New England Patriots:Königreich ohne König

Lesezeit: 3 min

Vor einem Jahr noch trug Tom Brady das Trikot der Patriots - nun fehlt der Quarterback als Anführer. (Foto: imago images/Icon SMI)

Die erfolgsverwöhnten Patriots spielen eine äußerst mittelmäßige Saison - ohne Quarterback Tom Brady fehlt ein Anführer. Über einen Abschied von Trainer-Legende Bill Belichick kursieren immer wieder Gerüchte.

Von Fabian Dilger

Es wirkt auf den ersten Blick wie eine kitschige Geschichte, die sich da gerade bei den New England Patriots zuträgt: Ein deutscher Junge aus dem Schwabenland kommt ins Football-Mekka USA, arbeitet hart, erfüllt sich seinen Traum von der NFL, wird in seiner zweiten Saison Stammspieler beim Serienmeister New England Patriots, erzielt seinen ersten Touchdown und kriegt ein Sonderlob vom sonst sehr knausrig damit umgehenden Coach Bill Belichick - alles wunderbar also? Ja und nein, muss man sagen. Denn während die Geschichte des Stuttgarter Fullbacks Jakob Johnson, 25, sich wunderbar anhört, ist bei den Patriots ohne Tom Brady derzeit gar nix toll, wie Uli Hoeneß es ausdrücken würde.

Bei den Patriots gibt es diese Saison so viel Schatten und so wenig Licht wie in den letzten 20 Jahren nicht mehr. Es ist für das Team vor den Toren Bostons das alte FC-Bayern-Problem: Wer so lange so gut ist, der muss das immer wieder bestätigen. In den 20 Jahren unter Headcoach und Manager Bill Belichick gab es sechs Meisterschaften, neun Finalteilnahmen, bisher erst eine Saison mit negativer Siegbilanz, das letzte Mal die Playoffs verpasst haben die Patriots 2008. Ein Fünftklässler kennt also sein Leben lang nur die Playoff-Patriots.

Football in der NFL
:Johnson erzielt Touchdown für Patriots

Das gab es erst einmal: Mit Jakob Johnson schafft zum zweiten Mal überhaupt ein Deutscher einen Catch in der Endzone. Der Ire Bennett ist auf der letzten Tour-Etappe am schnellsten.

Meldungen in der Übersicht

Es zählt nur noch Gewinnen, Zweiter werden ist uninteressant. Genau deswegen scheint das Bild aus dieser Saison bisher so surreal. Aktuell steht New England bei vier Siegen und fünf Niederlagen, darunter einige wirklich grausliche Spiele. Die Offensive präsentiert sich inkonstant, insgesamt haben die Patriots zum Beispiel erst fünf Touchdowns durch Pässe erzielt - in einer immer passlastigeren Liga kein gutes Anzeichen. Die Playoff-Chancen derzeit liegen bei überschaubaren 15 Prozent, sagt Experte Thomas Psaier, der auf seinem bekannten Blog Sidelinereporter American Football analysiert.

An diesem Sonntag muss das Team zu den noch schlechter platzierten Houstons Texans. Und sollten die Patriots das Spiel verlieren, dann scheinen die Playoffs tatsächlich kaum mehr greifbar.

So komisch sich die Gleichung "Patriots = mies" auch liest, unerwartet kam die Situation nicht. "Man hat eigentlich schon gewusst, dass es ein Übergangsjahr wird", sagt Psaier. Der wichtigste Grund dafür: Das Haupt dieser Dynastie, der unbestrittene König auf dem Feld, womöglich der beste Footballspieler der bisherigen Geschichte, der war nach 20 Jahren auf einmal weg: Quarterback Tom Brady. Mit 43 wollte er noch mal etwas Neues versuchen und spielt jetzt in Tampa Bay.

Der Zugang und Brady-Ersatz Cam Newton war selbst schon mal der wertvollste Spieler der Liga (MVP), trotzdem läuft die Offensive einfach nicht mehr so geschmeidig. Psaiers Meinung: Schon in den letzten Jahren wurde die extrem flexible und wandelbare Offensive vor allem vom ultra-präzisen Passer Brady getragen: "Ein solcher Superstar deckt viele Probleme zu. Das ist nicht nur in New England so, sondern das ist überall so."

Und Probleme gibt es vor allem mit der individuellen Qualität in der Offensive. Die Passempfänger-Abteilung ist eine der schlechtesten der Liga, bei den offensiven Nachwuchstalenten hatte Belichick in der Vergangenheit keine glückliche Hand. Newton selbst ist vor allem eine veritable Bedrohung als Läufer und Passer, der tief geht. Aber schon seit Jahren hat er immer wieder Probleme mit seiner Schulter, seine Würfe wackelig machen, vor ein paar Wochen war er dann auch noch an Covid-19 erkrankt, insgesamt: Trotz einiger ansehnlicher Spiele ist er bisher mehr Mittelmaß als MVP.

Über einen Abschied von Bellichick gibt es immer wieder Gerüchte

Die Frage, die sich nun jeder stellt: Wie geht es nach dieser Saison weiter? Kompletter Neuaufbau des Teams samt Kader-Entkernung oder eher eine sanfte Ummodellierung, die noch mal einen Angriff auf Titel gestattet. Das hängt letztlich an zwei Schlüsselpersonalien - Quarterback Newton und Coach Belichick. Stabilisiert sich Newton in der zweiten Saisonhälfte, sodass man ihm noch ein paar gute Jahre zutrauen kann? Und wie sieht eigentlich die weitere Lebensplanung von Bill Belichick, 68, aus? Über einen möglichen Abschied gibt es immer wieder Gerüchte. Aber Belichick ist bei dieser und auch bei so ziemlich jeder anderen Frage ziemlich zugeknöpft.

Eine paar Hinweise, warum die Erneuerung auf die sanfte Art erfolgen könnte, liefert Psaier, der meint: "Ich glaube nicht, dass Belichick alles einreißen will." In der Defensive ist die Verjüngung der Mannschaft bereits auf den Weg gebracht und in der nächsten Sommerpause haben die Patriots wieder jede Menge Geld auf der Gehaltsliste zur Verfügung, das man für Zugänge nutzen kann.

"Nächstes Jahr wissen sie selber besser, was sie sein wollen", vermutet Psaier. Ein stabiler Newton, ein paar neu eingekaufte Waffen und vielleicht ein guter Draft: So könnte der Fahrplan für einen schnellen Turnaround aussehen. Ob Johnson da dann noch dabei ist, ist nicht so sicher: Sein Vertrag läuft nach der Saison aus. Spielt er weiter so, dann dürfte ein neues Arbeitspapier aber leicht zu bekommen sein. Egal wo.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

MeinungWechsel von Schröder zu den Lakers
:Er möchte da spielen, wo er sich wohlfühlt

Los Angeles hat den Ruf als gelobtes Land, doch Dennis Schröder wäre lieber nach Milwaukee oder Miami gegangen. Er erinnert daran: Es geht nicht immer um die meisten Titel und Showtime.

Kommentar von Jürgen Schmieder

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: