Olympia und Corona:Dagegen ist die Chinesische Mauer ein Gartenzaun

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Da scheinen selbst die Maskottchen erschrocken zu sein: Ein Arbeiter in einem Schutzanzug sprüht Desinfektionsmittel vor einem Hotel bei den Olympischen Winterspielen in Peking. (Foto: Natacha Pisarenko/dpa)

Nasopharyngeal-Test, Zollgesundheitserklärung - und gleich vor dem Hotel das Absperrgitter: Wie schwer ist es, in die olympische Blase von Peking zu gelangen? Unsere Reporterin hat es versucht - und geschafft.

Von Barbara Klimke, Peking

Als die Spiele an Peking vergeben wurden, saß Xi Jinping vor der Großen Mauer. "Austausch und Völkerverständnis" versprach der Staats- und Parteichef damals, im Jahre 2015, dem olympischen Kongress, ein Gemälde des historischen Schutzwalls in seinem Rücken. Ein passenderes Symbol für die nun beginnende Wintersportmesse in China ließe sich kaum finden: Denn im Vergleich zu dem Bollwerk, das Xi Jinping nun in Seuchenzeiten um seine Hauptstadt errichtet, wirkt der tausend Kilometer lange Mörtelbau der Ming-Zeit wie eine Art Gartenzaun.

Peking ist seit zwei Jahren abgeriegelt. Wer Einlass finden will in das Land, in dem das Virus seinen Siegeszug um die Welt antrat und das von Anbeginn der Pandemie eine Null-Covid-Politik betrieb, muss einen Befestigungsring nach dem anderen überwinden. Dazu braucht es Ausdauer, Geduld und diverses technisches Rüstzeug. Hürde Nummer eins, noch relativ niederschwellig, ist eine Handy-App, zu erschließen über die Olympia-Akkreditierung. Sowie ein Fieberthermometer.

Eine Kellnerin im Schutzanzug reinigt einen Tisch: Peking bereitet sich auf die Winterspiele vor. (Foto: Natacha Pisarenko/dpa)

Spätestens zwei Wochen vor dem geplanten Abflug per Sondermaschine ist täglich die Körpertemperatur einzutippen. Dazu Angaben über den Gesundheitszustand: Husten? Kopfschmerz? Durchfall? Ermattungsgefühle? Die Corona-Impfhistorie wird ebenfalls vermerkt in dieser chinesischen "My2022"-Software, die Datenschützer für so löchrig halten wie ein Teesieb. Der Reisende, der es nach Peking schafft, ob als Athlet, Trainer, Funktionär oder Berichterstatter, erscheint bei Chinas Staats- und Parteispielen heutzutage als gläserner Patient. Wer schon vorher an den Anforderungen scheitert, übrigens ebenso: Was an die App gefüttert wird, bleibt eingespeist ins System.

Das größte Hindernis: der PCR-Test nach der Landung in Peking

Die nächste Hürde ist an das Wörtchen "nasopharyngeal" gekoppelt. Zwei PCR-Tests, getaktet im Abstand von mindestens 96 und 72 Stunden vor der Abreise, sind erforderlich, zweisprachig, mit strikt vorgeschriebener Nasen-Rachen-Abstrichmethode, per Formular beglaubigt. Dies wäre allerdings nur die einfache Variante für Geimpfte. Falls die Krankengeschichte lediglich eine überstandene Corona-Infektion offenbart, verkompliziert eine Blutabnahme das Prozedere, nachzulesen mit mehreren Fallbeispielen im sogenannten Playbook für die Winterspiele und in den Merkblättern für die beiden Covid-Beauftragten jeder teilnehmenden Organisation. (Dass per Dekret auch Alleinreisende zwei Corona-Hilfssheriffs benennen müssen, gehört zu den undurchschaubaren Weisheiten der fernöstlichen Bürokratie.)

