Nations League:Italien hat Mut für Experimente

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Wurde vom Publikum ausgepfiffen: Mario Balotelli. (Foto: REUTERS)
  • Italien trifft in der Nations League auf Portugal. Gegen Polen reichte es nur zu einem müden 1:1.
  • Nationaltrainer Mancini versucht viel, um nach der verpassten WM einen Umbruch einzuleiten - hat aber noch nicht mal ein konkurrenzfähiges Mittelfeld.

Von Birgit Schönau, Rom

Zittern gilt nicht. Klagen nützt nichts. Polen ist überstanden, am Freitagabend in Bologna mit einem gnädigen 1:1, Elfmeter Jorginho. Am Montag wartet in der Nations League als nächster Gegner der Italiener die portugiesische Auswahl in Lissabon, ein Match für Kenner und Genießer. Denn Portugal wird ohne Cristiano Ronaldo spielen und Italien ohne Mittelfeld, weil erstens CR7 in Turin noch behutsam in seine neue Mannschaft Juventus integriert werden muss, wobei ein hochsensibler Hochbegabter wie er keine Störungen von außen verträgt. Und weil zweitens die Squadra Azzurra in ihrer Schaltzentrale Spieler wie Roberto Gagliardini, Lorenzo Pellegrini und Jorginho walten lassen muss, aus Mangel an Alternativen.

Der Italo-Brasilianer Jorginho, 26, Ex-Napoli, nun Chelsea, ist der Älteste und Erfahrenste, vielleicht auch nur der Abgezockteste eines Terzetts, das gegen die rustikalen Polen konsequent bestürzende Harmlosigkeit verbreitete. Sehr anschaulich urteilte etwa La Repubblica über Gagliardini: "Versank wie eine Fliege im Martini." In Polen sind zwar andere Getränke angesagt, aber abgesehen davon wäre dem Satz nichts Wesentliches hinzuzufügen.

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Die Azzurri versanken tatsächlich wie die Fliegen eifrig strampelnd im Wodka, während die Polen beflügelten cyniczny-Fußball spielten, eine Variante jenes calcio cinico, in dem die Italiener mal Weltmeister waren, als sie noch an Weltmeisterschaften teilnahmen. Angeführt von ihrem Chefzyniker Robert Lewandowski zogen sie ungerührt und so gut wie ungehindert ihr Catenaccio-Konter-Programm durch, schüttelten die jungen Fliegen im italienischen Mittelfeld von sich ab und verscheuchten energisch die alten Abwehr-Brummer Giorgio Chiellini und Leonardo Bonucci. Dass es zur Pause nur 0:1 stand (40. Piotr Zielinksi), hatten die Italiener ihrem Schlussmann Gianluigi Donnarumma zu verdanken. Der hält wie ein Alter und ist zugleich so flink, wie ein 19-Jähriger sein sollte. Zwei Meter Standfestigkeit mit einem Namen wie ein Gewitter.

Doch, es gibt auch gute Nachrichten von den Azzurri: im Tor kein Fliegengewicht.

"In der zweiten Halbzeit waren wir dann viel besser", verkündete ein erleichterter Roberto Mancini. Der Commissario Tecnico, am Spielfeldrand zwischenzeitlich zur eleganten Säule erstarrt, klang aufgeräumt, schließlich hatte Mancini bei seinem Debüt gegen die "erfahrenen und soliden Polen" einen wichtigen Punkt ergattert. Nach der Pause kam wirklich Leben in die Mannschaft, was vor allem an Mancinis klugen Einwechslungen lag.

Da wurde etwa der fahrig wirkende Mario Balotelli unter lautem Gepfeife gegen Andrea Belotti vom FC Turin ausgewechselt. Dass Mancini überhaupt auf Balotelli gesetzt hatte, der in den vergangenen vier Jahren aus der Landesauswahl ausgeschlossen war, war nicht nur der Not geschuldet. Sondern durchaus ein Statement. Der Trainer wollte beweisen, dass er sich bei seinen Entscheidungen von niemandem beeinflussen lässt - auch nicht von der italienischen Rechten, die keine Gelegenheit auslässt, den dunkelhäutigen Balotelli herabzuwürdigen. Stets steht der Spieler unter besonderer Beobachtung, ja unter Rechtfertigungszwang. Zuverlässig bewerten auch die Medien ihn viel strenger als etwa die matten Veteranen Bonucci und Chiellini, deren Bewegungs- und Ideenlosigkeit mindestens so offensichtlich waren wie Balotellis Formtief. "Mario muss einfach mehr spielen", befand Mancini. In Nizza ist Balotelli bei seinem neuen Coach Patrick Vieira gleich in Ungnade gefallen, weil er nicht pünktlich zum Training angetreten war. Aber 33 Tore in 51 Ligue- 1-Einsätzen sprechen für sich.

Mit seinem Sturmpartner Lorenzo Insigne kam Balotelli offenkundig nicht zurecht. Zu unterschiedlich sind der athletische 1,90-Meter-Mann und der 163 Zentimeter kleine Neapolitaner Insigne. Für ihn brachte Mancini in der Mitte der zweiten Halbzeit Federico Chiesa vom AC Florenz. Und Chiesa wusste die knappe Zeit so gut zu nutzen, dass er gegen Portugal den Stammplatz wohl sicher hat. Der wichtigste Mann der Azzurri, unverzichtbar - ruft in seltenem Einklang der Chor der Sportpresse. "Chiesa in die Mitte des Azzurri-Dorfs!", fordert die Gazzetta in einem netten Wortspiel, denn der Nachname des 20-Jährigen vom AC Florenz bedeutet: Kirche. Wenig orthodox begann der Sohn des Fiorentina-Urgesteins Enrico Chiesa sofort, die Polen zu umkurven, setzte den ersten richtigen Schuss aufs Tor und verschaffte Italien nach einen Strafraumfoul von Jakub Blaszczykowski den für die Partie überlebensnotwendigen Elfmeter.

"Im modernen Fußball spielt man mit 14 Männern", behauptet Giorgio Chiellini, nach dem Rücktritt von Gigi Buffon der neue Kapitän der Squadra Azzurra mit einem Master in Betriebswirtschaft. Chiellinis kreative Buchführung könnte darauf hindeuten, dass Mancini auch in Lissabon eifrig wechselt. An Mut zum Experiment mangelt es dem neuen Nationaltrainer nicht - und es ist nicht der Mut der Verzweiflung. Die Lage ist schwierig aber durchaus nicht hoffnungslos. Gegen Portugal ohne seinen Halbgott Ronaldo werden die Azzurri deshalb ganz bestimmt die Kirche im Dorf lassen.

© SZ vom 10.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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