Proteste in den USA:Und nun?

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LeBron James von den Los Angeles Lakers schrieb auf Twitter: "Veränderung entsteht nicht durch Gerede, sondern durch Taten." (Foto: AP)

Nach den weitreichenden Aktionen im US-Sport fragen sich die Akteure, wie es weitergeht. Prominente wie Basketballer LeBron James sollen an Saisonabbruch gedacht haben - die meisten finden eine andere Strategie besser.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Und nun? Was wird es gebracht haben? Dies sind zentrale Fragen nach den vielfältigen Protesten im US-Sport gegen Rassismus und Polizeigewalt. Die Tennisspielerin Naomi Osaka hat darauf eine Antwort gegeben in ihrer Erklärung, warum sie für das Halbfinale beim laufenden Turnier in New York zunächst abgesagt hatte: "Ich erwarte nicht, dass irgendwas Drastisches passiert, nur weil ich nicht spiele. Ich bin es nur leid, die gleiche Debatte immer und immer wieder zu führen." Später hieß es, die einstige Weltranglistenerste aus Japan wolle zum verschobnen Duell nun doch antreten. Wichtiger als der Terminplan aber war Osaka die Botschaft: "Wenn ich in einem mehrheitlich weißen Sport eine Diskussion in Gang bringen kann, betrachte ich das als Schritt in die richtige Richtung."

Dies war nur ein Kapitel einer debattenreichen Woche. Zur Erinnerung: Begonnen hatte am Mittwoch das Team der Milwaukee Bucks. Ohne die anderen Klubs in Nordamerikas Basketball-Liga NBA darüber zu informieren, hatten die Bucks ihre Teilnahme am Playoffduell gegen Orlando Magic verweigert. Aktueller Anlass war, dass der 29 Jahre alte Afroamerikaner Jacob Blake im Bundesstaat Wisconsin vor den Augen seiner Kinder von hellhäutigen Polizisten mit sieben Kugeln niedergeschossen wurde; es wird befürchtet, dass er von der Hüfte abwärts gelähmt bleibt. Die NBA sagte darauf alle Partien für Mittwoch und später für Donnerstag ab. Es folgten WNBA (Frauen-Basketball), MLB (Baseball), MLS (Fußball), der US-Tennisverband und die Eishockeyliga NHL.

Basketballliga NBA gegen Rassismus
:Die Spiele gehen nicht weiter

Nach den Polizeischüssen auf den Schwarzen Jacob Blake in Wisconsin sagt die US-Basketballliga NBA alle Spiele am Mittwoch ab. Es ist eine Geste mit historischer Dimension - die sich abhebt vom heuchlerischen Gerede anderer Sportverbände.

Von Jürgen Schmieder

Der US-Sport hielt ein paar Tage lang inne. Und nun? Was wird es gebracht haben?

Sport besitzt in den USA eine besondere gesellschaftliche Bedeutung, weil er Minderheiten Zugang zu Bildung (über Sport-Stipendien) und sozialen Aufstieg ermöglicht, was ihnen sonst wegen des systematischen Rassismus im Land verweigert würde. Die Politikerin Nikki Haley behauptete gerade auf dem Parteitag der Republikaner, die USA seien kein rassistisches Land - doch sollten sich alle Amerikaner oder sogar alle Menschen mal die Frage stellen: Wurde ich je wegen Hautfarbe, Geschlecht oder sexueller Orientierung benachteiligt? Die ehrliche Antwort darauf definiert den Unterschied zwischen Privilegiertheit und systematischer Diskriminierung.

Sportler können das System umgehen, allerdings sollen sie nach dem Aufstieg ihre Wurzeln möglichst vergessen. Die 1980er-Jahre waren das amerikanischste Jahrzehnt im ohnehin amerikanischen Jahrhundert. Aus jener Zeit gibt es eine Aussage, die gerade heute exemplarisch diskutiert wird. Es war die Antwort von Basketballer Michael Jordan auf die Frage, warum er sich nicht zu gesellschaftlichen Themen äußere. Sie lautete: "Auch Republikaner kaufen Schuhe." Jordan wollte keine Parteigänger verärgern: Mit seinen Dunkings bei den Chicago Bulls warb er um alle Käufer seiner Schuhmarke. Mit dieser demonstrativen Neutralität scheint es nicht erst jetzt vorbei zu sein.

Es war kein Zufall in den 1980er-Jahren, dass die Familie in der damals erfolgreichsten TV-Serie über Afroamerikaner ("The Cosby Show") vorrangig weiß rüberkam - der Vater war Arzt, die Mutter Anwältin. Und dass der schwarze Hauptdarsteller Bill Cosby jungen Afroamerikanern immer wieder zurief, dass Hautfarbe keine Ausrede für Misserfolg sein dürfe. Das gefiel den Weißen. Was ihnen später nicht gefiel: Wenn die schwarze Tennisspielerin Serena Williams nach Siegen ein kleines Tänzchen aufführte. Bei der Deutschen Andrea Petkovic galt so ein Tanz als sympathische Geste, bei Williams hieß es, sie würde mit dem sogenannten "Crip Walk" einen Gruß an die Gangs in Los Angeles senden.

