stellte sich rigoros an Putins Seite. Das diskriminierende Anti-Homosexuellen-Gesetz? Die Ausbeutung der Arbeiter? Die offenkundig politisch motivierte Strafe gegen den olympiakritischen Umweltaktivisten Jewgenij Witischko? Entweder gab sich das IOC mit irgendwelchen Versprechungen der russischen Seite zufrieden. Oder es verkündete lapidar: kein Bezug zu den Spielen!
Das IOC sah sogar zu, wie ausgerechnet der olympische Gastgeber Putin und seine Verbündeten in der ukrainischen Regierung eines der heiligsten der angeblichen olympischen Prinzipien missachteten. Seit der Antike heißt es, die Olympischen Spiele seien eine Zeit des Friedens - und nun eskalierte ausgerechnet während dieser Friedenszeit die Gewalt in Kiew. Es wird behauptet, dass russische Provokateure die entscheidende Lunte legten. Das mag stimmen oder nicht. Wenig gewagt ist aber die These, dass Putin mit seinem Einfluss auf Kiew die Eskalation schnell hätte stoppen können.
Als sei in Kiew nichts geschehen
So lässt sich auch erklären, warum in Sotschi alles so weiterging, als sei in Kiew nichts geschehen. Eine Abreise der ukrainischen Mannschaft? Ein Trauerflor an den Armen der Sportler aus Solidarität mit den getöteten Demonstranten? Vielleicht sogar mal ein Nachdenken über die verwegene Frage, ob angesichts des Blutbads in Kiew in Sotschi nicht ein kurzer Moment des Innehaltens oder des Aussetzens eines Wettkampfes angebracht wäre? Lieber nicht, es hätte ja auch alles einen Schatten auf Putins Spiele geworfen.
Es hat schon eine ironische Note, dass dem Projekt lediglich der ursprüngliche Kern dieses Spektakels schaden konnte: der Sport. Als Putins geliebte Sbornaja im Eishockey-Wettbewerb schon im Viertelfinale ausschied oder als die von Putin in der Öffentlichkeit innig geherzte und schon zum neuen Goldküken gehypte Eiskunstläuferin Julia Lipnizkaja unerwartet stolperte - da kippte die Laune im Land doch spürbar. Beides geschah übrigens an dem Tag, an dem in Kiew die Gewalt eskalierte.
Erst die Fußball-WM, und dann Olympische Sommerspiele?
Gala in Sotschi:Spaß auf dem Eis
Ein letztes Mal flitzen die Athleten in Sotschi übers Eis - dieses Mal geht es aber nicht um Punkte. Bei der Eiskunstlauf-Gala können die Sportler ein paar Kunststücke zeigen. Nicht alle nehmen die Veranstaltung ernst. Bilder vom Schaulaufen.
An diesem Wochenende enden Putins Spiele. Doch das heißt nicht, dass dann seine Zeit im Weltsport vorbei ist - im Gegenteil. Er hat ihn längst auf vielfältige Weise durchdrungen. Staatlich kontrollierte Firmen wie Gazprom und Rosneft zählen zu den größten Finanziers der wichtigsten globalen Sportereignisse, von der Fußball-Champions-League bis zum Box-WM-Kampf zwischen Klitschko und Powetkin. Enge Vertraute Putins sitzen an Schaltstellen der sportlichen Institutionen, bei den wichtigsten internationalen Fußball-Verbänden Fifa und Uefa wie auch beim IOC.
So zieht Russlands Staatschef mit an den Strippen, wenn es um die wesentlichen Entscheidungen im Weltsport geht. Und es ist kein Zufall, dass sich in der nächsten Zeit die Zahl der sportlichen Großveranstaltungen in Russland erhöht; schon bald stehen die Formel 1 und diverse Welttitelkämpfe an - und 2018, passend zur erwarteten Wiederwahl von Putin als Staatspräsident, die Fußball-Weltmeisterschaft. Wenn alles nach Plan läuft, krönt er diese Phase noch mit einem besonderen Großprojekt: Olympische Sommerspiele 2024 oder 2028 in seiner Heimatstadt Sankt Petersburg.
Putins Spiele? Putins Sport.