Olympia-Aus im Eishockey:Wie ein Fahrschüler, der schon den Lamborghini bestellt hat

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Erdrückend: Torhüter Mathias Niederberger ist im Playoff-Spiel gegen die Slowakei zum ersten Mal geschlagen. (Foto: Matt Slocum/Getty)

Das deutsche Eishockeyteam zerbricht in Peking an den eigenen Erwartungen. Es kann nicht an die jüngsten Erfolge anknüpfen - auch, weil sich hinter den Jahrgangsbesten eine Qualitätslücke auftut.

Kommentar von Johannes Schnitzler

Wenn Träume platzen, tun sie das manchmal leise, in stiller Verzweiflung; und manchmal mit einem Knall, wie am Dienstag in Peking: 0:4 gegen die Slowakei, vorbei die Chance auf die nächste Olympia-Medaille für das deutsche Eishockeyteam nach Silber 2018 in Pyeongchang. Von Gold hatten sie vorher geträumt. Nun ist alles anthrazitgrau.

An Erfahrung bei großen Turnieren hat es dem Kader nicht gemangelt. 21 von 25 Spielern, die bei der WM 2021 das Halbfinale erreichten, waren in Peking dabei, immerhin noch zehn Spieler aus der Silber-Mannschaft von Pyeongchang. "Wir hatten andere Ansprüche an uns selber", sagte Verteidiger Korbinian Holzer. Doch auch das gehört zur Wahrheit des Scheiterns der Deutschen an ihren eigenen Erwartungen: Auch fünf Spieler jener Mannschaft, die in der Qualifikation zu den Spielen 2014 an Österreich verzweifelte, standen in Peking auf dem Eis.

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Was, bitte, war das? Vier Jahre nach der Silbermedaille von Pyeongchang scheitert das DEB-Team in Peking bereits vor dem Viertelfinale - das 0:4 gegen die Slowakei gibt Rätsel auf.

Von Johannes Schnitzler

Sotschi fand ohne die deutschen Männer statt. 2018 holten sie Olympia-Silber. Und nun: Aus vor dem Viertelfinale. Wie das Spiel auf der kleineren, nach nordamerikanischem Maßstab kalibrierten Eisfläche ging bei den Deutschen zuletzt vieles zu schnell. Wenn Hochbegabte in der Schule ein oder gar zwei Jahrgangsstufen überspringen, kann es vorkommen, dass ihre Reifeentwicklung dem Talent nicht hinterherkommt.

Hinter den Jahrgangsbesten tut sich bei der Nationalmannschaft eine Qualitätslücke auf

Zumal, wenn das Talent plötzlich abhandenkommt. Das Fehlen der NHL-Profis wurde zwar als Vorteil für die kleineren Nationen interpretiert, denn es nivelliert vermeintlich die Unterschiede zu den Branchengrößen wie Kanada. Aber den Deutschen fehlten eben auch die Talente, die bei der WM 2021 begeisterten, Moritz Seider, 20, und Leon Gawanke, 22, John Peterka, 20, und Lukas Reichel, 19. Die "Berliner Reihe" mit Reichel, Marcel Noebels und Leo Pföderl häufte damals in zehn WM-Spielen sieben Tore und zwölf Vorlagen an. Ohne Reichel, mittlerweile in Chicago unter Vertrag, kamen Noebels und Pföderl, zwei Topstürmer in der Deutschen Eishockey Liga, in Peking gemeinsam auf: eine Vorlage. Hinter den Jahrgangsbesten, das zeigten diese Spiele, tut sich eine Qualitätslücke auf.

Dem deutschen Team droht nach dem Aus in Peking der Verlust von Platz fünf in der Weltrangliste, die wichtig ist für die nächsten Olympischen Spiele. Am 13. Mai beginnt die nächste WM, in Finnland, der Heimat von Bundestrainer Toni Söderholm, dessen Vertrag am Saisonende ausläuft. Söderholm gilt als Wunschkandidat der Adler Mannheim, vor der WM will er Klarheit haben, wie der Verband plant. Der DEB trifft sich indes erst am 7. Mai, sechs Tage vor WM-Beginn, zur Wahl eines neuen Präsidiums. Gegen Amtsinhaber Franz Reindl laufen Ermittlungen wegen möglicher verdeckter Zahlungen und Insolvenzverschleppung.

Kapitän Moritz Müller sagt: "Wir alle wünschen uns, dass Toni weitermacht." Er fände es falsch, "nach den ganzen Jahren der Aufbauarbeit jetzt nach einem Turnier alles ändern zu wollen". Auch Müller hatte vor dem Turnier von Gold gesprochen. Nun wirkte er wie ein Fahrschüler, der nach den ersten drei Stunden hinter dem Steuer schon mal den Lamborghini bestellt hat - und dann in der Theorieprüfung durchrasselt. "Es ist nicht falsch, Träume zu haben", sagt Müller. Das Problem an Träumen ist nur, dass sie sich selten mit der Realität decken.

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