Oliver Bierhoff im Gespräch:"Wirf bitte woanders hin!"

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DFB-Teammanager Oliver Bierhoff über die Müdigkeit seiner Nationalspieler, den Streit mit dem FC Bayern um künftige Testspiele der Nationalmannschaft und gestresste 15-jährige Talente.

Moritz Kielbassa und Christof Kneer

SZ: Herr Bierhoff, jetzt, da die deutsche Elf fast qualifiziert ist, können Sie's ja verraten: Gibt es schon endgültige Neuigkeiten bei Ihrer Quartiersuche für die EM 2012? Der DFB soll sich auf Polen und den Großraum Danzig festgelegt haben - auf ein Hotel in einem altertümlichen, ruhig gelegenen Herrenhaus, das übersetzt "Tal der Freude" heißt.

"Die Zeitfenster werden immer kleiner": Oliver Bierhoff sorgt sich um seine Nationalspieler. (Foto: getty)

Bierhoff: Die Gespräche laufen noch, aber Polen ist favorisiert, wegen der besseren Infrastruktur.

SZ: Vor dem letzten Saisonspiel in Aserbaidschan ist die Müdigkeit der Spieler das große Thema. Wird es also im EM-Sommer 2012 neben einem echten Trainingslager auch wieder ein Regenerationslager zum Entspannen geben?

Bierhoff: Das planen wir. Wir haben ja auch in der nächsten Saison wieder das Problem mit dem späten Pokal- und dem Champions-League-Finale.

SZ : Wegen der Länderspiele in Wien und Baku ist die Sommerpause auch 2011 ziemlich kurz, und das ohne großes Turnier. Haben Sie Sorge, dass die Nationalspieler auch in die kommende EM-Saison unausgeruht einsteigen?

Bierhoff: Die Belastung für die Topspieler ist immer sehr hoch. Man sollte das zwar niemandem ständig einreden, aber nehmen wir mal Mesut Özil: Der hatte eine kraftraubende WM, kaum Pause, dann der Wechsel zu Real Madrid - eine neue Herausforderung, die ihn sicher noch etwas mehr Energie kostete als andere Spieler in ihrem bekannten Umfeld. Trotzdem denke ich, dass es bei unserem Team noch erträglich ist. Es gibt ja Spieler, die müssen jetzt noch zur Copa America. Und die spanischen Nationalspieler haben in den letzten Jahren im Schnitt sieben Spiele mehr gemacht als wir.

SZ: Durch die Verlegung des Champions-League-Finales auf einen Samstag wurde der Rahmentermin-Kalender noch weiträumiger abgesteckt.

Bierhoff: Die Zeitfenster werden immer kleiner. Es ist deshalb gut, dass viele Klubs, wie der FC Bayern, den Spielern jetzt drei Wochen Pause geben. Bei der heutigen Belastung heißt es, immer auf Kopf und Körper zu achten. Topspieler stehen ständig im öffentlichen Mittelpunkt, das belastet auch den Kopf.

SZ: Woran merkten Sie das in diesen Tagen bei den Spielern konkret?

Bierhoff: An der Serie von Verletzungen, und mir fällt auf: Mertesacker, Schweinsteiger, Lahm, Podolski, das sind alles Spieler, die 2005 den Confed-Cup spielten, 2006 die WM, 2008 die EM, 2010 die WM - wo wir immer weit gekommen sind. Ich sehe allgemeine Müdigkeit aber auch an kleinen Dingen.

SZ: Zum Beispiel?

Bierhoff: Zum Beispiel bei unseren Einwürfen gegen Österreich: Da hatte keiner mehr die Kraft und den Willen, sich richtig anzubieten, das lief nach dem Motto: Wirf bitte woanders hin! Alle haben das Training hier gut durchgezogen, aber diese letzten Spiele sind eine zähe Sache. Gegen Österreich hatten wir ungewohnt viele Fehlpässe, unbedrängt, da fehlte die Konzentration und Frische.

