Eishockeyprofi Connor Bedard:Unbedingt sehenswert

Lesezeit: 4 min

Im Fokus der Liga: Connor Bedard, laut dem Kollegen Lukas Reichel ein "Wahnsinnstalent". (Foto: Winslow Townson/USA Today/Reuters)

Seit seinem 13. Geburtstag wird der Kanadier Connor Bedard als die Zukunft des Eishockeys ausgerufen. Nun ist er 18 Jahre alt, in der Profiliga NHL angekommen, und damit stellt sich die Frage: Kann er dem immensen Hype gerecht werden?

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es passierte Ungeheuerliches an diesem Montagabend in Toronto: Die Eishockeypartie zwischen den gastgebenden Maple Leafs und den Chicago Blackhawks war vermarktet worden als ein "Muss-man-sehen-Spiel" - es hätte schließlich Historisches passieren können.

Torontos Stürmer Auston Matthews hatte zu Beginn der Saison zwei Hattricks nacheinander geschafft, als erst fünfter Akteur in der mehr als 100-jährigen Geschichte der nordamerikanischen Eishockeyliga NHL nach Alex Owetschkin (2017) sowie Cy Denneny, Joe Malone und Reg Noble (alle 1917). Drei Mal drei Tore zum Saisonstart hatte es noch nie gegeben.

Leon Draisaitl in der NHL
:Rockstar auf der Suche nach dem Nummer-eins-Hit

Die NHL startet in ihre 107. Saison, mit dabei sind sieben Eishockeyprofis aus Deutschland. Fast alle spielen Schlüsselrollen bei ihren Klubs. Doch ausgerechnet der Talentierteste läuft dem großen Erfolg schon am längsten hinterher.

Von Johannes Schnitzler

Und es gab Connor Bedard zu bestaunen. Der 18 Jahre alte Angreifer der Chicago Blackhawks gilt allgemein als Zukunft des Eishockeys. Mit jeweils einem Scorerpunkt (ein Tor, zwei Vorlagen) in den ersten drei Spielen hatte er sich spektakulär eingeführt in das Profileben. Weil Bedards Spielweise der von Matthews ähnelt und weil er als Jugendlicher glühender Matthews-Fan gewesen ist, war diese Partie auch en Duell Meister gegen Schüler, Gegenwart gegen Zukunft.

Es entwickelte sich eine packende, schnelle, intensive Partie. Chicago siegte 4:1, Trainer Luke Richardson sprach sogar von einer "quasi perfekten Leistung" seines Teams. Die Schlagzeilen lauteten jedoch anders: "Kein Rekord für Matthews", "Bedard zum ersten Mal in seiner Profikarriere ohne Scorer-Punkt", "Duell zwischen Matthews und Bedard endet ohne Tore". So geht es zu im auf Highlights, Hype und Rekorde getrimmten US-Sport. Und ist natürlich auch ein Beleg dafür, welch außergewöhnliche Athleten diese beiden sein müssen, wenn ein Spiel ohne Hattrick oder eines ohne Tor oder Vorlage angeblich schon als Enttäuschung gilt.

Seit Jahren im Fokus der Branche: Connor Bedard, kurz vor seinem NHL-Debüt gegen Pittsburgh. (Foto: Charles LeClaire/USA Today/Imago)

Gerade der Rummel um Bedard ist gewaltig, abzulesen an den Fernsehzahlen zu Beginn dieser Saison, der wichtigsten Währung im Profisport: 1,43 Millionen Leute wollten sein erstes Profispiel sehen, beim 4:2 bei den Pittsburgh Penguins schaffte er den ersten Assist seiner Karriere. Sportsender ESPN vermeldete sogleich: Rekord bei einem NHL-Spiel der regulären Saison. Auf Platz zwei: Die Blackhawks-Partie einen Tag später gegen die Boston Bruins, als Bedard beim 1:3 das erste NHL-Tor gelang. Die TV-Quoten sind umso wichtiger, weil sich Bedard der zweitwichtigsten Währung im Profisport, der Zahl der Social-Media-Follower, nämlich quasi komplett entzieht: Er hat keinen X/Twitter-Account, auf Instagram folgen ihm zwar knapp 600 000 Leute, er postet aber nur alle Jubeljahr, insgesamt sind es gerade mal 22 Einträge.

