Kritik an Olympia-Gastgebern:Jetzt lasst uns feiern!

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Deutschland einig Rodlerland? So einfach ist es nicht. (Foto: AFP)

Die merkwürdige Haltung der Bundesrodelrepublik: Kaum gewinnen die Deutschen in Sotschi Medaillen, werden den lästigen Nörglern Vorwürfe gemacht. Doch das verstellt den Blick auf die Kernfrage dieser Olympischen Winterspiele.

Ein Kommentar von Johannes Aumüller, Sotschi

Ja, Sotschi ist eine zauberhafte Stadt. Das Flair, das Meer, die Natur, alles schön. Und Russland erst: Kaum ein Land in der Welt liefert einem so viele Gründe, es wunderbar zu finden. Die Weite, die Gastfreundschaft, diese herrlich faszinierende und unergründliche russische Seele. Und wer behaupten möchte, dass das Land die größten Schriftsteller, die schönste Nationalhymnenmelodie und die reichhaltigste Sprache hervorgebracht hat, darf das erst einmal guten Gewissens tun.

Wer allerdings schon bei den wunderbaren Errungenschaften des Landes ist, der darf sich auch an ein schönes russisches Sprichwort erinnern. "Im Garten Holunder und in Kiew ein Onkel", heißt es, wenn in einer Debatte zwei Sachen nicht recht zusammenpassen.

Die Bilder der Eröffnungszeremonie
:Geschichtsballett auf Russisch

Fliegende Inseln, großes Kino, vier Ringe mit Sternchen und jede Menge Feuerwerk - die olympische Eröffnungsfeier lebt auch in Sotschi vor allem von starken Bildern. Eindrücke von der Zeremonie.

In Deutschland hat sich seit dem Beginn der Spiele bei manchen Beobachtern eine merkwürdige Haltung entwickelt. So nach dem Motto: Jetzt hat der arrogante Westen aber mal genug gekrittelt über Russlands vielfältige Probleme, der wiederbelebte Kalte Krieg ist nun wieder vorbei. Jetzt lasst uns uns stattdessen über die Spiele und den Sport freuen und den Menschen im Gastgeberland sowie speziell in Sotschi dieses Fest gönnen.

Vielleicht lag's daran, dass in Deutschland die Perspektive oftmals kippt, sobald der Ball rollt und der Ski fährt und - hipp hipp hurra - die Bundesrodelrepublik in der Medaillenbilanz vorne liegt. Vielleicht lag's auch an den in dieser Penetranz völlig überflüssigen Nörgeleien mancher Journalisten über fehlende Türklinken und andere Kleinigkeiten. Auf jeden Fall heißt es jetzt oft: Die Stimmung vor Ort sei doch ganz wunderbar. Die Gastfreundschaft wirklich großartig. Die Organisation gut. Die Sportlerschar mit allem zufrieden. Und der gewaltige Sicherheitsapparat nur halb so bemerkbar wie befürchtet.

Mag alles sein. Ist aber alles Holunder.

Denn es verstellt den Blick auf die Kernfrage dieser Spiele, die sich am Ende ganz einfach mit Ja oder Nein beantworten lässt: Ist es zu akzeptieren, wenn sportliche Großereignisse wie Olympia, diese vorgeblichen Spiele der Jugend der Welt, unter den Rahmenbedingungen stattfinden, unter denen sie an Sotschis Schwarzmeerküste ablaufen?

Diese Rahmenbedingungen, das ist zunächst einmal die Art und Weise, wie sie dieses Parallel-Universum Olympia in Sotschi errichtet haben. Mit einer gigantischen Umwälzung einer ganzen Region. Mit Milliarden von Euro aus dem Staatshaushalt, die an anderer Stelle im Land dringender gebraucht worden wären. Mit einer immensen Umweltzerstörung und -verschandelung, deren Folgen sich nicht jetzt, sondern erst in ein paar Jahren richtig zeigen werden. Mit der Ausbeutung von Arbeitern und der Enteignung von Eigentümern.

Diese Rahmenbedingungen umfassen aber auch die Aspekte, wie diese Spiele derzeit ablaufen: Hier die von Menschenrechtsorganisationen als politisch motiviert eingestufte Arbeitslager-Strafe gegen einen olympiakritischen Umweltaktivisten. Dort die wunderbare Propaganda-Bühne für Russlands Machthaber Wladimir Putin, der Umfragen zufolge dank der Spiele und dank seiner Auftritte an der Seite von Goldmedaillengewinnern im Land an Popularität zugelegt hat.

Bei aller Freundlichkeit der Menschen und bei aller schönen Stimmung am Ort: Es ist nur eine Antwort auf die Kernfrage möglich. Nein, Spiele auf diese Art und zu einem solchen Preis wie in Sotschi darf es nicht geben.

© SZ vom 15.02.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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