Playoffs in der NFL:Wohlfühlgeschichten aus Detroit

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"Schon verrückte Story": Detroits Quarterback Jared Goff, in Los Angeles für zu schwach befunden, führte die notorisch erfolglosen Lions in die Playoffs - gegen die Los Angeles Rams. (Foto: Kevin Jairaj/USA TODAY Sports via Reuters Con)

Von magischen Momenten, weinenden Trainern und Verlierern, die auf einmal zu Gewinnern werden: Die NFL liefert vor Beginn der Playoffs zahlreiche sentimentale Storys - unter anderem die der Detroit Lions.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Detroit Lions gegen Los Angeles Rams. Das ist eine der sechs Erstrunden-Partien der NFL-Playoffs, und weil der Sport bekanntermaßen die irrwitzigsten Geschichten schreibt, hat die US-Footballliga mit dieser Ansetzung ein Meisterwerk hingelegt. Diese Partie am Sonntagabend zur besten Sendezeit enthält alles, was man wissen muss über die Faszination von American Football, die Eigenheiten der NFL - und diese Saison, die genau wegen dieser Eigenheiten so viele Wohlfühlgeschichten liefert, dass man damit ganze Harry-Potter-Bände füllen könnte.

Es gibt ein paar Regeln im Football, die im europäischen Fußball undenkbar wären - und deretwegen einige die Vision einer Super League für einen Vorboten der Apokalypse halten: Es gibt keinen Auf- und Abstieg; Gehaltsgrenzen sorgen für finanzielle Sicherheit und dafür, dass keiner ein Titelteam zusammenkaufen kann. Bei der Talentbörse (Draft) dürfen die schlechteren Teams der Vorsaison als Erste aus dem Pool an vielversprechenden Nachwuchsspielern ziehen. Eine der wenigen Möglichkeiten, den Kader schnell zu verändern, sind Tauschgeschäfte - und genau so einen Trade gab es am 31. Januar 2021 zwischen den Lions und den Rams.

Matthew Stafford, einer der begabtesten Quarterbacks seiner Generation, hatte nach zwölf Hundejahren in Detroit schon lange keine Lust mehr darauf, noch länger bei diesem legendären Verliererteam zu spielen. Die Lions sind die einzige NFL-Franchise, die seit Anbeginn der Super-Bowl-Ära im Jahr 1967 dabei ist - und das Endspiel nie erreicht hat. Sie entließen Stafford also zu den Rams - wo er gleich in seiner ersten Spielzeit den Titel gewann: im nagelneuen Stadion von Los Angeles inklusive Halbzeitshow mit den Rap-Legenden Dr. Dre, Snoop Dogg und dem Ur-Detroiter Eminem. Das war die Geschichte damals, der Hauptstrang. Die Neben-Pointe: Jared Goff hatte die Rams zwei Jahre davor als Spielmacher in den Super Bowl geführt, jedoch verloren. Und nun musste er, den Rams-Trainer Sean McVay für nicht Super-Bowl-tauglich erklärt hatte, im Exil von Detroit zusehen, wie sein Upgrade den Titel holte.

Was für eine Geschichte - die, wie sich jetzt zeigt, nur das erste Buch einer Serie gewesen ist.

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Was die Lions nämlich neben Goff bekamen für Stafford: dreimal Extra-Wahlrecht bei drei Talentbörsen in der Sommerpause. Und was sie daraus gemacht haben, ist nichts weniger als Magie. Sie haben aus diesen drei Picks über weitere Tauschgeschäfte sechs Spieler geholt: Verteidiger Ifeatu Melifonwu, der mit einem abgefangenen Pass kürzlich die erste Playoff-Teilnahme seit sieben Jahren sicherte; die Offensivspieler Jameson Williams, Jahmyr Gibbs und Sam LaPorta, alle drei noch auf dem Gehaltsniveau von Liga-Neulingen und dennoch bedeutsame Teile der Lions-Offensive; sowie die Defensive-Line-Spieler Brodric Martin und Josh Paschal, die zu Stammspielern aufgebaut werden.

Plus natürlich Goff, der in dieser Saison als erst zweiter Lions-Quarterback der Geschichte mehr als 4500 Yards Raumgewinn und 30 Touchdown-Pässe schaffte. "Schon verrückte Story", sagte Goff am Sonntag nach dem 30:20-Sieg gegen die Minnesota Vikings: "Da wird nun viel geredet, aber wenn man das Spiel gewinnt, geht es nur noch um Football. Und wir wissen, wie gut wir sind."

Das Versprechen der NFL: Man muss nur ein paar Jahre des Wiederaufbaus erdulden, dann ist alles möglich

Die Lions liefern ein perfektes Beispiel dafür, warum die Amerikaner diese Liga-Struktur für nachhaltiger und fanfreundlicher halten als die kapitalistisch-oligarchische im europäischen Fußball: Mittelfristig soll jeder Verein eine Chance auf den Titel haben und seiner Heimatstadt ein Freudenfest bescheren. Und natürlich: je länger die Durststrecke, desto größer die Helden-Geschichte danach.

Man muss eben, so lautet das große Versprechen der NFL, die erfolglosen Jahre des Wiederaufbaus akzeptieren - wobei angemerkt sei, dass die Lions erst seit der Ankunft von Manager Brad Holmes versuchen, etwas aufzubauen. Davor waren sie einfach nur grottenschlecht ohne Aussicht auf Besserung. Holmes kam im Jahr 2020 von den, kein Witz, Los Angeles Rams. Er holte den einstigen Lions-Spieler Dan Campbell als Trainer, der sich mit mutigen Entscheidungen während Partien und Emotionen danach in den Herzen der Fans verewigt ist. Campbell weint schon mal auf Pressekonferenzen.

Ein bisschen Harry Potter, ein bisschen Disney-Teenager: Mike McDaniel, Chefcoach der Miami Dolphins. (Foto: Rebecca Blackwell/AP)

Die Lions schreiben damit auch die Wohlfühlgeschichte der NFL-Saison - gemeinsam mit den Miami Dolphins, bei denen Trainer Mike McDaniel daherkommt wie ein 13-jähriger Fan im Disney-Film, der über Nacht Football-Trainer wird. Die Dolphins warten seit 50 Jahren auf den Titel, am Sonntag spielten sie gegen die Buffalo Bills: Die dritte Story mit Tränen-Potenzial, denn die Bills haben den Super Bowl nie gewonnen, in den Neunzigerjahren aber vier Endspiele nacheinander verloren. Die Partie endete 21:14 für die Bills, die damit am kommenden Sonntag Heimrecht haben gegen die Pittsburgh Steelers. Die Dolphins müssen schon am Samstag zu Titelverteidiger Kansas City Chiefs.

Das Problem an den Wohlfühlgeschichten im Sport ist, im Gegensatz zu fiktiven wie Harry Potter: Es gibt keine Garantie auf ein Happy End, und bei den Lions fragte man sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht, ob sie es irgendwie versemmeln werden - sondern nur: auf welch herzzerreißende Weise, meistens in Führung liegend im letzten Spielzug einer Partie. Zu Beginn der Playoffs sind sich nun alle Experten einig, dass man keinesfalls auf die Bilanzen der Teams blicken sollte, sondern einzig auf die aktuelle Form. Und dass man deshalb vor allem gegen ein Team nicht gleich in der ersten Playoff-Runde spielen will: Und das sind die Los Angeles Rams.

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