Nun rückt der Abflugtermin näher - und damit die Vorlage zweier Online-Zertifikate, hier der Einfachheit halber "grüner Code" (Gesundheitserklärung) und "gelber Code" (Zollgesundheitserklärung) genannt. Für diese Formalitäten am Tag vor dem Einchecken möge der Reisende sich Zeit nehmen, empfehlen die chinesischen Stellen, was tatsächlich hilfreich ist, weil das Beantragen im Einzelfall fünf Stunden dauern kann. Hochzuladen sind ein Dutzend Dokumente, unter anderem eine Wohnadressenbestätigung und die Flugroute mit Sitzplatznummer.

Sicherheitscheck im Olympischen Dorf: Alles wird genau durchsucht. (Foto: Anthony Wallace/dpa)

Über Nacht schaltet die Botschaft dann den grünen Code auf der "My2022"-App frei. Das blinkende Bildchen weckt anderntags am Abflugschalter das Interesse des Bodenpersonals, das die Sache lebhaft in einer Kleingruppe diskutiert. Der gelbe Code hingegen kann nur per Screenshot vorgelegt werden, aber das ist das geringere Problem. Das größere besteht nun darin, dass die Gültigkeit dieses Zollzertifikats wegen der kurzen Fristen schon vier Stunden vor der Landung in China erlischt. Hektisch muss bei der Zwischenlandung ein neues beantragt werden. Sonst droht dem Ankömmling vor dem letzten Streckenteil die Abweisung.

Wenn man dann tatsächlich auf den Platz im Sonderflug sinkt, ist die vorletzte Mauer des Bollwerks des Großen Vorsitzenden Xi Jinping gemeistert. Die Maschine ist ausschließlich für Fluggäste mit Olympia-Akkreditierung reserviert. Das größte Hindernis steht jedoch noch bevor: der PCR-Test nach der Landung in Peking. Aus Angst vor einer Infektion in 10 000 Metern Höhe halten sich die meisten Sportler bei den Mahlzeiten an die antrainierte Corona-Etikette: Nach jeder Gabel wird vor dem Kauen die Maske wieder angelegt. Mancher an Bord verzichtet vorsorglich sogar komplett auf die Nahrungsaufnahme.

Beim Eintritt ins Hotel wartet jedes Mal das Fiebermessgerät

Denn in Peking steht jetzt die letzte Abwehrreihe bereit: ein Heer aus chinesischen Corona-Bekämpfern in Ganzköperschutzanzügen mit Brille, Visier, Handschuhen, Haare unter der Haube. Wie eine Terrakotta-Armee in weißen Overalls, gesichtslos, freundlich-entschlossen, bewaffnet mit einem Wattestäbchen für das Entscheidungsgefecht beim Abstrich der mal wieder nasopharyngealen Art.

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Das Testergebnis haben die Olympia-Invasoren - ob Athlet oder Berichterstatter - in ihrer Unterkunft im Stubenarrest abzuwarten, teils vier Stunden, teils über Nacht. Wer positiv ist, muss in Quarantäne; wer negativ ist, kann immer noch nachträglich als Kontaktperson auffallen. Für alle anderen heißt es, dass sie sich bis auf Weiteres frei bewegen können. Wenngleich der Auslauf gleich wieder Grenzen hat: Beim Eintritt ins Hotel wartet jedes Mal das Fiebermessgerät. Und beim Austritt die Sicherheitsschleuse für Mensch und Gerät. Jeder Spaziergang endet ohnehin bereits auf dem Parkplatz vor dem Absperrgitter: mit einem Anpfiff vom Bewacher in Uniform.

Nicht eine Mauer, sondern ein Ring von Mauern. Bei jedem Schritt ein Bollwerk vor Augen: Mit dieser Strategie, so hat der Große Vorsitzende erkannt, drängt man die modernen Eindringlinge zurück. Und anders als einst die Reiterstämme aus dem Norden ziehen sie nach zwei Wochen dann sogar freiwillig wieder ab.

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