"Manchmal denke ich mir schon: Armer Junge, das ist schon richtig viel", sagte der deutsche Teamkollege Lukas Reichel

In einem Zeitalter, in dem sich alles nach der Formel Hype=Interesse=Einschaltquoten=Einnahmen richtet, schließt sich die Frage an: Ist es so, dass im US-Sport auf der Jagd nach TV-Quoten und Umsatzmaximierung wirklich alles zu einem einmaligen Erlebnis hochgejubelt wird, weil es letztlich egal ist? Entweder erfüllt Bedard die Prophezeiung, die ihn seit seinem 13. Geburtstag begleitet, seit das kanadische Eishockey-Magazin Hockey News ihn schon damals als "Zukunft des Eishockeys" bezeichnete, dann haben es alle schon früh gewusst. Oder er scheitert. Dann kann die Geschichte als "Was lief denn da schief"-Tragödie vermarktet werden. Auch dafür lassen sich Bespiele im US-Sport finden, es gibt dann Dokus über die Gescheiterten wie die Football-Quarterbacks Johnny Manziel und Todd Marinovich. Der Druck lastet letztlich einzig auf diesen jungen Leuten.

"Manchmal denke ich mir schon: Armer Junge, das ist schon richtig viel", sagte der deutsche Teamkollege Lukas Reichel nach der Saisonpremiere in der Kabine der Blackhawks. Reichel, selbst erst 21, stand alleine mit einem Reporter aus der Heimat, direkt hinter ihm: Bedard, umgeben von einem Dutzend Journalisten. "Er ist da aber richtig gechillt drauf, er geht sehr gut damit um", sagt Reichel: "Wenn du dann aber auf dem Eis mit ihm bist, kapierst du, warum er so ein Wahnsinnstalent ist: Er ist immer der Erste im Stadion - und der Letzte, der nach Hause geht. Du siehst einfach, wie hart der an sich arbeitet." Das Urteil von Reichel also: Der Hype ist berechtigt!

Nicht nur Kollegen, auch Gegenspieler äußern sich so - hier die Einschätzung von Auston Matthews: "Sein Schuss ist auf jeden Fall was Besonderes", sagt der Toronto-Stürmer. "Was mir noch auffällt: Er schätzt das Eis sehr gut ein, erkennt Möglichkeiten. Sein Eishockey-IQ ist sehr hoch - und er hat die technischen Fähigkeiten, die Ideen auch umzusetzen. Das macht ihn gefährlich."

Dem Jungen sollte man zuhören: Connor Bedard mit den Teamkollegen Taylor Hall und Ryan Donato (von rechts). (Foto: Michael Reaves/AFP/Getty)

Jeder, der sich vornimmt, diesen Bedard nun mal genauer zu betrachten, sollte die Einschätzung von Matthews als Hinweis betrachten, worauf man achten muss. Erstens: dieser Schuss, den er an Matthews angelehnt hat. Man denkt im Eishockey bei "Schuss" an die waffenscheinpflichtigen Schlagschüsse von Alexander Owetschkin oder Elias Pettersson. Der von Bedard ist nicht wegen seiner Härte oder Präzision (hat er beides) so gefährlich, sondern weil er unvorhersehbar ist, ein bisschen wie der Tennis-Aufschlag von Nick Kyrgios, der deshalb für Gegner unmöglich zu lesen ist, weil Ballwurf und Bewegung bei jeder Variante exakt gleich sind. Der Schuss des jungen Eishockeyprofis Bedard ist so ansatzlos, dass er aus jeder Lage und bei jedem Pass draufhalten kann - ohne dass der Torwart eine Chance hat, die Richtung zu erahnen.

Begnadeter Schlittschuhläufer: Connor Bedard. (Foto: Nick Turchiaro/USA TODAY Sports via Reuters Con)

Zweitens: Bedards Gespür für das Spiel und seine Detailversessenheit sind ebenfalls beachtenswert. Bei seiner ersten Profipartie lehnte er sich während einer Verschnaufpause auf der Ersatzbank zu seinen Kollegen und erklärte, wie ihn Pittsburgh-Legende Sidney Crosby beinahe übertölpelt hätte, und zwar so genau ("Seht Ihr das? Der hat den Schläger flach aufs Eis gedrückt - und ich falle fast drauf rein!"), dass ausgebuffte Profis diesen 18-jährigen Lümmel mit dem Lausbubengesicht anstarrten, als sei er der weise alte Jedi-Meister Yoda.

Vielleicht sollte man es aber auch mit Bedards Kollegen Taylor Hall halten: "Nun lasst den Jungen doch erst mal spielen!" Man sollte aber unbedingt zuschauen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusNHL-Profi Nico Sturm
:"Ich habe oft Selbstzweifel"

NHL-Champion, WM-Silbermedaillengewinner, aber für die DEL einst nicht gut genug? Eishockeyprofi Nico Sturm spricht über seine erstaunliche Karriere in den USA - und darüber, wie sein Glaube ihm geholfen hat.

Interview von Johannes Schnitzler

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: