Deutsches Eishockeyteam bei Olympia:Raus mit Rumms

Was, bitte, war das? Vier Jahre nach der Silbermedaille von Pyeongchang scheitert das DEB-Team in Peking bereits vor dem Viertelfinale - das 0:4 gegen die Slowakei gibt Rätsel auf.

Von Johannes Schnitzler

Alles auf null setzen. Vergessen, was war. Neustart. Wer hätte nicht schon einmal mit dem Gedanken gespielt, was wäre, wenn er noch einmal von vorne anfangen könnte?

Die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft konnte den Gedanken am Dienstag einmal weiterspinnen. Nach einer durchwachsenen Gruppenphase bei diesen Winterspielen mit zwei Niederlagen gegen Kanada und die USA und einem Sieg gegen Gastgeber China sollte egal sein, was bis dahin gewesen war. Zählen sollten nur die 60 vor ihnen liegenden Minuten gegen die Slowakei. Viertelfinale oder Heimflug? Das war die Frage.

Nach dem 0:4 (0:1, 0:2, 0:1) durch Tore von Libor Hudacek (12. Minute), Peter Cehlarik (28.), Michal Kristof (29.) und Marek Hrivik (58.) stellte sich eine andere Frage: Was, bitte, war das?

Ist das Team an den eigenen Erwartungen gescheitert - oder an den Ansprüchen von außen?

Die Auswahl des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) hat, vier Jahre nach der Silbermedaille von Pyeongchang, nicht nur den Einzug ins Viertelfinale der Winterspiele 2022 verpasst. Sie ist, wie es oft vorschnell heißt, in Peking gescheitert. Verteidiger Korbinian Holzer, zehn Jahre in der nordamerikanischen Profiliga NHL unter Vertrag, sagte: "Wir fahren verdient nach Hause." Raus mit Rumms.

An diesem Mittwoch feiert Holzer seinen 34. Geburtstag - es wird eine leise Feier sein. Kapitän Moritz Müller, der andere Abwehr-Routinier, sagte: "Wir haben heute wie im ganzen Turnier nie zu unserem Spiel gefunden. Das ist sehr bitter jetzt."

Offen blieb, woran das Team von Bundestrainer Toni Söderholm gescheitert war: An den eigenen Erwartungen? An den Ansprüchen von außen? Selbst Söderholm, der vor seiner persönlichen Olympia-Premiere offen von einer Chance auf die Goldmedaille gesprochen hatte, wusste zunächst keine Antwort: "Wir haben als Mannschaft nicht gut genug gespielt und sind nicht auf das Top-Level gekommen, auf dem wir hätten sein müssen. Jeder ist enttäuscht, aber wir verstecken uns nicht vor der Situation."

Deutsches Eishockeyteam bei Olympia: Bundestrainer Toni Söderholm und sein Team müssen Olympia vorzeitig verlassen.

Bundestrainer Toni Söderholm und sein Team müssen Olympia vorzeitig verlassen.

(Foto: Peter Kneffel/dpa)

Zu Spielbeginn waren die Deutschen noch bemüht, die ersten Minuten gegen Kanada oder die USA vergessen zu machen, als sie von Tempo und Härte der Gegner überrascht worden waren. Sie wollten das Spiel aktiv gestalten, so wie sie es sich vor dem Turnier vorgenommen hatten: "Egal gegen welchen Gegner, wir diktieren, was auf dem Eis passiert", hatte Söderholm seinem Team eingebläut.

Das Problem war: Die Slowaken erinnerten sich sehr genau daran, was war. Sie hatten die Gruppenspiele der Deutschen analysiert und wussten um deren Probleme im Spielaufbau. Von Beginn an setzten sie die DEB-Auswahl unter Druck. Sie verriegelten die neutrale Zone, in der das Spiel schnell wird - oder zum Stillstand kommt.

Immer wieder mussten die deutschen Verteidiger abdrehen, suchten eine Anspielstation - und fanden oft keine. Die erste Torchance hatte Nico Krämmer, da waren bereits mehr als acht Minuten gespielt. Die Slowaken dagegen, deren Trainer, der kanadische Charakterkopf Craig Ramsay, 70, seit Jahren körperlich robuste Teams zu internationalen Turnieren schickt, hielten das Spiel einfach. Erbeutete Scheiben trugen sie schnell und schnörkellos vor das deutsche Tor und zogen das Glück auf ihre Seite: Ein Schubserchen von Kristian Pospisil prallte von einer deutschen Schlittschuhkufe an die Stockhand von Mathias Niederberger, Libor Hudacek drückte den Puck schließlich ins Netz (12.).