SZ: Tun insofern die jungen neuen Gesichter gut: Hummels, Schmelzer, Götze, Höwedes, Schürrle, Holtby, Rudy?

Bierhoff: Klar. Diese Spieler machen wieder ein bisschen Druck. Und ihre Belastung ist auch nicht ganz so hoch bei denjenigen, die alle Länderspiele mitgemacht haben.

Nationalelf: Einzelkritik
:Trauma-Besieger in der Wundertüte

Torhüter Manuel Neuer erinnert an einen dunkelgrünen Heuhüpfer, Arne Friedrich ist längst kein "TitArne" mehr und Mario Gomez spielt plötzlich ein bisschen wie Miroslav Klose. Die deutsche Nationalelf beim 2:1 gegen Österreich in der Einzelkritik.

Thomas Hummel, Wien

SZ: Über den Terminkalender der Fifa wird gerade wieder heftig debattiert. Bundestrainer Joachim Löw sagt selbst, dass er mit Testspielen im Februar oder im August nicht viel anfangen kann - das klingt fast nach einer Annäherung an die Forderungen der Vereine.

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Torhüter Manuel Neuer erinnert an einen dunkelgrünen Heuhüpfer, Arne Friedrich ist längst kein "TitArne" mehr und Mario Gomez spielt plötzlich ein bisschen wie Miroslav Klose. Die deutsche Nationalelf beim 2:1 gegen Österreich in der Einzelkritik.

Thomas Hummel, Wien

Bierhoff: In dem Punkt sind wir uns auch alle einig. Der August-Termin, direkt nach dem ersten Bundesliga-Spieltag, ist nicht glücklich, das hat Jogi Löw intern schon vor der WM 2010 gesagt. Der Plan der Uefa und Fifa, künftig möglichst viele Doppelspieltage einzubauen und die Termine im Februar oder August abzuschaffen, kommt auch uns entgegen. Aber klar ist und bleibt: Wenn wir eine starke Nationalmannschaft haben wollen, können wir nicht nur Quali-Länderspiele bestreiten. Wir müssen auch Testspiele absolvieren.

SZ: Klubs wie der FC Bayern drängen auf Entzerrung des Terminplans: durch Verzicht auf Test-Länderspiele.

Bierhoff: Die Nationalelf macht mehr als 80 Prozent des Umsatzes beim DFB aus - wir geben aber nur 30 Prozent aus. Der Rest fließt zur Basis, und von dort kommen die Profispieler von morgen. Je mehr wir als Nationalelf einnehmen, desto mehr kassiert die Liga im Rahmen des Grundlagenvertrags. Außerdem: Je besser wir spielen, desto besser ist die Auslandsvermarktung der Liga. Die ist nicht alleine so gut, behaupte ich mal, weil Bayern oder Dortmund so erfolgreich spielen. Asiatische oder afrikanische Fans wollen im TV die Besten sehen, die Nationalspieler, die sie vor allem von der WM kennen. Özil, Schweinsteiger, Lahm, Müller - diese Spieler und der ganze deutsche Fußball profitieren in puncto Image immer wieder von der Nationalelf.

SZ: Sie lehnen also eine Reduzierung von Länderspielen ab?

Bierhoff: Es geht darum, dass wir für eine bessere Struktur sorgen. Ich habe ja gerade den Trainerschein gemacht ( A-Lizenz, d. Red.), da haben wir uns auch über die mittlerweile schon sehr hohe Belastung unserer Elite-Jugendspieler unterhalten. Man wünscht sich da schon eine ordnende Hand, die alles steuert. Im US-Sport geht das, weil dort alles sehr zentralistisch ist. Selbst auf dem College, in der Ausbildung, gibt es klare Zeiten für Pausen, in denen nicht trainiert wird. In unserem System haben alle Interessen: Vereine, Nationalverbände, Uefa, Fifa - und sobald einer irgendwo nachgibt, marschiert der nächste vor.

