Spaniens Nationalelf:Darf's ein bisschen britischer sein?

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Balsam für die Mannschaft im Umbruch: Spaniens Nationalspieler bejubeln den zweiten Treffer (Foto: Darren Staples/Reuters)
  • Nach dem Achtelfinal-Aus bei der WM möchte sich Spanien von dem selbst auferlegten Ansatz befreien, einzig Tore gutzuheißen, für die sich wegen ihrer Genialität ebenso die ganze Welt interessiert.
  • Spanien möchte weiterhin spielen, wie Spanien schon immer gespielt hat, nur eben mit ein paar Anpassungen an die derzeit führenden Nationen.
  • Exemplarisch gelang das schon im ersten Spiel von Enrique als Nationaltrainer zum Auftakt der Nations League, gegen England gab es ein 2:1.

Von Sven Haist, London

Der Ball zirkulierte über das Spielfeld, als wäre er ferngesteuert. Sobald er den Fuß eines Spielers verließ, fand sich sogleich ein anderer, der ihn aufnahm. Über elf Stationen wurde der Ball von rechts hinten über links vorne in den Strafraum gepasst, bis dort mit dem 21. Ballkontakt des Angriffs das Tor erfolgte. Bei der 25 Sekunden langen Kombination entstand die Assoziation zum spanischen Nationalteam, das in seiner Hochzeit zwischen 2008 und 2012 ihre Konkurrenten auf diese Weise beim Gewinn der Welt- und zweimal der Europameisterschaft ins Leere laufen ließ. Nun waren es die Spanier selbst, die den Engländern nicht hinterherkamen - aber vermutlich war ihnen das gar nicht mal so unrecht.

Nach dem Achtelfinal-Aus bei der WM, der dritten frühen Demission bei einem Turnier nacheinander, möchte sich Spanien von dem selbst auferlegten Ansatz befreien, einzig Tore gutzuheißen, für die sich wegen ihrer Genialität ebenso die ganze Welt interessiert. Im Duell mit Russland stellte die Auswahl im Sommer einen Passrekord auf, das Aus im Elfmeterschießen konnte die Statistik jedoch nicht verhindern. Für die Evolution der einst stilprägenden Idee des Ballbesitzfußballs hat der spanische Verband als Nachfolger des zwei Tage vor der WM geschassten Julen Lopetegui und des darauf eingesprungenen Fernando Hiero den zuletzt beim FC Barcelona tätigenden Luis Enrique verpflichtet.

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Dabei überzeugte die Referenz von Enrique, 48, in seinen drei Jahren bis Juni 2017 als vierter Trainer nach dem Weggang des ruhmreichen Pep Guardiola die Katalanen wieder zur europäischen Spitze weiterentwickelt zu haben. Ohne die Identität des Vereins dafür zu gefährden. Spanien möchte weiterhin spielen, wie Spanien schon immer gespielt hat, nur eben mit ein paar Anpassungen an die derzeit führenden Nationen. Exemplarisch gelang das schon im ersten Spiel von Enrique als Nationaltrainer zum Auftakt der Nations League.

Die Spanier erzielten beim 2:1 gegen England, dem erst zweiten Erfolg auf der Insel nach 1981, ihre Tore auf englische Art in spanischer Ausprägung. Bei der Entstehung des ersten Treffers bedienten sich die Iberer eines Flankenlaufs, den Saul Niguez (Atletico Madrid) im Strafraum verwertete (13.). Die Vorlage lieferte der in Rio de Janeiro geborene Rodrigo Moreno (FC Valencia), der bei seinem Siegtor einen Freistoß ablenkte (32.). Anders als England, das sich über die erfolgreiche Ausführung von Standards und seitlichen Hereingaben vorwiegend auf den vierten WM-Rang geköpft hat, erfolgten die Abnahmen der Spanier - passend zur Fußballanschauung - mit dem Fuß. Bei Niguez war es ein Flachschuss, volley drückte Rodrigo den Ball über die Torlinie. Ein besserer Start sei fast unmöglich, schrieb Marca, für Mundo Deportivo war es ein "historischer Abend", weil niemand im Wembley gegen England nach Rückstand gewinnen konnte.

Den meisten Applaus spendete Enrique, der an der Seitenlinie kaum stillhalten konnte, seinem Team nach Ballgewinnen in der Defensive. Das Bemühen, sich nach abgeschlossenen Angriffen wieder umgehend und geordnet nach hinten zu begeben, war den Spielern anzumerken. "Wir haben den Sieg verdient. Ich bin glücklich mit der Einstellung der Spieler", sagte Enrique. In seiner ersten Trainingswoche ging er auf Distanz zum Team. Neben der Benutzung des Telefons beim Mittagessen untersagte er den Profis das Zocken von Videospielen am Abend. Der Wandel bei der Furia Roja, der roten Furie, ging auch am Personal nicht spurlos vorbei. Zu den Rücktritten von Andres Iniesta, David Silva und Gerard Pique aus der Nationalmannschaft hatte Enrique weitere sechs Spieler aus dem vergangenen Aufgebot außen vorgelassen. Darunter Jordi Alba, 29, der die Position des Linksverteidigers über sieben Jahre ausgeführt hatte. Anstelle des quirligen Alba verhalf Marcos Alonso vom FC Chelsea neben Kapitän Sergio Ramos den Spaniern mit seiner Größe (1,88 Meter) zu größerer Widerstandsfähigkeit.

Für England stellt das Resultat die erste Pflichtspielniederlage im Wembley dar seit dem 2:3 gegen Kroatien vor elf Jahren. Nach dem sehenswerten Spielzug zur Führung durch Marcus Rashford (11.) konnten die Three Lions nach Abpfiff den Gefühlszustand der Spanier zuletzt nachempfinden, wenn sich Eleganz nicht im Ergebnis auswirkt. In seiner mittlerweile zweijährigen Amtszeit wartet Nationalcoach Gareth Southgate weiter auf einen Sieg gegen eines der besten 20 Länder der Weltrangliste. Die fehlende Cleverness geriet allerdings zur Nebensächlichkeit angesichts der Kopfverletzung bei Luke Shaw. Der englische Linksaußen verdrehte sich beim Aufprall auf den Boden nach einem Zusammenstoß den Kopf. "Ich bin ein Kämpfer und werde schon bald zurück sein", gab Shaw auf Twitter Entwarnung. Aus Mitgefühl verzichteten die Beteiligten auf eine Einspielung der Szene. Stattdessen lief sein feines Zuspiel zum Führungstreffer auf der Videowand des Stadions.

© SZ vom 10.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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