Zum Tod von Paul Litjens:Hockey mit Haltung

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Der Mann mit dem Stirnband: Paul Litjens war die prägende Figur des niederländischen Hockeys in den 1970er-Jahren, nicht nur wegen seiner Spielweise. (Foto: Pressefoto Baumann/Imago)

The Games must go on? Nicht für den Niederländer Paul Litjens, der 1972 nach dem Olympia-Attentat die Münchner Spiele im Anschluss an die Trauerfeier verließ. Ein Nachruf.

Von Holger Gertz

Die Ansicht, dass die Olympischen Spiele von München 1972 trotz des Attentats unbedingt fortgesetzt werden mussten, wird immer noch von vielen Beobachtern und Sportfreunden geteilt. Elf Athleten und Mitglieder der israelischen Delegation waren - in Deutschland - von palästinensischen Terroristen umgebracht worden, das Schlimmstmögliche war geschehen. Aber sich trauernd dem Terror zu beugen, wäre das falsche Signal gewesen, hieß es, insbesondere bei Politikern: Dann hätte das Böse gesiegt. Dann hätten sich Wiederholungstäter ermutigt gefühlt. So gingen die Spiele von München - für die Angehörigen der israelischen Sportler kaum fassbar - nach dem Schlimmstmöglichen weiter, nach kurzer Unterbrechung und einer Trauerfeier, bei der IOC-Präsident Avery Brundage schnarrend verfügte: "The games must go on." So geschah es. Selbst als die Geiselnahme im Olympischen Dorf noch in Gang war, hatten Sportler nicht weit davon entfernt Tischtennis gespielt, zur Entspannung. In Dokumentationen sind entsprechende Bilder zu sehen.

"Das war so eine deprimierende Atmosphäre, das konnte ich nicht mehr aushalten."

Verhältnismäßig wenige Olympioniken haben damals für sich die Konsequenzen gezogen und München und die Spiele verlassen. Warum? Olympia ist in einem Sportlerleben etwas so Großes, davon lässt man nicht so leicht ab. Und wenn man sagt, Sportler sind aufs Durchhalten programmiert, ist das kein Vorwurf, nur eine Beschreibung. Einige hatten dennoch genug von diesen Spielen, unter ihnen verschiedene empathische Athleten aus dem niederländischen Team. Nach Todesfällen einfach weiterzumachen, kam ihnen falsch vor. Die Sprinterin Wilma van Gool zum Beispiel trat nach dem Attentat im Halbfinale über 200 Meter nicht mehr an.

Und die Hockeyspieler Flip van Lidth de Jeude und Paul Litjens hatten mit ihrem Team noch Medaillenchancen. Aber das war nicht mehr wichtig, so haben es die beiden Jahre später bei einem Interview gesagt. Zur Trauerfeier im Münchner Olympiastadion sind sie noch gegangen. "Es war mir eigentlich klar, die werden erklären, dass die Spiele beendet sind", sagte van Lidth, die Spiele wurden dann allerdings fortgesetzt, Brundage hatte ja gesprochen. Aber Starter aus den liberalen Niederlanden ließen sich in den liberalen Siebzigern ungern etwas diktieren, schon gar nicht die Antwort auf die Frage: gehen oder bleiben? Paul Litjens hat über München gesagt: "Das war so eine deprimierende Atmosphäre, das konnte ich nicht mehr aushalten." Und dann sind sie weg aus dem Olympischen Dorf.

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Um Mitternacht des 5. September 1972 starben die israelischen Geiseln in Fürstenfeldbruck, um 16.30 Uhr gingen die Spiele weiter. Heiter wollten sie sein, seelenlos wurden sie.

Kommentar von Holger Gertz

Der Vorwurf, er habe sein Team im Stich gelassen, wog nicht zu schwer. Denn Litjens war damals, 1972, noch nicht die prägende Persönlichkeit der späteren Jahre, zum Star reifte er erst danach. Der Mann, der das Stirnband so stilvoll tragen konnte wie nach ihm nur der brasilianische Fußballregent Sócrates, brachte es in seinen 177 Länderspielen auf 266 Tore, was auch daran lag, dass er zu einem Meister der Strafecken heranwuchs. Schon ein Jahr nach Olympia gewannen die Niederländer daheim in Amstelveen die Weltmeisterschaft. 1978 wurden sie Zweiter, bei der WM in Argentinien, dem Land der Folterknechte. Es gab Debatten, ob Oranje da überhaupt mitspielen sollte, es gab die Diskussionen im selben Jahr auch bei den Fußballern. Gehen oder bleiben, eine große Frage. Litjens ist mitgeflogen nach Argentinien, er hatte als Star Verantwortung für ein Team, das sich bemühte, auch mitten im Wettbewerb so etwas wie Haltung sichtbar werden zu lassen. Litjens Teamkollege Hans Jorritsma führte für die Zeitung Vrij Nederland ein WM-Tagebuch und weigerte sich, die Silbermedaille aus den Händen des Diktators Videla entgegenzunehmen.

So war und ist ein Sportlerleben immer auch ein Leben in politischen Umrissen, was man am Hockeyspieler Paul Litjens sehen kann, der am 13. Dezember gestorben ist. Ein Mann von 76 Jahren, ein vielgeliebter Volksheld, der in den Nachrufen als "legendarisch strafcornerkanon" gewürdigt wird. Das wird von ihm bleiben. Und nicht nur das.

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