SZ: Auf Kosten der Sportler.

Bierhoff: Das ist die Gefahr.

SZ: Also ist es einseitig, wenn Karl-Heinz Rummenigge immer nur über die vielen Test-Länderspiele schimpft?

Bierhoff: Die Bayern selbst spielen unmittelbar vor der EM 2012 gegen die Niederlande - ein Termin, der uns natürlich sehr weh tut. Das ist ein Freundschaftsspiel, bei dem es ums Geld geht - genau jenes Motiv also, das uns stets vorgeworfen wird. Und auch wir haben uns den Bayern schon öfter zur Verfügung gestellt: für Oliver Kahns Abschiedsspiel oder für die Eröffnung der Münchner Arena.

SZ: Wie finden Sie vor diesem Hintergrund Rummenigges jüngste Wortmeldungen? Er fordert für die Nationalelf: sechs Qualifikationsspiele, alle zwei Jahre ein Turnier, kaum noch Testspiele, basta!

Bierhoff: Das sollten wir gelassen bleiben und die Argumente vorbringen, die wir ja haben. Wir arbeiten alle professionell und versuchen das Beste für unseren Arbeitgeber zu erreichen. Da wird es immer Interessenskonflikte geben. Die muss man auch klar benennen dürfen.

SZ: Sie haben sich inzwischen dafür entschieden, bei Testspielen bewusst starke Gegner ins Programm zu nehmen.

Bierhoff: Und dabei bleibt es auch. Wünschenswert wäre es aber, Termine zu bündeln und Länderspiele mehr in Blöcken zu bestreiten. Für die Bundesliga-Klubs sind im Übrigen eher die Südamerikaner ein Problem, die bei der Copa Amerika spielen oder während der Saison hin- und herfliegen müssen. Oder die Afrikaner, die im Januar ihre Kontinentalmeisterschaft bestreiten, wenn die Bundesliga spielt.

Deutschland-Uruguay in Bildern
:Sogar Mario Gomez trifft

Bayern-Stürmer Mario Gomez schießt seit Ewigkeiten sein erstes Tor im Nationaltrikot, auch André Schürrle feiert einen besonderen Tag. Und Bundestrainer Joachim Löw? Wechselt fröhlich durch.

Das Länderspiel in Bildern

SZ: Wer soll die Hand sein, die von oben Ordnung schafft?

Bierhoff: Es müssen die großen Verbände sein. Wie gesagt: Jetzt findet mitten in unserem Sommer die Copa America statt. Käme Brasilien dort ins Finale, bestreiten sie am 10. August, nur eine Woche später, das Spiel bei uns in Stuttgart, ohne Pause für die Spieler. Wenn ich mir diese Termindichte anschaue, muss ich schon sagen: Die Karriere-Zeit von Topspielern wird kürzer werden. Wie aufwendig Messi oder Ronaldo spielen - ich kann ich mir schwer vorstellen, dass das bei ihnen mit 30 Jahren noch auf diesem hohen Niveau geht. Nach zehnmal Champions-League-Halbfinale, immer mit Druck und den vielen Reisen.

SZ: Die Belastung sorgt dafür, dass die Sportart immer jugendlicher wird?

Bierhoff: Früher war es ja so: Die Sportartikelhersteller haben Weltstars über Jahre für sich aufgebaut. Jetzt werden Stars schon in jungen Jahren für vier, fünf Jahre gepowert. Oder das Programm unserer 15-Jährigen in den Eliteschulen: Die haben morgens, mittags, abends Fußball - und kaum Urlaub. Die Konzepte in der Nachwuchsarbeit sind besser geworden, aber man muss schon aufpassen, dass das nicht alles zu eindimensional wird.

SZ: Sie plädieren also für Korrektive wie in den USA?

Bierhoff: Nehmen Sie den Streik in der NFL: Da geht's auch um Geldverteilung, aber ein Punkt ist auch: Die Besitzer wollen 17, 18 Spiele, die Spieler nur 16. Natürlich will man immer wachsen. Aber wenn alle etwas weniger Einnahmen hätten, wäre der Wettbewerb gleich und die Qualität vielleicht ein bisschen höher.

