Deutsche Nationalmannschaft:Fingerzeig im Streichelzoo

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Nicht nur energiereich reden, demnächst auch wieder energiereich spielen: Thomas Müller (vorne) sieht dem Neubeginn der DFB-Elf mit großem Optimismus entgegen (Foto: Markus Gilliar/GES)
  • Wenn es in diesen Tagen darum geht, was alles anders werden soll in der Nationalmannschaft, dann ist das nicht direkt ersichtlich.
  • Was Gerüchte um mannschaftsinterne Differenzen angeht, ist die Aufarbeitung der WM in der Öffentlichkeit immer noch eher zurückhaltend.
  • Taktisch scheint sich schon etwas zu tun: Thomas Müller berichtete von einer Übung in der ersten Trainingseinheit, einem "Fingerzeig".

Von Sebastian Fischer, München

Die Zukunft der deutschen Nationalmannschaft begann in einer Hotellobby. Am Montag sind die Spieler in München angekommen, wo am Donnerstag gegen Frankreich das erste Länderspiel nach dem Ausscheiden bei der Weltmeisterschaft stattfindet. Und wer am Dienstag das Mannschaftshotel zwischen Isar und Englischem Garten betrat, der konnte gar nicht anders, als einem deutschen Fußballer über den Weg zu laufen. Julian Draxler plauderte mit ein paar Gästen, Ilkay Gündogan saß am Nachbartisch, Manuel Neuer schlenderte zur Rezeption, Thomas Müller kam die Treppe herunter. In der ersten Etage, die Ellenbogen auf das Geländer gestützt, schaute sich Joachim Löw das Wimmelbild an. Er sah durchaus zufrieden aus.

Löw und Manager Oliver Bierhoff haben vor einer Woche das Scheitern bei der WM in einer fast zwei Stunden langen öffentlichen Erklärung aufgearbeitet, es ging um den zurückgetretenen Mesut Özil, es ging um die taktischen Trends im Weltfußball, die Deutschland eher ignoriert hatte. Aber es ging auch um die Bilder, die der Deutsche Fußball-Bund in diesem Sommer der Welt und insbesondere seinen Anhängern zur Verfügung gestellt hatte. Beziehungsweise - so lautete die Kritik - eher vorenthalten. Symbolisch für die Distanz stand eine blickdichte Wand vor dem Hotel im Trainingslager in Südtirol. Bierhoff hatte in seiner Aufarbeitung betont, dass die Mannschaft schon damals extra einmal mit dem Fahrrad zum Training gefahren sei, um dem Vorurteil eines entrückten Teams entgegenzuwirken. Er hatte aber auch angekündigt, dass es in Zukunft mehr öffentliche Trainingseinheiten geben werde, mehr Autogrammstunden.

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Und nun, zum Neubeginn, bewegten sich die Spieler also wie im Streichelzoo. Auch wenn um die Mittagszeit kaum Fans zugegen waren, so waren sie doch das Thema. Müller sagte: "Wir wollen ein Stück weit offener auf die Leute und auf die Fans zugehen." Neuer sagte: "Wir wollen den Fans was zurückgeben und alles daransetzen, sie zufriedenzustellen." Dieses Vorhaben soll sich auch auf dem Platz zeigen.

Wenn es in diesen Tagen darum geht, was alles anders werden soll in der Nationalmannschaft, dann ist das, mal von den Szenen in der Lobby abgesehen, nicht direkt ersichtlich. Zwar ist Özil zurückgetreten, Stürmer Mario Gomez auch, und Sami Khedira wurde vorerst nicht mehr nominiert. Neu sind in Kai Havertz, Thilo Kehrer und Nico Schulz jedoch zunächst nur drei Spieler, die den Kader ergänzen.

Natürlich, sagte Müller, seien nicht plötzlich 20 andere Spieler einfach besser.

Was Gerüchte um mannschaftsinterne Differenzen angeht, ist die Aufarbeitung des Turniers in der Öffentlichkeit immer noch eher zurückhaltend. Als Kapitän Neuer auf einen Artikel im Spiegel angesprochen wurde, in dem es um eine Spaltung in der Mannschaft ging, um zwei Gruppen, die sich "Kanaken" und "Kartoffeln" nennen, selbstironisch (und nicht ganz trennscharf) für Spieler mit und ohne Migrationshintergrund, da sagte er nur: Er habe den Artikel nicht gelesen. Als er nach der Rassismus-Debatte in Deutschland gefragt wurde, die nach den Vorwürfen Özils im Zuge seines Rücktritts ja auch den DFB betraf, sagte er allerdings: "Die Nationalmannschaft stand immer dafür, eine gesunde Integration zu leben." Und Müller sagte: "Ich kann absolut verneinen, dass es Risse im Team gibt." Intern, sagte er und lachte, werde das öffentlich so intensiv diskutierte Thema lockerer gesehen.

Was dagegen auch intern sehr offenkundig ein Thema ist, das ist die Taktik. In Russland hatte die Mannschaft mit Spielkontrolle allein zum Erfolg zu kommen versucht. Löw hat es seine "allergrößte Fehleinschätzung" genannt, dass er das Spiel mit hohem Ballbesitz perfektionieren wollte. Nun berichtete Müller von einer Übung in der ersten Trainingseinheit, einem "Fingerzeig": Unterzahlsituationen, in denen es um das Verteidigen des Tores ging, "mit Mann und Maus". Zwar sei es weiter die Qualität der meisten Spieler, den Ball am Fuß zu haben. Doch es gehe um Modifikationen. Ballbesitzfußball, sagte er, "wollen wir nicht so weit ausschmücken, dass wir nicht mehr erfolgreich sind".

Nicht nur Weltmeister Frankreich (laut Neuer der schönste Gegner, den es zum Auftakt geben könne), sondern auch in der Champions League erfolgreiche Mannschaften wie der FC Liverpool legen ihren taktischen Schwerpunkt längst auf Konter. Löw erhofft sich von einer flexibleren Taktik natürlich vor allem Erfolg, der im neuen Format für Länderspiele, der sogenannten Nations League, gleich notwendig ist.

Doch die neue Taktik hat auch einen Vorteil, der gut zum Neuanfang passt, der möglichst schnell die Köpfe der Zuschauer erreichen soll. Ballbesitz, sagte Müller, sehe oft "zähflüssig" aus. "Wir wollen wieder zu dem energiereichen Spiel hinkommen, das nach Powerfußball aussieht." Und dazu, gab er zu, eigne sich eher ein Spiel, das auf Momente des Umschaltens von Defensive auf Offensive ausgerichtet sei.

Geht es also für die Nationalelf gerade auch um eine Art Fußball-Populismus? So ein Spiel gegen den Weltmeister, sagte Müller, "das hat sicherlich eine gewisse Symbolik. Und der wollen wir gerecht werden."

© SZ vom 05.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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