Belgiens Nationaltrainer Martínez:Kandidat in Barcelona

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Ein Mann mit Optionen: Roberto Martínez. (Foto: Maksim Bogodvid/SNA/imago)

Seit fünf Jahren trainiert Roberto Martínez sehr erfolgreich die Goldene Generation der Belgier. In der Nations League könnte er endlich einen Titel gewinnen, doch nun stellt sich die Frage: Zieht es den gebürtigen Katalanen in seine Heimat?

Von Javier Cáceres, Mailand

Roberto Martínez ist ein Mann, der sich nicht aus der Ruhe bringen lässt. Auch jetzt nicht, da sie seit Wochen an ihm zerren, dazu hinreißen wollen, endlich zuzugeben, dass er Trainer beim FC Barcelona werden will. Dass er, anders gesprochen, lang genug belgischer Nationaltrainer gewesen ist. Martínez, 48, ist auch ein zugänglicher Typ. Und so vergeht kaum ein Tag, an dem der seit 2016 amtierende Coach nicht in immer neuen Worten zu verbalen Befreiungsschlägen ansetzt. Zum Beispiel diesen: "Ich wache jeden Tag als belgischer Nationaltrainer auf, und das wird so lange so bleiben, wie ich unter Vertrag stehe."

Ein Satz, der ihm alle Türen offen hält.

Es gibt Gründe dafür, dass Roberto Martínez zum Kandidatenkreis beim kriselnden FC Barcelona zählt. Dort steht Ronald Koeman, der jetzige Trainer, vor der Ablösung. Es wäre unredlich zu unterschlagen, dass zu diesen Gründen nicht nur die katalanische Herkunft von Martínez zählen würde: Er wurde in Balaguer geboren, in der Nähe der Stadt Lleida. Und noch unredlicher wäre es, seine enge Freundschaft zu Jordi Cruyff zu verschweigen, den er einst in England kennenlernte und der sogar Martínez' Trauzeuge wurde. Jordi Cruyff, Sohn der Klublegende Johan Cruyff, ist seit einigen Monaten beim FC Barcelona einer der wichtigsten sportlichen Berater von Präsident Joan Laporta. Er ist aber auch mit Koeman befreundet.

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Im Halbfinale der Nations League muss sich Europameister Italien 1:2 geschlagen geben. Eine Hälfte lang spielt das Team von Roberto Mancini in Unterzahl.

Jenseits davon aber hat Martínez selbst einiges dazu beigetragen, dass er in der katalanischen Hauptstadt als "futurible", also als Anwärter, gehandelt wird - obwohl sein präferiertes Abwehrsystem auf drei Innenverteidigern basiert, das dem jetzigen Barça-Präsidenten ein Gräuel ist. Festgelegt ist Martínez darauf freilich nicht.

Beständigen Erfolg darf man ihm auch unterstellen. Denn man mag vom Ranking des Fußballweltverbandes Fifa halten, was man will. Aber eine gewisse Aussagekraft über das Wirken des Spaniers hat es schon, dass in den vergangenen fünf Jahren kein Land länger an der Spitze dieser Tabelle war als das kleine, nur rund elf Millionen Einwohner zählende Belgien. Das liegt auch daran, dass er durchaus offensiv denkt, letztmals blieb sein Team bei der Weltmeisterschaft 2018 in Russland ohne eigenen Torerfolg. Im Halbfinale verlor man gegen den späteren Weltmeister Frankreich - am Donnerstagabend auch Gegner im Halbfinale der Nations League (20.45 Uhr/Dazn). Es ist ein Titel wie gemalt für eine kleine Nation. Die Nations League sei zwar nicht mit einer WM oder EM zu vergleichen, sagt Belgiens Mittelfeldspieler Axel Witsel von Borussia Dortmund. "Aber es geht um einen Titel, um den vier große Nationen kämpfen. Wenn wir ihn gewinnen sollten, wäre das ein krönender Erfolg für diese Mannschaft." Und damit auch für Martínez.

