Basketball:Der Fluch der guten Tat

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Sinnbild: Im Pokal-Final-Four kam die wertvollste Spielerin noch aus Nördlingen (Erika Davenport, oben). Große Klubs wie Alba Berlin (Laina Snyder) werden trotzdem bald vorbeiziehen. (Foto: Tilo Wiedensohler/camera4+/Imago)

Während Deutschlands Frauenbasketball einen internationalen Aufschwung erlebt, dümpelt die Bundesliga seit Jahren vor sich hin. Nun holt sie Reformen nach - bei denen auch etablierte Klubs kaum nachkommen. Pokalfinalist Nördlingen droht sogar das Aus.

Von Andreas Liebmann

Sekundenbruchteile blieben. 163 Jahre nach der Gründung des TSV Nördlingen, 71 Jahre nach der Gründung seiner Basketballabteilung, 16 Jahre nach dem Erstliga-Aufstieg des Frauenteams und dessen Ausgliederung zur BG Donau-Ries war nur noch diese Winzigkeit übrig, die über den bislang größten Erfolg in der Geschichte der Nördlinger Angels entscheiden sollte.

120 Sekunden Restspielzeit waren noch auf der Uhr gestanden, als Mariam Haslé-Lagemann frei stehend jenen vielleicht vorentscheidenden Korbleger vergab, der ihr Team im Pokalfinale mit 74:69 in Führung gebracht hätte gegen die Hannover Luchse. Zehn Sekunden waren es, als Lisa Berthold beim vermeintlich letzten Sprungwurf geblockt wurde. 2,8 Sekunden, nachdem Naomi Davenport die gegnerische Centerin beim Gegenzug gefoult und diese das mit zwei Freiwürfen zur 73:72-Führung für Hannover genutzt hatte. Und dann eben noch der Bruchteil eines Sekündchens, in dem die ehemalige Hannoveranerin Nicole Brochlitz, die in Nördlingen zur besten Nachwuchsspielerin der Liga gereift ist, den allerletzten Wurf abgab - der danebenging.

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Seit 15 Jahren spielen die Angels Nördlingen in der ersten Bundesliga der Frauen - mit einem der kleinsten Etats, aber mit großer Leidenschaft der vielen Ehrenamtlichen. Im Playoff-Viertelfinale um die deutsche Meisterschaft geht es gegen Osnabrück.

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Was wäre das für eine Pointe gewesen, nicht nur für die 20-jährige Brochlitz, sondern vor allem für ihr Team: wenn sie mit diesem Wurf ihren ersten deutschen Titel gewonnen hätten. Denn eigentlich waren an jenem Pokalwochenende ganz andere Dinge über die Angels geredet worden: über die sehr akute Gefahr nämlich, dass sie aufgeben müssen nach der Saison; dass sie sich nach 16 Jahren Erstligazugehörigkeit aus dem Profibasketball zurückziehen werden.

Gegen Turnhallenflair soll es LED-Glasböden oder Rollböden geben

Im deutschen Frauenbasketball war zuletzt viel von historischen Erfolgen die Rede, seit das Nationalteam sich erstmals für Olympia qualifiziert hat. Die Nationalspielerinnen, die fast alle im Ausland tätig sind, hatten das Scheinwerferlicht der jüngsten EM und der Olympia-Quali allerdings auch dazu genutzt, drastisch all die Unzulänglichkeiten der heimischen Liga anzuprangern. Der Tenor: Ihr Erfolg kam nicht dank der ersten deutschen Liga (DBBL), sondern trotz des bemitleidenswerten Zustands dieser Spielklasse zustande. Weil an dieser Einordnung viel Wahres ist, und weil Deutschland 2026 eine Heimweltmeisterschaft ausrichten wird, soll sich dort nun sehr viel in kurzer Zeit verändern - und kleine Standorte wie die Kreisstadt Nördlingen mit ihren gut 20 000 Einwohnern stehen dadurch vor riesigen Herausforderungen.

Die Auflagen, die allen Erstligateams seit dieser und für die nächsten Spielzeiten gemacht werden, sind teuer. Sie betreffen die Kapazitäten und Böden aller Spielstätten, die Korb- und Anzeigeanlagen, die Verpflichtung zu hauptamtlichen Angestellten, Vorgaben für VIP-Bereiche und Security und vieles mehr. Allein zwei verpflichtende Angestellte für Jugendarbeit und Verwaltung hat die BG Donau-Ries mit 49 000 Euro Zusatzkosten veranschlagt, ein Rollboden gegen Turnhallenflair (als Alternative zu LED-Glasböden) wäre ähnlich teuer und mit viel Arbeitsaufwand verbunden. Das würden sie hinbekommen, ihre Halle allerdings wird auch für Schulsport genutzt - bei Spielen unter der Woche würde es schwierig werden mit ausrollbarem Boden.

