Neue Details der Dopingstudie:Brisante Fragen an Genscher und Bach

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Unbequeme Fragen an den früheren Bundesminister Hans-Dietrich Genscher (Bild von 2004). (Foto: Getty Images)

Teile der großen Doping-Studie sind nun öffentlich, aber aus dem ursprünglichen Bericht fehlen etliche Passagen. Darin geht es zum Beispiel um die Rollen der langjährigen Bundesminister Hans-Dietrich Genscher und Wolfgang Schäuble sowie des deutschen Spitzenfunktionärs Thomas Bach. Warum wurden die brisanten Stellen gekürzt?

Von Johannes Aumüller, Boris Herrmann und Thomas Kistner

Der langjährige Fußball-Nationaltorwart Toni Schumacher war 1987 in der Bredouille. Er hatte sein Enthüllungsbuch "Anpfiff" mitsamt Dopingvorwürfen veröffentlicht und war in der deutschen Kickerbranche zum Nestbeschmutzer geworden. Zudem hatte der Stern den Mannschaftsarzt Heinz Liesen mit den Worten zitiert, Schumacher sei der einzige Nationalspieler, der Mittel zur Leistungssteigerung hätte haben wollen.

In dieser Situation soll sich nun Folgendes zugetragen haben: Adidas soll erwogen haben, den Vertrag mit Schumacher zu beenden, der Torwart wollte den Sportmediziner angeblich wegen dessen Aussage auf 1,5 Millionen D-Mark verklagen. Das ganze habe sich erst aufgelöst, als eine andere Person ins Spiel kam: Thomas Bach.

Der deutsche Spitzenfunktionär, Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und Anwärter auf das Präsidentenamt im Internationalen Olympischen Komitee (IOC), war damals schon Mitglied im Nationalen Olympischen Komitee und bekam als Adidas-Angestellter bei Horst Dassler die Grundzüge des sportpolitischen Strippenziehens mit. Adidas hätte die Idee dann unter den Tisch fallen lassen. Diese Schilderung findet sich, ohne Klarnamen, aber mit eindeutig dechiffrierbaren Umschreibungen, auf Seite 719 des 804 Seiten umfassenden Dokumentes, das die Berliner Forscher der Studie "Doping in Deutschland" 2012 unter dem Titel "Abschlussbericht" fertigstellten.

ExklusivStudie "Doping in Deutschland"
:Zweckentfremdung, Irreführung, Betrug

Die Studie "Doping in Deutschland" zeigt detailliert, welchen faustischen Pakt Mediziner, Funktionäre und Politiker eingingen, um sportlichen Glanz einzuheimsen. Dass es bei vielen Sportlern "zu bedenklichen Nebenwirkungen" kam, war bekannt. Doch es spielte kaum eine Rolle.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner

Es ist eine interessante Stelle, weil Liesen auch in diverse Forschungsprojekte zur Wirkung leistungssteigernder Mittel eingebunden war. Es ist auch nur die Schilderung eines Zeitzeugen, es sind dort keine Belege aufgeführt. Adidas erklärt auf Nachfrage, aus ihren Unterlagen "ergeben sich diesbezüglich keine Anhaltspunkte"; Thomas Bach ließ ausrichten, dieser angebliche Vorgang sage ihm nichts. Doch das Bemerkenswerte ist: In den Berichten, die der Auftraggeber der Studie, das Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp), am Montagnachmittag online gestellt hat, fehlt diese Passage - wie auch so vieles andere fehlt.

Im Vergleich zu dem Bericht der Forscher von 2012 sind es rund 680 Seiten weniger. Nicht jede davon ist brisant, manches wird bloß ausführlicher formuliert, einiges ist redundant. Das BISp teilte auf Anfrage mit, dieses Dokument habe eingekürzt werden müssen, weil es "nicht die formalen Anforderungen an einen Abschlussbericht" erfüllte. Was bei den Kürzungen vor allem auf der Strecke blieb, sind jene 130 Seiten mit Abschriften von Zeitzeugeninterviews, die in der Ursprungsfassung enthalten waren.

Die Wissenschaftler haben mehr als 50 Zeitzeugen befragt, darunter Dopinganalytiker, Sportmediziner, Sportfunktionäre, Trainer, Athleten, Betreuer, Journalisten. Aus Sicht der HU-Historiker handelt es sich dabei keineswegs nur um einen hübschen Zusatz, sondern um einen zentralen Teil der Forschungsarbeit. Hier wird ihre Geschichtsforschung auf beklemmende Weise anschaulich. Laut BISp fehlt auch dieser Abschnitt, weil er "nicht die formalen Anforderungen an einen Abschlussbericht" erfülle. Einer der Forscher sagt: "In der Kurzfassung kann man gar nicht mehr erkennen, wie wir unsere Thesen entwickelt haben."

In der Kurzfassung fehlen aber auch einige Details, die auf große Zusammenhänge hindeuten. Eines dieser Details ist der Name Hans-Dietrich Genscher. In der gut 800 Seiten dicken Version von 2012, die der SZ vorliegt, wird der FDP-Politiker von mehreren Zeitzeugen belastet.

Genscher war von 1969 bis 1974 Bundesinnenminister. Zu jener Zeit, in der die Forscher den Beginn der staatlich subventionierten Dopingforschung verorten. In einem Zeitzeugengespräch wird der frühere Direktoriumschef des BISp, Ommo Grupe, gefragt, weshalb das BISp fragwürdige Forschungsprojekte Anfang der Siebziger nicht abgewiesen habe. Grupe erklärt, dass das Innenministerium stets seine Interessen durchgesetzt habe, gelegentlich auch über das Direktorium hinweg: "Einer der damaligen Innenminister hat den Satz geprägt: 'Unsere Athleten sollen die gleichen Voraussetzungen und Bedingungen haben wie die Ostblockathleten.' Das kann ja als Begründung für ganz vieles herangezogen werden." Weiter heißt es in der Studie: "Dies deckt sich mit dem Bericht eines anderen BISp-Funktionärs, wonach Hans-Dietrich Genscher 1971 vor allem Medaillen bei den Olympischen Spielen 1972 gefordert habe, koste es, was es wolle."

Später wird aus einem Zeitzeugengespräch mit einem nicht namentlich genannten Sportmediziner zitiert, der sich an folgenden Wortwechsel von Anfang der Siebziger erinnert: ",Von Ihnen als Sportmediziner will ich nur eins: Medaillen in München.' Da habe ich gesagt: 'Herr Minister: Ein Jahr vorher? Wie sollen wir da noch an Medaillen kommen?' 'Das ist mir egal.'" Bei diesem Minister handelte es sich laut der Forscher ebenfalls um Genscher.

Schließlich gibt es noch eine dritte Stelle, an der sein Name auftaucht. Dabei wird der Kölner Sportmediziner Wildor Hollmann zitiert: "Bundesinnenminister Genscher erklärte 1970, man sollte vor allem Goldmedaillen für die bevorstehenden Olympischen Spiele 1972 in München im Auge haben. Darauf sollten alle Anstrengungen konzentriert werden. Dies bedeutete trotz der fehlenden Zeit automatisch eine Bevorzugung der Zweckforschung gegenüber der bisher stark dominierenden Grundlagenforschung."

Auf eine Anfrage, ob all diese Aussagen von ihm getätigt wurden, verwies Genscher darauf, dass ihm der "ausführliche Studienbericht" nicht bekannt sei. Er wolle ihn zunächst beim BMI anfordern, um sachgerecht antworten zu können. Vorab verwies Genscher ferner auf die von ihm generell gemachte Äußerung gegenüber der Bild am Sonntag, die er auch auf eigenes Verhalten und eigene Äußerungen beziehe. Genscher hatte dabei auf die allgemein formulierte Frage, ob Politiker auf bundesdeutsche Sportler vor 1972 Druck zum Doping ausgeübt hätten, geantwortet: "Ich wüsste nicht, wer einen solchen Druck ausgeübt haben sollte. Ich halte das für völlig ausgeschlossen."

In einem Zeitzeugengespräch im Zusammenhang mit dem Einsatz der sogenannten "Kolbe-Spritze" bei Olympia 1976 in Montreal taucht auch der Name des heutige Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble auf. Der Zeuge, den die Autoren als "einflussreichen Sportmediziner" beschreiben, berichtet, es habe damals "Statements insbesondere von Schäuble" gegeben, "wenn es nicht schadet, soll man auch da das Bestmögliche unseren Sportlern angedeihen lassen". Die Interviewer merken an, dass Schäuble damals nicht in der Exekutive war, sondern sportpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Sportausschuss. Der Zeuge verweist auf die weitere Entwicklung ab Mitte der 80er Jahre, "wo er dann schon Innenminister war, wo er das entsprechend gefördert hat".

Schäuble teilt auf Anfrage zunächst mit, dass er grundsätzlich gegen Doping sei. Im Übrigen sei er nicht Mitte der 80er Jahre, sondern präzise von 1989 bis 1991 Innenminister gewesen. Ob in seiner Zeit als sportpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion das oben genannte Zitat gefallen sei, könne er vierzig Jahre später nicht mehr mit Sicherheit bestätigen oder verneinen. Der Begriff der "Kolbe-Spritze" sei ihm bis zur Berichterstattung in den Medien in dieser Woche unbekannt gewesen.

Neben so manchem Namen von Personen des öffentlichen Lebens fehlen in der Kurzfassung aber auch Details, die Aufschluss über die Doping-Strukturen in der BRD geben. Der jetzt veröffentlichte inhaltliche Schlussbericht der HU umfasst 117 Seiten. Im Original wird alleine die BISp-Studie "Regeneration und Testosteron" auf 98 Seiten behandelt. Sie wird von den Historikern als "herausragendes Fallbeispiel für die Geschichte des Dopings in Westdeutschland" bezeichnet. Der Text liest sich bisweilen wie ein Krimi, unter anderem auch an jener Stelle, an der das BMI 1991 auf SPD-Anfrage darlegen soll, dass es keine Dopingforschung bezuschusst hat - und sich damit ziemlich schwer tut.

Die Forscher zitieren aus einem Referentenentwurf des BMI sowie aus einem 14-seitigen Strategiepapier, das laut Autoren höchstwahrscheinlich aus der Sportabteilung des BMI stammt und vor allem einen Zweck habe: die Irreführung der Öffentlichkeit. In der vom BISp veröffentlichten Version sind derartige Belege verschwunden.

© SZ vom 07.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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