Mesut Özil:Das nächste Foto mit Erdoğan

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Mesut Özil und seine Verlobte Amine Gülşe treffen Präsident Erdoğan am Flughafen. (Foto: AP)
  • Mesut Özil hat den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan offenbar zu seiner Hochzeit eingeladen. Sollte der Präsident kommen, wird er wohl wie in der Vergangenheit bei anderen Hochzeiten das Amt des Trauzeugen übernehmen.
  • Auf einem Foto am Istanbuler Flughafen sieht man, wie Özil im Beisein seiner Verlobten Amine Gülşe Erdoğan etwas überreicht.
  • Berliner Politiker wie Cem Özdemir oder Sawsan Chebli kritisieren den Ex-Nationalspieler scharf.

Von Christiane Schlötzer, Istanbul

Auf dem Istanbuler Atatürk-Airport gibt es einen Raum, da hängt das Emblem des Präsidenten an der Wand. Empfängt Recep Tayyip Erdoğan dort Gäste, ist immer klar, wer hier der Hausherr ist, und der rote Sternenkreis und die türkische Flagge sind auf allen Fotos drauf. Mesut Özil, blauer Anzug, weißes Hemd, sehr schmal, wirkt tatsächlich schüchtern, wie ein guter türkischer Junge, als er dem Präsidenten seine Hochzeitseinladung überreicht. Erdoğan macht ein ernstes Gesicht. Amine Gülşe, Özils Verlobte, 25, Model und Schauspielerin, deutet ein Lächeln an.

In der Türkei ist gerade wieder einmal Wahlkampf, und der Präsident ist der oberste Wahlkämpfer, der das "Überleben" der Republik in Gefahr sieht und doch vor allem um sein eigenes politisches Überleben kämpft. Da kommt Özil gerade recht. Der ehemalige deutsche Nationalspieler ist in der fußballverrückten Türkei bis heute ein Held. Das "Familien"-Foto vom Flughafen findet über die staatliche Agentur Anadolu den Weg auf fast alle türkischen Nachrichtenwebseiten.

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Mesut Özil wollte seit seiner Kindheit vor allem nur eines: Fußball spielen. Dass er als einer der Besten seines Sports jetzt nicht mehr im Nationaltrikot auflaufen will, ist das seltsame Ende einer Eskalation mit vielen Akteuren.

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"Hab Özil damals verteidigt ... Finde es verantwortungslos", schreibt SPD-Politikerin Chebli

Auch im Mai 2018 war in der Türkei Wahlkampf, als die beiden damaligen Nationalmannschafts-Mitglieder Mesut Özil und Ilkay Gündoğan Erdoğan in London ihre britischen Vereinstrikots schenkten. Entweder hat Özil, 30, nun nicht auf den türkischen Wahlkalender geschaut, weil er sich wirklich nicht für Politik interessiert, wie er früher einmal sagte, oder es ist ihm inzwischen schlicht egal, was nun wieder kommentiert werden dürfte, weil es schlimmer als in der Trikotaffäre ja nicht mehr kommen kann. Und schließlich ist Özil ja nicht mehr in der deutschen Nationalelf, womit es eigentlich seine Privatsache sein könnte, wenn er sich Erdoğan als Ehrengast und Trauzeugen bei seiner Hochzeit im Sommer wünscht.

Nur leider ist eben auch das Private oft politisch, und gerade Menschen, die mehr als eine Heimat haben, kennen das nicht selten aus eigener, auch bitterer Erfahrung. Özil hatte nach der Kritik im vergangenen Jahr erst lange geschwiegen. Als er sich dann zur Wehr setzte, nach der verpatzten WM und einem Foul aus dem DFB, sprach er vielen Deutsch-Türken aus dem Herzen: Özil sagte, für DFB-Chef Reinhard Grindel sei er "Deutscher, wenn wir gewinnen, und ein Immigrant, wenn wir verlieren". Das konnte man durchaus breiter verstehen, nicht nur auf das Fußballfeld bezogen. Danach sprachen viele Menschen mit Migrationsgeschichte in Deutschland über erlebte und gefühlte Diskriminierung.

Auslöser des ganzen Wahnsinns: Mesut Özil überreicht dem türkischen Präsidenten Erdogan im März 2018 ein Trikot des FC Arsenal. (Foto: Kayhan Ozer/AFP)

Özil hatte eine nicht unwichtige Debatte angestoßen. Sawsan Chebli, SPD-Politikerin und Staatssekretärin in Berlin mit palästinensischen Eltern, sagte damals: "Dass Özil geht, ist ein Armutszeugnis für unser Land. Werden wir jemals dazugehören? Meine Zweifel werden täglich größer... Und das tut weh." Ähnlich äußerten sich viele Deutsch-Türken. Und auch diese Stimmung wusste Erdoğan zu nutzen: "Patriotisch" nannte er Özils Rücktritt aus der Nationalelf und ließ wissen, dass er telefonisch den FC-Arsenal-Star mit den Worten getröstet habe: "Ich küsse seine Augen."

Ob Erdoğan zur Hochzeit von Mesut und Amine kommen wird, die wohl in der Türkei stattfindet, ist nicht bekannt. Tut er das, übernimmt der Fußballfan sicher gern das Amt des Trauzeugen, wie er es schon bei Arda Turan (früher FC Barcelona, nun Başakşehir) oder Gökhan Töre (früher HSV, nun Beşiktas Istanbul) getan hat. "Jeder Mensch darf zu seiner Hochzeit einladen, wen er will", sagt der Grünen-Politiker Cem Özdemir. Ehemalige und aktive Nationalspieler aber hätten eine Vorbildfunktion und müssten sich fragen, ob sie dieser gerecht werden, wenn sie sich für Fotos mit "Autokraten hergeben".

Özdemir findet, dieser Maßstab gelte aber auch für Rekordnationalspieler Lothar Matthäus oder Bundeskanzler a. D. Gerhard Schröder, "die sich ebenfalls zu schade sein sollten, um mit Putin Erinnerungsfotos zu machen." Und Chebli twitterte jetzt, enttäuscht: "Hab Özil damals verteidigt ...Er ist Vorbild für Millionen junger Menschen. Finde es verantwortungslos."

Den türkischen Sender NTV interessierte am Montag mehr, ob Özil für das Brautkleid tatsächlich 500 000 Lira (80 000 Euro) ausgeben wolle. Diesmal sprach die Verlobte: "Es kommt nicht in Frage, dass wir uns so zur Schau stellen." Das wäre vielleicht vorher schon eine Überlegung Wert gewesen.

© SZ vom 19.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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