Mit 300 000 Euro hatte der Verein am Nordrand der Schwäbischen Alb vor der Saison einen Rekordetat zusammengetragen, der im Ligavergleich trotzdem zu den kleineren zählt. Künftig wird dieses Geld bei Weitem nicht ausreichen. Obwohl sich der Namenssponsor Eigner langfristig engagiert, brauche man eine zusätzliche Anschubfinanzierung "im oberen fünfstelligen Bereich" für all die neuen Aufgaben, sagt Sportvorstand Martin Fürleger. So steht es in einer Art Hilferuf, den der Verein formuliert hat. Es ist ein Appell an die Lokalpolitik und alle potenziellen Unterstützer, eine Bitte um Spenden und Sponsoring. Wenn man bis Ende April nicht mindestens 75 000 Euro auftreibe, so ist aus dem Verein zu hören, könne man keine Lizenz beantragen - auch nicht für die zweite Liga.

In vielem, was professionellere Außenwirkung erzielt, waren sie im Ries Vorreiter

Dass da gerade viel auf die Vereine zukommt, ist Andreas Wagner klar. Der Vorsitzende der DBBL hat am Wochenende auch die Gründe benannt: Viele Standards habe man über die Jahre verpasst, sei "der Entwicklung hinterhergelaufen", sagte er bei der Pokalübertragung dem Saarländischen Rundfunk. Die Liga habe vieles "verschlafen". Der Verband habe zuletzt viel mehr für den Frauenbasketball getan, so Wagner, nun müsse auch die DBBL nachziehen bis zur Heim-WM: "Wenn wir die Chance bis September 2026 nicht nutzen, dann haben wir sie verspielt."

Die Nördlinger trifft diese Mammutaufgabe zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Denn der aktuelle Erfolg - also das Erreichen des Pokal-Final-Fours vom vergangenen Wochenende sowie der nun startenden DBBL-Playoffs - bedeutet tatsächlich erhebliche Mehrkosten. Und der Fluch der guten Tat ist nicht die einzige Ironie, die in dieser Geschichte steckt. Die berechtigten Appelle aus der Nationalmannschaft kamen ja vor allem von Luisa Geiselsöder, Leonie Fiebich und Svenja Brunckhorst, die einst für Nördlingen (Geiselsöder) und den TSV Wasserburg spielten. Nun bringen die Reformen ausgerechnet die Nördlingen Angels in Not und dürften den ehemaligen Serienmeister Wasserburg, der die Zweitligatabelle im Süden anführt, vom möglichen Wiederaufstieg abhalten.

Für die erste Liga habe man "weder die organisatorischen noch finanziellen Voraussetzungen", fürchtet Bastian Wernthaler, Wasserburgs Vorsitzender und ehemaliger Nationaltrainer. Er findet die neuen Standards unverzichtbar, auch wenn zu befürchten sei, dass dadurch "ein paar Klubs rausfallen". Zu weit klaffe das Niveau von Nationalteam und Liga auseinander.

Es werden wohl größere Klubs sein, wie Alba Berlin, die mit den Herausforderungen leichter klarkommen, und solche, die Unterstützung aus der Politik erfahren. In Nördlingen, erläutert Klubsprecher Nils Gerstmeier, habe die ehrenamtliche Struktur bisher bestens funktioniert, man sei auch mit ihr professioneller organisiert gewesen als die eigene Liga. Das stört sie etwas am Zwang zum Hauptamt. Den Reformbedarf der Liga bestreitet auch hier niemand. Im Gegenteil: Eine LED-Bande, wie sie nun gefordert wird, haben die Angels aus eigenem Antrieb schon längst angeschafft, und als einzige senden sie einen hochwertigen Livestream mit handgeführten Kameras. In vielem, was zur professionelleren Außenwirkung beitragen soll, war man im Nördlinger Ries Vorreiter.

Die Gespräche mit der Stadt, heißt es, seien zuletzt "desillusionierend" verlaufen, dabei zahle man mehr Steuern, Abgaben, Mietkosten an die Kommune, als man Unterstützung von ihr erhalte. Der Hilferuf des Klubs trägt den Titel: "Was sind die Angels den Riesern wert?" Sie werden es herausfinden. Nicht in Sekunden, aber in wenigen Wochen.

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