SZ: Gibt es eigentlich noch Bestrebungen, kleine Länder wie Aserbaidschan in eine Vor-Qualifikation zu schicken, so dass großen Nationen wie Deutschland ein paar Spiele erspart blieben?

Bierhoff: So lange Länder wie Kasachstan oder Aserbaidschan in der Fifa genauso eine Stimme haben wie der DFB, wird sich am Modus kaum etwas ändern. Für diese Nationen ist ein Spiel wie das gegen uns der Höhepunkt, das ist in deren Verbands-Haushalt für viele Jahre enorm wichtig. Als Fußball-Romantiker kann man sagen: So muss das sein, auch die Kleinen sollen teilhaben am großen Spiel. Ich find's auch nicht riesig störend, solche Spiele sind verkraftbar. Allerdings: Wenn von 2016 an 24 Länder an der EM teilnehmen, wird die Qualifikation noch uninteressanter.

SZ: 24 - das sind fast die Hälfte aller Uefa-Mitgliedsländer.

Bierhoff: Eben. Ich finde aber im Übrigen auch, dass die Vorrunde in der Champions League inzwischen oft etwas langatmig ist. Überall ein bisschen komprimieren - davon wäre ich kein Gegner.

SZ: Dann wäre Ihnen eine Reise wie jetzt nach Baku vielleicht zu ersparen.

Bierhoff: Theoretisch hätten wir auch beantragen können, diesen Termin auszulassen - aber dann hätte das Puzzle anders aufgehen müssen. In einer Sechser-Gruppe müssen eben manche im Juni zweimal spielen. Hätten wir das Aserbaidschan-Spiel unter der Saison gemacht, wäre ein Testspiel weggefallen, das kostet den DFB etwa sechs Millionen Euro. Und man kann die Juni-Zeit auch anders nutzen: Die Spanier sind gerade in Amerika, die Niederländer fliegen zu einem Test nach Uruguay. So eine Reise würde ich auch mal wieder gerne mit unserer Mannschaft machen. China, Thailand, Südamerika - so etwas hat uns als Gruppe immer näher zusammengebracht.

SZ: War es nicht ein listiger Zug von Karl-Heinz Rummenigge, als Chef der europäischen Kluborganisation ECA, wegen der politischen Turbulenzen bei der Fifa generell mehr Einfluss für die Vereine zu fordern?

Bierhoff: Man sollte respektieren, dass die Klubs es sind, die die Spieler zum Großteil bezahlen. Ich kann den Ärger der Bayern verstehen, wenn Arjen Robben schwer verletzt von der WM zurückkommt, wenn sich Verbände nicht korrekt verhalten. Unsere Zusammenarbeit mit den Vereinen ist jedenfalls gut. Aber es gibt immer auch die andere Seite: Der VfB Stuttgart hätte nie so viel Geld für Sami Khedira von Real Madrid bekommen ohne seine Leistungen bei der WM. Schweinsteiger, Lahm, Podolski - ohne die Turniere mit der Nationalelf hätten die sich nie so entwickelt. Da helfen wir auch den Vereinen.

SZ: Sie verstehen es, wenn der FC Bayern im Saisonfinale um die Champions League kämpft und sich Bastian Schweinsteiger mit gebrochener Zehe durch die letzten Spiele schleppt - und er danach die Länderspiele absagen muss?

Bierhoff: Ich glaube nicht, dass die Bayern das bewusst in Kauf genommen und gesagt haben: Wir machen das so - und er kann dann sicher nicht zur Nationalelf. Ich hatte in den letzten Jahren auch nie das Gefühl, dass uns Spieler absichtlich vorenthalten wurden - bei Bastian ist das schon gar nicht vorstellbar. Der will immer spielen.

© SZ vom 07.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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