Eishockey bei Olympia:Augenringe auch ohne Party

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Tief enttäuscht: die deutschen Eishockey-Spieler nach dem frühen Olympia-Aus. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Nach dem frühzeitigen Olympia-Aus beginnt im deutschen Eishockey die Ursachenforschung. Die zentrale Frage: Wie konnten Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinanderklaffen?

Von Johannes Schnitzler

Ruuuhig, bloß nicht aufregen. Den Niederbayern Christian Künast bringt so schnell nichts aus der Fassung, zumindest ist das der Eindruck, den der Sportdirektor des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) von sich vermittelt: nicht das Corona-Risiko in Peking, nicht ein Szenario, wie es die deutschen Handballer bei der EM in der Slowakei erlebten, als ein Spieler nach dem anderen ausfiel, und schon gar nicht die potenzielle Überwachung durch den chinesischen Staatsapparat. Er habe "an die 1000 Fotos" auf seinem Handy, sagte Künast vor dem Abflug zu den Olympischen Winterspielen, und davon beschäftigten sich die meisten mit dem Thema Essen: "Die können sie gerne sehen." Die Botschaft, die der 50-Jährige mit dem silbergrauen Haar mantraartig wiederholte, lautete: "Wir sind auf alles vorbereitet."

Dann folgte eine Vorrunde mit Niederlagen gegen Kanada und die USA und einem Zittersieg gegen den als viertklassig eingestuften Gastgeber China, und das Aus nach einem 0:4 gegen die Slowakei, das den Weg zur erhofften Medaille schon vor dem Viertelfinale abschnitt. Darauf war nicht einmal Künast vorbereitet, "das lässt sich ja nicht schönreden".

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Das deutsche Eishockeyteam zerbricht in Peking an den eigenen Erwartungen. Es kann nicht an die jüngsten Erfolge anknüpfen - auch, weil sich hinter den Jahrgangsbesten eine Qualitätslücke auftut.

Kommentar von Johannes Schnitzler
Der weitere Weg ist offen: Ob Toni Söderholm Bundestrainer bleibt, muss sich bis Mai entscheiden. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Schon an diesem Donnerstag kehren die Nationalspieler nach Hause zurück: kein rauschendes Fest, kein süß-verträumter Rückflug wie nach der Silbermedaille 2018. Trotzdem waren die Augenringe und die Stimmung tiefschwarz. "Absolut falsche Frage zum falschen Zeitpunkt", beschied Künast einem Reporter auf die durchaus naheliegende Frage nach der Zukunft von Bundestrainer Toni Söderholm, dessen Vertrag nach der WM im Mai ausläuft. Der 43-Jährige soll mit einem Wechsel zu einem besser bezahlten Job im Klub-Eishockey liebäugeln, angeblich buhlen die Adler Mannheim um ihn. Wie es weitergeht? "Ich weiß es nicht", sagte der Finne.

Die Frage nach der Zukunft Söderholms, der bei der Mannschaft hohe Akzeptanz genießt, ist eine der Fragen, die der Sportdirektor Künast dringend zu klären hat. Die anderen betreffen mögliche Fehler vor und während des Turniers. Auch eigene.

Hat Söderholm das Motiv der Goldmedaille überstrapaziert?

War die kleinere Eisfläche in Peking schuld, die nach nordamerikanischem Muster vier Meter schmaler ist als in Europa? Bis zu deren coronabedingter Absage rechneten die Veranstalter ja mit der Teilnahme der Profis aus der NHL. In der Vorbereitung hätte sich das Team an eine solche Fläche gewöhnen können, in Schwenningen, dem einzigen DEL-Standort mit einem Spielfeld nach NHL-Maß. Der DEB entschied sich indes für ein Trainingslager in Mannheim statt 200 Kilometer südlich im Schwarzwald zu proben, wegen der logistisch günstigeren Nähe zum Flughafen in Frankfurt.

Seit eineinhalb Jahren Sportdirektor: Christian Künast, hier als Frauen-Bundestrainer. (Foto: Tomi Hänninen/Newspix24/imago)

Allerdings erklärt das ungewohnte Terrain vielleicht das 1:5 zum Auftakt gegen Kanada, nicht aber die Zitterpartie beim 3:2 gegen China - und schon gar nicht den leblosen Auftritt gegen die Slowakei. Hätte Söderholm personell und taktisch anders entscheiden müssen? Warum berief er etwa Daniel Pietta mit 35 zum Olympia-Debütanten und ließ den Stürmer - laut Söderholm stark im Bully und im Powerplay - dann nach dem zweiten Spiel außen vor? Gerade das Überzahlspiel funktionierte nie, in vier Partien gelang ein einziger Treffer.

Es sind Fragen, die im Nachhinein immer leichter, von außen aber nicht zu beantworten sind. Es sind Fragen, die sich Künast und Söderholm stellen müssen. Die zentrale Frage bleibt: Wie konnten Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinanderklaffen, wenn das Team doch laut Künast "auf alles" vorbereitet war?

"Die Erwartungen waren vielleicht zu groß, wir wollten vielleicht zu viel und zu schnell", sagt Sturm

Künast hat ein kompliziertes Erbe angetreten. Vor knapp eineinhalb Jahren wurde der vormalige Nationaltorhüter und Frauen-Bundestrainer zum Nachfolger des in Ungnade gefallenen Reformers Stefan Schaidnagel befördert. Schaidnagel und der damalige Bundestrainer Marco Sturm, der Akademiker und der Praktiker, hatten von 2015 an eine neue Kultur bei der Nationalmannschaft etabliert, prämiert mit Silber 2018 in Pyeongchang. Schaidnagel ließ die Ausbildung auf ein wissenschaftliches Fundament stellen, Sturm trieb den erfolgsentwöhnten Spielern das Duckmäusertum aus. Künast ist Sturms Schwager und war 2018 dessen Assistent. Mit Schaidnagel pflegte er eine weniger innige Verwandtschaft.

Söderholm versuchte, das von Sturm in der Kabine plakatierte Motto "Believe" weiter zu kultivieren und sprach vor Peking von der Goldmedaille. Hat der Trainer das Motiv überstrapaziert? Sturm, der 2018 als Co-Trainer zu den Los Angeles Kings in die NHL gewechselt ist, sagt: "Die Erwartungen waren vielleicht zu groß, wir wollten vielleicht zu viel und zu schnell." Dennoch spricht er sich dafür aus, dass Söderholm Bundestrainer bleibt: "Er tut der Mannschaft gut. Er hat das weitergeführt und auch besser gemacht, was wir vor vielen Jahren begonnen haben." Wie es im Verband weitergeht, weiß allerdings niemand.

Präsident Franz Reindl steht im Zentrum von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, unter anderem wegen möglicher verdeckter Zahlungen aus seiner Zeit als Geschäftsführer der DEB GmbH. Bei der Präsidiumswahl am 7. Mai wollte er eigentlich nicht mehr antreten, festgelegt hat sich der 67-Jährige aber öffentlich nicht. Söderholm will vor dem WM-Beginn am 13. Mai Klarheit haben. Klingt nach unentspannten Wochen für Christian Künast.

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