Olympiasiegerin Veronica Campbell-Brown:Geheimnisse einer Doping-Dichterin

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Auffällig in A- und B-Probe: 200-Meter-Sprinterin Veronica Campbell-Brown.  (Foto: Getty Images)

Der positive Befund bei Veronica Campbell-Brown durchbricht die sorglose Begeisterung für Jamaikas Meister-Sprinter. Es ist der größte Dopingskandal seit der Affäre um Marion Jones und den Dopingmittel-Vertrieb Balco.

Von Thomas Hahn

Die Sprinterin Veronica Campbell-Brown hat mal ein Enthüllungsbuch geschrieben. Sie brachte es Ende 2008 heraus, wenige Monate nachdem sie bei den Spielen in Peking zum zweiten Mal Olympiasiegerin über 200 Meter geworden war. Laut Werbetext ging es in dem Buch um "die Geheimnisse ihres Erfolgs", und das klang natürlich spannend, denn wie eine jamaikanische Mehrfach-Podestbesteigerin ihre Medaillen schmiedet, will man natürlich wissen.

Allerdings hatte das Buch nur 88 Seiten, und der Verdacht lag nahe, dass Veronica Campbell-Brown das eine oder andere Geheimnis weggelassen hatte. Im Grunde ging es in dem Buch auch nur um die spirituellen Faktoren ihres Erfolgs, um Glaube und Selbstbewusstsein. "Das bessere Du", hieß das Buch, "Inspirationen für die Reise des Lebens." Die gottesfürchtige Campbell-Brown hatte es im Prediger-Stil gehalten. Sie schrieb darin zum Beispiel: "Lass jeden gescheiterten Versuch dich mit der Stärke ausstatten, vorwärts zu gehen, bereue nie deine Rückschläge." Vom Dopen war nicht die Rede.

Vielleicht schreibt Veronica Campbell-Brown, 31, in ihrem nächsten Buch darüber, das den Titel tragen könnte: "Das künstliche Du." Was aufzuarbeiten hätte sie jetzt jedenfalls, denn ausgerechnet Jamaikas höchstdekorierte Sportlerin steht neuerdings für den größten Dopingfall der Leichtathletik seit der Amerikanerin Marion Jones, die Ende 2007 wegen Dopings ihre fünf Medaillen von Olympia 2000 in Sydney zurückgeben musste.

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Eine Dopingprobe von Veronica Campbell-Brown bei deren 100-Meter-Start Anfang Mai in Kingston wies das Diuretikum Furosemid auf, mit dem Athleten harte Dopingmittel maskieren können. Ein Statement des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF steht noch aus, und Warren Blake, Präsident des jamaikanischen Verbandes JAAA, erklärte umständlich, dass er nichts bestätigen oder dementieren könne.

Aber nach übereinstimmenden Medien-Berichten vom Wochenende ist wohl klar, dass Veronica Campbell-Brown eine Zwei-Jahres-Sperre zu befürchten hat: Am 3. Juni wurde sie von ihrer positiven A-Probe unterrichtet. Seit Freitag weiß sie, dass die Analyse der B-Probe das Ergebnis bestätigt hat.

Dieser Fall ist keine Hustensaft-Bagatelle, und er betrifft eine echte Leuchte des olympischen Kernsports. Natürlich, es hätte noch schlimmer kommen können für die Sprintnation Jamaika. Veronica Campbell-Brown stammt aus derselben Gegend wie Dreifach-Weltrekordler Usain Bolt, aus Trelawny, aber anders als Bolt ist sie früh in die USA zum Studium ausgewandert. In Kingston gibt es zwei wichtige Trainingsgruppen, die von Coach Glen Mills mit Bolt und 100-Meter-Weltmeister Yohan Blake sowie die von Coach Stephen Francis mit dem früheren 100-Meter-Weltrekordler Asafa Powell und der 100-Meter-Olympiasiegerin Shelly-Ann Fraser-Pryce.

Mit keiner von beiden hat Veronica Campbell-Brown etwas zu tun. Sie hat mal an der Universität in Arkansas unter Lance Brauman in der Gruppe um den früheren US-Weltmeister Tyson Gay trainiert, mittlerweile liegt ihr Lebensmittelpunkt in Clermont/Florida. Auf der Insel können sie also wieder sagen, was für einen schlechten Einfluss der große Nachbar auf Jamaikas Talente ausübt. Sportministerin Natalie Neita-Headley erklärte prompt, das Land sei weiterhin stolz auf seine Athleten.

Aber erstens muss das nichts heißen bei den nicht sehr vertrauenswürdigen Anti-Doping-Strukturen in und um die 2,7-Millionen-Einwohner-Insel Jamaika, wenn die Daheimgeblieben reihenweise Negativ-Tests abgeben. Zweitens geht es beim Fall Campbell-Brown auch um den größeren Zusammenhang. Seit der Affäre um den kalifornischen Dopingmittel-Vertrieb Balco, die Marion Jones am Ende sogar wegen Meineids ins Gefängnis brachte, wetteiferte die Sprintszene ohne große Skandale. Es herrschte viel Begeisterung über die Show der Schnellläufer, vor allem über die des Usain Bolt. Es gab ja keine positiven Tests, zumindest nicht bei der A-Prominenz. Und bei den Pressekonferenzen erschienen die Protagonisten als nette, teilweise sogar witzige Leute, die sich mit treuem Blick zum reinen Sport bekannten.

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Veronica Campbell-Browns Affäre bringt da durchaus das Weltbild des Jubelpublikums durcheinander. Gerade sie galt doch als Leichtathletik-Vorzeige-Frau. Sie hat sich aus dem Zehn-Kinder-Haushalt des Bauern Cecil Campbell zielstrebig zur Medaillen-Gewinnerin mit abgeschlossenem Marketing-Studium hochgearbeitet. Sie fiel als twitternde Sportgeistliche auf ("Danket dem Herrn, denn er ist gut"), als Unesco-Goodwill-Botschafterin und Stipendien-Stifterin für junge Jamaikanerinnen. Sie beklagte den Umstand, dass die Frauensprint-Weltrekorde aus den steroid-satten Achtzigern praktisch nicht zu erreichen seien, schrieb Gedichte und lobte den guten Wettbewerb mit ihren Rivalinnen. Sie sagte: "Wenn du nicht gewinnen willst, brauchst du erst gar nicht zu laufen" - und schien dabei zu den Guten zu gehören.

Allerdings wirkte sie auch immer etwas unverbindlich. PR-Gespräche konnte sie gut, auch Interviewzonen-Statements mit Lachen, alles, was nicht zu tief geht. Der Weltverband ließ sie bis zuletzt auf seiner Homepage ein Online-Tagebuch führen. Veronica Campbell-Brown berichtete darin, wie sie Weihnachten feiert oder dass sie Football mag. Aber wenn man etwas strenger prüft, was sie über ihr Training, über ihre Gefühle, über ihre Vorbereitungen zum Beispiel auf die diesjährige WM in Moskau schrieb, muss man feststellen: nicht viel. Ihr jüngster Eintrag stammt vom 2. Juni. Sie schreibt über ihren 100-Meter-Einstand in Kingston, bei dem sie positiv getestet wurde: "Ich war zufrieden mit dem Ergebnis, allerdings nicht unbedingt mit der Ausführung des Rennens." Sie war trotz schwachem Start 11,01 Sekunden gelaufen.

Jetzt kann Veronica Campbell-Brown beweisen, wie ernst sie es meint mir ihrer Moral. Weil Furosemid nur ein Maskierungsmittel ist, liegt nahe, dass sie sich mit anderen Substanzen schnell machte. Wenn sie dem Anti-Doping-Kampf helfen will, erzählt sie was darüber. Zu erwarten ist das eher nicht, sonst bringt sie möglicherweise Kollegen in Gefahr. Wenn sie überhaupt was erklärt, dürfte es eher in die Richtung gehen, dass sie nach über einem Jahrzehnt in der Weltspitze auf ihre alten Tage in Versuchung geriet. Um hinter die wahren Erfolgsgeheimnisse der Sprintelite zu kommen, braucht es wohl mehr als diesen einen positiven Doping-Befund.

© SZ vom 17.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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