NBA-Schiedsrichter marschieren mit T-Shirts mit der Aufschrift ´Jeder gegen Rassismus" zur Unterstützung von Spielern, die ein Ende der Rassenungerechtigkeit fordern. (Foto: dpa)

An diesem Montag beginnen in New York die US Open. Williams kann dort ihren 24. Grand-Slam-Titel gewinnen - die Tennisanlage in Flushing Meadows und jene in Indian Wells, in ihrer Heimat Kalifornien, sind jedoch auch Orte, von denen Williams sagen dürfte, dass sie dort früher wegen Hautfarbe und Geschlecht benachteiligt worden ist. Reichtum und Prominenz schützen nicht vor Diskriminierung. Der Basketballer LeBron James fand an seinem Haus in Los Angeles im Jahr 2017 das Wort "Nigger" gesprüht. Anthony Lynn, der Trainer des Football-Klubs Los Angeles Chargers, berichtet davon, dass kürzlich die erste Frage bei einer Polizeikontrolle nicht die Bitte um Führerschein und Fahrzeugpapiere gewesen sei: "Der Beamte hat mich gefragt, ob ich auf Bewährung sei und ob ich schon mal im Gefängnis gesessen habe."

Zurück zur Frage: Und nun?

LeBron James habe sich, das ist aus dem Milieu der Basketball-Bubble im US-Bundesstaat Florida zu vernehmen, zunächst für ein vorzeitiges Ende der Saison ausgesprochen. "Veränderung passiert nicht durch Gerede, sondern durch Taten", schrieb er bei Twitter: "Es liegt an uns, gemeinsam für diese Veränderungen zu sorgen." Später soll auch James dafür gewesen sein, die Playoffs an diesem Wochenende fortzusetzen, am Freitagabend folgte dann die Bestätigung, dass die Liga weiter geht. Sicher auch deshalb, weil ein Abbruch der Saison gravierende Konsequenzen haben würde, natürlich wäre sofort auch die kommende Spielzeit in Gefahr. Die entscheidende Frage beim Treffen der Basketballprofis wurde offenbar von CJ McCollum von den Portland Trail Blazers gestellt: Womit können Sportler mehr erreichen - mit einem Abbruch? Oder dem Nutzen der Aufmerksamkeit für diese Finalrunde in Florida?

Man kann von Sportlern nicht verlangen, Gesetze auf den Weg zu bringen oder Veränderungen zu erzwingen. Sie sind aber, wie man heute auch auf Neudeutsch sagt: Influencer. Sie können andere Leute beeinflussen. Ob nun beim Kauf von Turnschuhen (siehe obiges Zitat von Michael Jordan) oder in der steten Debatte, ob es sinnvoll ist, zur Wahl zu gehen. Sich zu informieren. Sich zu engagieren. Basketballer Andre Iguodala von Miami Heat fragte seine Kollegen, ob sie wüssten, in welchen US-Bundesländern demnächst über eine Polizeireform abgestimmt wird - und was das bedeute. Nur wenige hoben den Arm. Er forderte die Kollegen auf, sich zu informieren und diese Infos an ihre Millionen Fans weiterzuleiten, bestenfalls noch während dieser Basketball-Playoffs.

Michael Jordan. mittlerweile 57 und Mehrheitseigner der Charlotte Hornets. (Foto: imago images/PanoramiC)

Es tut sich etwas im nordamerikanischen Sport. Exemplarisch dafür steht ausgerechnet jener Profi, der einst so demonstrativ überparteilich seine Sneakers vermarktet hatte. Michael Jordan, 57, ist mittlerweile Mehrheitseigner der Charlotte Hornets, er ist in der NBA der einzige Afroamerikaner in einer solchen Eigentümerrolle. Jordan sprach am Donnerstag mit Chris Paul, dem Präsidenten der Spielergewerkschaft NBAPA; er wollte wissen, was das wichtigste Anliegen der Akteure sei. Dann teilte er den anderen Klubbesitzern mit: "Lieber zuhören statt reden."

Genau das wollen die Sportler: dass ihnen jemand zuhört. So wie die Leute Muhammad Ali zuhören mussten, als er 1966 den Kriegsdienst verweigerte und in der Folge nicht boxen durfte. So wie die Leichtathleten Tommie Smith und John Carlos, die bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko während der Medaillenvergabe ihre schwarz behandschuhten Fäuste gen Himmel reckten; die erst geschmäht wurden, aber später zu den wichtigsten Stimmen gegen Diskriminierung zählten. Oder wie Jackie Robinson, 1947 der erste Afroamerikaner in der Baseballliga MLB: Er hatte Beleidigungen zu ertragen und wurde später zu einem Aktivisten gegen Polizeigewalt. Sie alle brauchten eine Pause, eine Zeit der Stille. Dann hatten sie eine Stimme, die gehört wurde.

Und nun? Der US-Sport hat kurz innegehalten und der Welt gezeigt, dass es so nicht weitergehen kann. Die Welt hat zugehört, und sie dürfte weiterhin zuhören. Dann wäre doch, anders als Naomi Osaka heute glaubt, etwas Drastisches passiert.

© SZ vom 29.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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