Nationalmannschaft:Löws Loyalität hat inzwischen Grenzen

Lesezeit: 3 min

Erfolgsduo getrennt: Joachim Löw (links) verzichtet in den nächsten Spielen auf den WM-Helden Mario Götze. (Foto: dpa)
  • Für Bundestrainer Joachim Löw zählt vor der WM nur noch die Leistung der Spieler.
  • Die Nicht-Nominierung von Mario Götze und André Schürrle passt da ins Bild. Marco Reus bildet eine Ausname: Er soll wieder behutsam herangeführt werden.
  • Hier geht es zu den Ergebnissen im Fußball.

Von Philipp Selldorf, Köln

In der jüngsten Zeit hat man den Fußball-Bundestrainer an Orten gesehen, an denen man ihn nicht erwartet hatte, und es ergab sich dann anhand seines Auftretens immer wieder die Frage, ob er womöglich selbst das Gefühl hatte, am falschen Platz zu sein. Zuletzt tauchte Joachim Löw unter anderem in Paris und Istanbul, in Leverkusen, Stuttgart und Freiburg auf, und nicht immer erweckte er den Eindruck, als sei er wirklich überzeugt vom Zweck dieser Dienstreisen.

Neulich etwa bei der Begegnung von Bayer Leverkusen mit Schalke 04 (0:2) machten ihm mindestens zwei Dinge zu schaffen: Das Spiel an sich (das äußerst zäh war) sowie die bittere Kälte - und wahrscheinlich auch noch die penetrant gute Laune seines Nebenmannes, des Bundestorwartbeauftragten Andreas Köpke.

DFB
:Löw verzichtet auf Götze und Reus

Beide Dortmunder fehlen im Aufgebot für die ersten Länderspiele des Jahres gegen Spanien und Brasilien. Die Mittelstürmer Sandro Wagner und Mario Gomez sind dabei.

Aus Löws Umgebung heißt es, der 57 Jahre alte DFB-Coach habe nach der (beneidenswert) langen Winterpause "seine WM-Agenda gestartet", was bedeutet, dass er sich bei gesellschaftlichen Anlässen noch rarer macht als sonst und dafür häufiger in den Stadien präsent ist. Er sehe das als "Verpflichtung" gegenüber Arbeitgeber und Fanvolk. Dieses Vorgehen ist das Ergebnis geübter Praxis aus zwölf Dienstjahren (plus zwei weitere an der Seite von Jürgen Klinsmann), es ist auch ein Mittel, um sich selbst für den Höhepunkt des Jahres zu rüsten. Löw nähert sich der WM in Russland, indem er vornehmlich Dinge tut bzw. an sich heranlässt, die mit der WM in Russland zu tun haben.

Dass sich der Bundestrainer am Mittwoch nach Istanbul zum FC Bayern bemühte, wirkte allerdings angesichts des nur noch minimalen Wettkampffaktors der Partie etwas übermotiviert. Selbst wenn die Aussicht lockte, ein halbes Dutzend WM-Kandidaten live zu erleben. Zum Einsatz kamen dann zwar lediglich Jérôme Boateng, Mats Hummels und Thomas Müller (sowie Sandro Wagner und Niklas Süle als Einwechselspieler), aber das hat den Bundestrainer nicht davon abgehalten, dem Kader für die beiden Testländerspiele gegen Spanien und Brasilien die volle Dosis FC Bayern zu verpassen. Auch Sebastian Rudy und Joshua Kimmich gehören dem Aufgebot an, im Geiste auch der weiterhin rekonvaleszente Torwart Manuel Neuer, dem die Mannschaftsleitung alle Türen zur WM offenhält.

"Marco soll behutsam herangeführt werden"

Während also der FC Bayern einen Schwerpunkt des Kaders bildet, ist der vormals langjährige Rivale Borussia Dortmund nicht mal mehr als Minderheit vertreten. Die letzten Reste schwarz-gelber Spuren im Aufgebot hinterlassen Spieler, die früher mal dem BVB angehörten: Mats Hummels, Matthias Ginter sowie Ilkay Gündogan. Löw hat es zwar unterlassen, am Donnerstag in Salzburg die Borussia aus der Nähe zu studieren, aber kein Dortmunder Fan und schon gar nicht der Trainer-Kollege Peter Stöger werden ihm das als Versäumnis ankreiden.

Dass André Schürrle und vor allem Mario Götze keine Einladung erhalten haben, wird nach den jüngsten Vorstellungen der beiden gemeinhin für folgerichtig gehalten. Marco Reus stellt derweil einen Sonderfall dar, wie Löw in seinem Statement zur Kadernominierung betonte: "Bei Marco ist uns wichtig, dass er behutsam und ohne weiteren Druck ans oberste Level herangeführt wird und an Stabilität gewinnt. Dazu gehört in erster Linie, dass er beschwerdefrei und fit ist und über einen längeren Zeitraum regelmäßig spielt und trainiert, seinen Rhythmus findet und dadurch Sicherheit und Vertrauen bekommt."

Noch im Februar hieß es in der Sportpresse, dass Götze und Schürrle im Gefolge des genesenen Reus auf dem besten Wege zurück ins Nationalteam seien, aber nach Lage der Dinge handelte es sich da um optische Täuschungen. Eine Wiedervereinigung der beiden Produzenten des WM-Endspieltores von Rio wird es in Russland wahrscheinlich nicht geben. Löws Loyalität hat inzwischen Grenzen, die Zeiten sind vorbei, da er sich zugunsten verdienter Spieler über die selbst gesteckten Prinzipien hinwegsetzt.

"Für uns stehen Erfolg und Leistung über allem, wir wollen sehen und spüren, dass die Spieler diesen Zielen alles unterordnen und dafür alles geben. Wenn wir in Russland wieder erfolgreich sein wollen, müssen wir zuallererst wieder diesen bedingungslosen Hunger auf Erfolg haben", erklärte er jetzt - und wenn sich diese Sätze auch wie Parolen anhören mögen, so werden sie bei seinen Wegbegleitern doch als sehr klare Botschaft gedeutet: Die Nibelungentreue, die er früher Spielern wie Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski erwiesen hat, hat sich der Bundestrainer abgewöhnt.

Den vorläufigen WM-Kader wird Löw am 15. Mai benennen

Götzes Abwesenheit von der Nationalmannschaft wird am Wochenende in Verbindung mit der Kritik seines Vereinstrainers Stöger wahrscheinlich ein führendes Thema der Fußball-Talkshows sein, nüchtern betrachtet ist seine Nicht-Nominierung allerdings keine so große Sache. Die Auswahl an erstklassigen Mittelfeldspielern stellt Löw bereits vor Besetzungsprobleme, und für die vordere Offensive kommt Götze aufgrund seiner Tempodefizite kaum noch in Frage - abgesehen davon, dass sowohl auf den Flügeln als auch im Strafraum das Personal Schlange steht. Die Test-Begegnungen mit Spanien und Brasilien bieten den Kandidaten gute Gelegenheit, sich zu empfehlen. Den vorläufigen WM-Kader wird Löw am 15. Mai benennen - delikaterweise im Fußballmuseum in Dortmund.

© SZ vom 17.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

DFB-Team
:Öffentliche Sticheleien um einen WM-Platz

Welcher Stürmer darf mit zur Weltmeisterschaft nach Russland: Sandro Wagner oder Mario Gomez? Der Stuttgarter eröffnet eine Debatte - woraufhin der Bayern-Profi kontert.

Von Matthias Schmid

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: