Niederlage für 1860 München:In Überzahl mürbe gemalmt

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Sechziger Leonardo gegen Lauterns Chris Löwe: Zuerst lag der TSV 1860 noch 2:0 vorne - um dann 3:2 besiegt zu werden. (Foto: Matthias Hangst/Getty Images)

Die Löwen verlieren in Kaiserslautern 2:3 - nach 2:0-Führung und in Überzahl, in einer denkwürdigen Partie. Der stets erstaunliche 1860-Trainer Moniz verblüfft nicht nur mit der Kapitänswahl. Dann schenkt seine Mannschaft das Spiel her.

Von Philipp Schneider, Kaiserslautern

Halb aß er ihn, halb kaute er auf ihm herum. Ein weißer Kugelschreiber baumelte aus dem Mund von Ricardo Moniz, 28 Minuten waren gespielt am Betzenberg, und dies war also der bislang größte Moment der Freude für den Trainer des TSV 1860 München bei seinem neuen Arbeitsgeber. Moniz stand an der Seitenlinie, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, der Körper fast regungslos. Bis auf seinen Unterkiefer, der nun zu malmen begann auf dem armen Kugelschreiber, im Takt seiner sich abklatschenden Spieler.

Rubin Okotie hatte Sechzig soeben beim 1. FC Kaiserslautern in Führung geschossen, ausgerechnet Okotie. Bislang war er das Problem in Sechzigs neuem System gewesen, nicht die Lösung. Und nun dies: ein schöner strammer Schuss am Betzenberg. Von der rechten Strafraumseite hineingezogen, leicht abgefälscht von Kaiserslauterns Dominique Heintz, und als solcher: unhaltbar für Marius Müller.

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Von Philipp Schneider

Den Ersatztorwart, der nach Rot für Tobias Sippel nach einem vermeintlichen Handspiel wenige Sekunden zuvor aufs Feld geschickt worden war. Moniz wusste natürlich, dass erst diese rote Karte das Spiel verschoben hatte; aus dem eigenen Strafraum in den der Gastgeber. Und vielleicht ahnte er bereits, dass dies nur der Auftakt einer wilden Partie sein würde. In der sein Team ein 2:0 herschenkte. Mit einem Mann mehr.

Am Ende stand es 2:3 (2:0). Nach einem weiteren Tor von Okotie (33.), einem Elfmeter von Lakic (68.), einem Kopfball von Lakic, einem Kofball von Hofmann (80.). "Einige Sachen sind katastrophal falsch gelaufen", bilanzierte Moniz. "Aber heute sind wir tot, und morgen stehen wir wieder auf." 1860 gegen Kaiserslautern, das war das Aufeinandertreffen der von der zweiten Liga Geplagten.

Moniz hatte gleich vor seiner ersten Saison in Deutschland verkündet, dessen ungeachtet Zweitligameister werden zu wollen. Und Kaiserslauterns Vorstandschef Stefan Kuntz hatte die verbale Steilvorlage im Stile eine eines verbalen Weltklassestürmers verwandelt. Als "Titelanwärter" sei 1860 natürlich auch in dieser Partie Favorit.

Nun denn. Der stets erstaunliche Moniz hatte sich zwei weitere Pointen überlegt für dieses Spiel: die Kapitänswahl und seine Aufstellung. Julian Weigl trug tatsächlich eine Binde um den Arm. Weigl ist 18. Nicht Ilie Sanchez, nicht Edu Bedia, keinem Ballartisten aus der zweiten Mannschaft von Barcelona wurde die Ehre zuteil, auch nicht dem altersweisen ungarischen Torwart Gabor Kiraly. Nein, Julian Weigl aus Ostermünchen bei Rosenheim, ein Kapitän aus dem eigenen Nachwuchs, das ist auch symbolisch gemeint. Er habe in der wilden zweiten Hälfte "versucht, die Mannschaft aufzumuntern", berichtete Weigl über die Interpretation seiner neuen Rolle. Angesichts des irren Spielverlaufs war es kein Wunder, dass das nicht klappte.

Eine Minute war gespielt, da gab es die erste gute Gelegenheit für Kaiserslautern: Karim Matmour spitzelte den Ball nach einem Abspielfehler im Mittelfeld vorbei an Kiraly, allerdings mit zu wenig Fahrt. Der ebenfalls recht träge Vallori fing ihn noch ab. Hektisch, ja, durchaus nervös legten beide Mannschaften los, vor allem aber die Münchner. Kaiserslautern erhielt Chancen, die eher schön verpackte Geschenke waren, mit Schleifchen umwickelt. Marcel Gaus kam ungehindert im Strafraum zum Schuss und verfehlte nur knapp (19.). Die einzige Gelegenheit von Sechzig zu Beginn: ein Distanzschuss von Bobby Wood.

Das mochte auch dem taktischen Korsett geschuldet sein, das Moniz seiner Mannschaft überraschend verpasst hatte. Er setzte den ordentlichen Linksverteidiger Maximilian Wittek auf die Bank, stattdessen ließ er eine variable Kette spielen, mal aus drei, mal aus vier Spielern bestehend, die so noch nie zusammengewirkt hatte: mit Schindler links, Gary Kagelmacher rechts, dem neuen Mann aus Uruguay. Und innen verteidigten zeitweise Vallori und Mittelfeldspieler Ilie, der eigentlich verpflichtet worden war, um das Kurzpassspiel zu befeuern.

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Das Mittelfeld war dann auch recht wenig feurig zu Beginn. Bis zu jenem folgenschweren Sololauf von Wood, der das Kräfteverhältnis vorübergehend zugunsten der Münchner kippen sollte. Wood stürmte auf das Tor von Sippel zu, der eilte hinaus, dann sah er Rot. Motzend verließ er den Platz, genau wie Mittelfeldmann Ring. Der FCK, ohnehin leidgeprüft, nachdem er Zoller (Köln) und Idrissou (Haifa) sein 26-Tore-Sturmduo verloren hatte, brauchte ein paar Minuten, um sich zu sortieren.

Wie der Wahnsinn ablief

Zeit für Okotie. Zeit genug für zwei Tore in sieben Minuten. Sein nächster Streich gelang ihm nach wunderbarer Vorarbeit von Bobby Wood auf dem linken Flügel. Wood flankte, Okotie köpfelte. Und an der Seitenlinie malmte Moniz. Die Pause.

Und dann wurde es wild. "Wir spielen eine super erste Halbzeit, und dann geben wir das Spiel aus der Hand", wunderte sich Oktotie und ergänzte wenig überraschend: "Ich kann mich über meine Tore gar nicht freuen."

Der Wahnsinn lief so ab: Erst kam Matmour ungehindert zum Abschluss (50.). Dann chippte Lakic den Ball in den Strafraum, Vallori zog Zimmer zu Boden. Elfmeter. Kiraly ahnte die Ecke, seine Finger berührten den Ball, doch der Ball das Netz - das 1:2. Drei Minuten später stürmte Löwe über links, er flankte, Vallori stand zu weit entfernt von Lakic - der Ausgleich.

An der Seitenlinie wütete nun 1860-Assistenztrainer Markus von Ahlen, der Schiedsrichter schickte ihn auf die Tribüne. Und dann begann der Betzenberg zu vibrieren. Kevin Stöger, in der Halbzeitpause erst eingewechselt, zog einen Eckball hinein, Philipp Hofmann kam Kiralys Fäusten zuvor und köpfelte ein. Der Schlusspfiff. An der Linie stand Moniz. Ganz ruhig, die Arme vor der Brust verschränkt.

© SZ vom 05.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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