Während seiner Zeit in England begeisterte sich Martínez für Belgien

In einem Interview mit der spanischen Zeitung As erklärte Martínez dieser Tage, dass er in Bezug auf den belgischen Fußball eine Art Erweckungserlebnis hatte, als er in der englischen Premier League Coach beim FC Everton (2013 bis 2016) war. Er habe dort drei belgische Spieler im Kader gehabt - Marouane Fellaini, Kevin Mirallas und Romelu Lukaku -, die so unterschiedlich waren, "dass keiner auf die Idee gekommen wäre, dass sie aus dem gleichen Land stammen". Das habe Neugier geweckt: "Ich fragte mich: 'Wie kann es sein, dass ein Land mit nur elf Millionen Einwohnern so unterschiedliche Spieler mit so unterschiedlichen Fußballstilen hervorbringen kann?"

Die Antwort fand Martínez in den vielen - und guten - Nachwuchsakademien, die sich in der Ausbildung stark an den Niederlanden und Frankreich orientierten - und der Anziehungskraft Englands. Technisch gut ausgebildete Fußballer "entwickelten sich in einer Liga, die sehr physisch und auf Umschaltspiel ausgerichtet ist, weiter". Und: Belgische Spieler seien extrem anpassungsfähig, weil in Belgien drei Sprachen nebeneinander gesprochen werden. "Respekt für das andere existiert", schlussfolgerte Martínez. Nicht, dass Belgien frei von Konflikten wäre, Flamen und Walonen bekommt man nicht immer dazu, an einem Strang zu ziehen. Aber es ist kein Vergleich zu den mitunter anstrengenden Beziehungen in Martínez' Heimatland Spanien.

Romelu Lukaku, Eden Hazard und Kevin De Bruyne (vorne v. l. n. r.) warten mit der belgischen Nationalmannschaft immer noch auf einen Titel. (Foto: Bruno Fahy/Belga/imago)

Er selbst spricht längst ein ausgefeiltes Englisch, eine Folge seines ungewöhnlichen Werdegangs als Fußballer. Er wechselte vom Verein seines Heimatortes Balaguer zu Real Zaragoza, kam dort aber nur zu einem einzigen Erstligaeinsatz, wechselte wieder zurück. Mitte der 90er Jahre wechselte er als Twen in die englische Third Division zu Wigan Athletic, wo er mit zwei weiteren Spielern aus der Reserve von Real Zaragoza zu einem Publikumsliebling wurde. Die Fans schwärmen noch immer von den "three amigos". Martínez zog nach Motherwell, Walsall, Swansea und Chester City weiter - doch nachdem seine Trainerkarriere bei Swansea City ihren Ausgang genommen hatte, kehrte er zum mittlerweile in die Premier League aufgestiegenen Wigan Athletic zurück.

Sein Vertrag als belgischer Nationaltrainer endet erst nach der WM in Katar

Mit Erfolg: Er hielt Wigan nicht nur drei Mal in der Liga ("Yes, Wi-gan"), sondern holte 2013 auch noch in Wembley den FA Cup. Gegen Manchester City, das damals vom heutigen italienischen Nationalcoach Roberto Mancini trainiert wurde. Auch an der folgenden Station, dem FC Everton, hinterließ er einen guten Eindruck - ehe er 2016 nach Belgien aufbrach, um sich an die Spitze einer bislang ungekrönten, aber "Goldenen Generation" zu stellen, mit Spielern wie Witsel, Lukaku, Thibaut Courtois, Eden Hazard und natürlich Kevin De Bruyne.

"Diese Spieler haben den Standard des belgischen Fußballs definitiv erhöht", sagte Martínez dieser Tage, als er mit großem Stolz auf die vergangenen fünf Jahre zurückblickte. Vom Leistungszentrum des belgischen Verbandes schwärmte er, es sei "ein Meilenstein, die perfekte Bühne für die nächste Generation". Ein halbes Dutzend aktueller Spieler hat mehr als hundert Länderspiele absolviert: "Das zeugt von der Kontinuität", sagt Martínez. Andererseits sind 23 Debütanten jünger als 25 Jahre. "Belgiens Fußball hat eine aufregende Zukunft vor sich", sagt Martínez darum auch. Die Frage bleibt, wie lange er sie mitgestalten will. Und ob der FC Barcelona bereit ist, die Ablöse von angeblich 1,4 Millionen Euro für ihn zu zahlen. Denn sein Vertrag beim belgischen Verband endet erst nach der WM 2022.

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