Nationalelf vor den Länderspielen:Höwedes statt Ballack

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Joachim Löw liebt es, Fußballabende vorauszuberechnen. Diese Dienstreise aber ist anders: Löw weiß nicht mal genau, ob er die Verfassung der eigenen Spieler kennt - und nominiert gleich noch einen Neuling.

Christof Kneer

Am Donnerstag war Joachim Löw noch mal einen Tag zu Hause in Freiburg. "Ein letzter Bürotag", sagt er. Er hat ein paar Telefonate geführt, ein paar Strategien entwickelt und mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Mengen Espresso getrunken. Löw hat sich in Form gebracht für die anstehende 13-tägige Geschäftsreise, für die drei dienstlichen Fußballabende, die das WM-Jahr für ihn und sein Team beschließen.

Joachim Löw vor den Länderspielen am Ende der Saison: "Das ist der Preis, den ein Nationalspieler zahlen muss." (Foto: dpa)

Löw liebt es, am Schreibtisch dienstliche Fußballabende vorauszuberechnen, es gehört zu den Stärken seines Stabes, gegnerische Spieler bis ins hinterste Detail zu erforschen und am Ende besser zu kennen als die sich selbst. Diese Dienstreise aber ist anders. Bei dieser Dienstreise weiß Löw nicht mal genau, ob er die Verfassung der eigenen Spieler kennt.

"Es gibt keine Erfahrungswerte mit dieser Situation, sie ist auch für uns völlig neu", sagt der Bundestrainer vor den Länderspielen gegen Uruguay am Sonntag in Sinsheim (Test) sowie den EM-Qualifikations-Partien in Österreich (3.6.) und Aserbaidschan (7.6.). Die Situation ist die, dass er seine Spieler nach Bundesliga-Schluss erstmal in Urlaub schicken musste, bevor er sie an diesem Freitag in Frankfurt in Empfang nimmt.

Das frühe Liga-Ende (14.5.) und der späte Termin des Champions-League-Finales (28.5.) haben einen knapp zweiwöchigen Leerraum quer in den Terminkalender geschoben, "am Anfang wussten wir auch nicht genau, wie wir das handhaben sollten", sagt Löw. Er hat dann beschlossen, seinen Spielern zu vertrauen. Er hat sie nicht vorzeitig kaserniert, das akzeptieren Profis nur, wenn ein Turnier ansteht.

Er hat ihnen auch keine wissenschaftlich ausgetüftelten Trainingspläne mit in die freien Tage gegeben, "der Verlust an körperlicher Leistungsfähigkeit ist eher minimal", sagt er. "Jeder hat die Aufgabe bekommen, für sich selbst ein paar Einheiten zu machen, egal was: Fahrrad, Tennis, Laufen - ich kenne die Spieler und weiß, dass sie das machen."

Es zählt zu den gemäßigteren Härten des Lebens, wenn Fußballprofis einen Urlaub verschieben müssen, dennoch appelliert Löw sicherheitshalber noch mal an die Berufsehre seiner Belegschaft. "Als Nationalspieler gehört es dazu, dass man nicht nur die schönen Dinge wie ein erfolgreiches Turnier mitnimmt", mahnt der Bundestrainer, "es gibt auch einen Alltag, in dem man sich für diese Highlights erst qualifizieren muss."

Das sei "der Preis", den ein Nationalspieler zahlen müsse, meint er und geht mit großer Gewissheit davon aus, dass seine schrecklich vernünftige Spielergeneration diesen Preis trotz einiger Grummeleien über die lästige Terminlage zu zahlen bereit ist. Zumal ein Blick auf die Tabelle der Qualifikationsgruppe A lehrt, dass der Alltag bald vorbei sein könnte: zwei Siege noch in Wien und Baku, und Löws Spieler (bisher fünf Spiele, fünf Siege) können sich schon mal feierlich aufs EM-Turnier im Sommer 2012 vorbereiten.

Nationalelf: Einzelkritik
:Glücklose Perspektivspieler

Ein linker Verteidiger, der Flanken zum Gegner schlägt, ein Rechtsaußen, der fast schon zu reif agiert und ein Stürmer, der zwischen Bayern-Beinen und DFB-Beinen wechselt. Die Nationalmannschaft in der Einzelkritik.

Carsten Eberts, Mönchengladbach

Es ist eine Dienstreise mit umfassend experimentellem Charakter, weshalb sich der vernunftgesteuerte Löw mehr als sonst von seinem Gefühl leiten lässt. Er ist selbst gespannt, welche personellen Versuchsreihen ihm einfallen werden. Wie er sein zentrales defensives Mittelfeld arrangiert, das weiß er zum Beispiel selbst noch nicht. Spielen Rolfes/Khedira? Oder Träsch/Kroos? Oder Rolfes/Kroos?

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Nach Bastian Schweinsteiger (Zehenbruch) hat jetzt auch noch Sven Bender (Knie-OP) abgesagt, was angesichts der Muskel-Blessur des immerhin angereisten Sami Khedira zu einem dramatischen Sechser-Schwund geführt hat. "Bei Khedira könnte es für Wien aber noch reichen", sagt Löw, die Idee eines Duos Khedira/Rolfes gefällt ihm, "das würde gut passen", sagt er.

Es ist nicht ganz klar, ob Löw tatsächlich an Khediras pünktliche Genesung glaubt, oder ob er nur vermeiden wollte, einen weiteren Sechser nachzunominieren. Denn dann hätte er ja noch einen Mittelfeldspieler finden müssen, den er Michael Ballack vorzieht.

Die Lösung, die Löw am Donnerstag präsentierte, war dann ausgesprochen elegant: Er nominierte nach - aber einen Abwehrspieler. Der Schalker Benedikt Höwedes wird in allen drei Spielen zum Kader gehören. Dass Ballack zum Team stoßen würde, war so wahrscheinlich wie ein Bundestrainer, der nie mehr Espresso trinkt.

Inzwischen haben sie sich beim DFB auf die Formulierung geeinigt, wonach mit Ballack nach diesen drei Länderspielen "ein abschließendes Gespräch" geführt werde. Dass im Wort "abschließend" das Wort "Schluss" mitklingt, ist kein Versehen.

Nach Baku ist nicht nur Schluss mit dieser Saison; auch die Geschichte des DFB-Kapitäns Ballack dürfte dann wohl beendet sein. Im Moment beschäftigt die Lager offenbar nur noch die Frage, wie der Abschied genau geregelt wird und wer ihn wie kommuniziert.

Sehr wahrscheinlich also, dass Joachim Löw nach Abschluss seiner 13-tägigen Dienstreise doch noch ein bisschen arbeiten muss.

© SZ vom 27.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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