War es bis dahin ein unglücklicher Auftritt der deutschen Mannschaft, so wurde er danach immer rätselhafter. Statt zu attackieren, zogen sich die Deutschen zurück, sie wirkten ängstlich, unentschlossen, als würde jedes weitere Gegentor bereits das sichere Aus bedeuten. Und wenn sie doch einmal ins gegnerische Drittel kamen, wurden sie hektisch. Patrik Rybar, der slowakische Torhüter, dürfte schon gröbere Störungen seiner Mittagsruhe erlebt haben als an diesem Dienstag: Nur zehn Schüsse brachten die Deutschen in den ersten 40 Minuten auf sein Tor - die Slowaken dagegen deckten Niederberger mit 20 Schüssen ein.

Die Körpersprache der Deutschen vernuschelt zunehmend

Im November beim Deutschland Cup hatten sie die Slowaken 4:1 geschlagen und den Pokal gewonnen, Torschützen damals waren Tobias Rieder (2), Leo Pföderl und Dominik Bittner, alle auch in Peking mit dabei, zumindest auf dem Papier. In einem Testspiel vor einer Woche, in Trainingstrikots, hatten sie die Slowaken 5:3 geschlagen, alles gut, wir sind bereit.

Aber: Sie wollten ja nicht mehr zurückschauen (zumal die Aussagekraft solcher Lockerungsübungen begrenzt ist), sondern nach vorn, Richtung Viertelfinale am Mittwoch gegen die USA. Doch je näher dieses Viertelfinale rückte, zeitlich gesehen, je mehr von der Spielzeit gegen die Slowakei ablief, desto klarer entpuppte sich dieses Viertelfinale als trügerische Luftspiegelung. Wie das Meer in der Wüste, das dem Verdurstenden vorgaukelt, nur ein paar Meter noch, dann...

Nach dem zweiten und dritten Gegentreffer fehlte dem DEB-Team endgültig der Glaube an sich selbst, der Glaube daran, dem "Wunder von Pyeongchang" in Peking ein weiteres Mirakel folgen zu lassen. Die Körpersprache der Deutschen war zunehmend vernuschelt, selbst in Überzahl schleppten sie sich nun übers Eis, als hätten sie als Souvenirs zwei Steine aus der Großen Chinesischen Mauer in ihre Schlittschuhe gepackt. Nur Dominik Kahun versuchte anzuschieben, agierte aber zusehends als Solist in einem Orchester mit unterschiedlichen Notenblättern. "Wir haben es auf dem Eis nie geschafft, wirklich als Einheit zu spielen", sagte Kapitän Müller.

Niederberger verhinderte eine höhere Niederlage, und als er ging, um einem weiteren Feldspieler Platz zu machen, versetzte Marek Hrivik den deutschen Ambitionen den letzten tödlichen Stoß (58.).

Nichts war in Peking zu erkennen von jener kämpferischen Bravour, von der Verve, mit der sich Krämmer oder Tom Kühnhackl bei der WM 2021 in Schüsse der Gegner warfen, schon gar nichts von der spielerischen Brillanz, mit der sie in Riga ins Halbfinale gestürmt waren, goldene Zeiten vor Augen, eine Medaille in China, mindestens. 21 Spieler aus dem 25-köpfigen WM-Kader von 2021 waren in Peking dabei, hach ja, aber es waren nicht dieselben.

"Der Frust darüber, wie wir uns präsentiert haben, den muss man erst mal sacken lassen", sagte Angreifer Patrick Hager. Nicht jeder wird die Frustbewältigung so schnell umsetzen wie David Wolf, der sich gegen Hudacek kurz vor Schluss einen Faustschlag leistete. "Wir sind heute auf die Schnauze gefallen, werden jetzt das Geschehene analysieren und dann wieder aufstehen", sagte Korbinian Holzer. Die Fragen nach dem Warum werden sie noch eine Weile begleiten.

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