NBA-Profi Moritz Wagner:Es ist genau so verrückt, wie es klingt

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Moritz Wagner (rechts) von den Boston Celtics muss sich einen neuen Verein suchen. (Foto: Charles Krupa/dpa)

Der deutsche Basketballer Moritz Wagner hat in den vergangenen Wochen so viel erlebt, dass es für eine ganze Karriere reicht: drei Vereine in drei Städten, nun haben ihn auch die Boston Celtics entlassen.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Wenn alles ganz schnell geht, lohnt es manchmal, selbst ein bisschen auf die Bremse zu treten. Moritz Wagner ist also erst einmal nach Boston geflogen; die Familie war schon da, Bruder Franz ist am Wochenende gekommen. Als Collegespieler ist Franz ein aussichtsreicher Kandidat für die Draft, er will bekanntlich irgendwann da hin, wo Moritz bereits ist: in die NBA. Wobei das derzeit auch bei Moritz Wagner so eine Sache ist.

Der deutsche Centerspieler, 23, muss nun erstmal verarbeiten, was da mit ihm passiert ist in den vergangenen Wochen - so viel, dass es für eine komplette Karriere reicht. Wagner erlebte auf die harte Tour, wie die nordamerikanische Basketballliga bisweilen Monopoly mit echten Menschen spielt.

Zur Erinnerung: Vor vier Wochen war Wagner eine Figur beim Wechsel-Wahnsinn, den die NBA in jeder Saison kurz vor den Playoffs zur "Trade Deadline" veranstaltet und bei dem die Akteure kein Mitspracherecht haben. Der Berliner wurde von den Washington Wizards zu den Chicago Bulls geschickt und ein paar Stunden später weiter zu den Boston Celtics - die gaben dafür den deutschen Kollegen Daniel Theis an die Bulls ab. Am Freitag, dieses Datum ist wichtig, entließen die Celtics nun Wagner, um in ihrem Kader Platz für Jabari Parker zu schaffen - den die Sacramento Kings vor ein paar Wochen entlassen hatten. Wagner wurde also bei Monopoly auf "Los" gesetzt.

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Ja, es ist genau so verrückt, wie das nun klingt, und für Wagner ist es deshalb besonders bitter, weil er nun zwar auf der so genannten "Waiver List" von jedem anderen Verein verpflichtet werden darf und nach dieser 48-Stunden-Wartezeit zum ersten Mal in seiner Karriere frei mit Klubs verhandeln dürfte. Er ist allerdings nach dem 9. April entlassen worden, und das bedeutet: Er ist nicht spielberechtigt in den Playoffs, die am 18. Mai mit einem grotesken Mini-Turnier beginnen.

Die NBA hatte die reguläre Spielzeit wegen der Pandemie von 82 auf 72 Spiele pro Verein verkürzt, die sechs Teams mit der jeweils besten Bilanz der regionalen Conferences (Ost und West) sind direkt qualifiziert, vier weitere Teams spielen eine Art K.o.-Turnier, das so läuft: Der Sieger der Partie Sieben gegen Acht der Setzliste ist qualifiziert, der Verlierer spielt gegen den Sieger der Partie Neun gegen Zehn um den verbliebenen Platz.

"Das ist, im Nachhinein betrachtet, ein riesengroßer Blödsinn", sagt etwa Dallas-Mavericks-Eigentümer Mark Cuban, dessen Verein und damit auch Flügelspieler Maxi Kleber Stand jetzt an diesem Mini-Turnier teilnehmen müsste. "Ich kapiere das nicht", sagt Mavericks-Profi Luca Doncic: "Wir spielen 72 Partien, um uns zu qualifizieren - und dann wären wir raus, weil wir womöglich zwei Partien nacheinander verlieren." Es muss schon die Frage erlaubt sein: Macht das sportlich Sinn - oder kreiert es Drama und damit Einschaltquoten und Einnahmen in einer verkürzten Saison?

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Für Wagner bedeutet es: Ein NBA-Verein würde ihn wohl nur wegen der langfristigen Perspektive noch in dieser Saison verpflichten, quasi als Probezeit unter Echtzeit-Stress für das Dutzend Partien, das noch übrig ist in der laufenden Saison. Die Houston Rockets, die Detroit Pistons und Orlando Magic sind Kandidaten, ihm endlich die Spielzeit zu verschaffen, die gerade ein junger Akteur benötigt.

Wagner hat bei all seinen Vereinen bislang (die Los Angeles Lakers hatten ihn 2018 an 25. Stelle seines Jahrgangs verpflichtet und nach einer Spielzeit nach Washington abgegeben) jeweils Partien von Beginn an absolviert und dabei gezeigt, dass er in der Offensive eine produktive, vielseitige und mannschaftsdienliche Variante ist - in Washington spielte er 17 Minuten pro Partie und schaffte mehr als acht Punkte. Er durfte jedoch in drei Profijahren nie über einen längeren Zeitraum hinweg derart viele Minuten pro Partie spielen, dass er so was wie Rhythmus hätte finden können.

Es ist dieses Schicksal, das viele NBA-Profis teilen, die nicht in die beiden Kategorien "Star" oder "Starter" fallen: Sie werden aufs Parkett geschickt, wenn die Stars und Starter versagen (es also überhaupt nicht gut läuft) oder geschont werden sollen; bei Transfers sind sie wegen der Details in Regelwerk oftmals nur Figuren, die von Vereinen scheinbar beliebig hin und her geschoben werden. Nochmal: Im Sommer, im Alter von dann 24 Jahren, wird Wagner zum ersten Mal frei mit Vereinen verhandeln dürfen.

Für die deutsche Nationalmannschaft indes könnte die Entlassung Wagners bedeuten, dass er womöglich am Qualifikationsturnier für die Olympischen Spiele teilnimmt. Das beginnt am 29. Juni in Split, wenn in der NBA gerade die Halbfinalserien gespielt werden. Es ist deshalb eher unwahrscheinlich, dass zum Beispiel Aufbauspieler Dennis Schröder dabei sein wird, der will mit den Lakers den Titel gewinnen; auch Kleber und Theis (kämpft gerade mit den Bulls um die Playoff-Teilnahme) gelten vor allem nach dieser stressigen NBA-Saison als eher fraglich.

Moritz Wagner bleibt derzeit nichts anderes übrig, als abzuwarten und die vergangen Wochen zu verarbeiten. Statt mit den Kollegen von Los Angeles nach Oakland (die Celtics spielten erst bei den Lakers und dann bei den Golden State Warriors) zu reisen, flog er zurück nach Boston. Wenn alles ganz schnell geht, braucht es mitunter ein kräftiges Durchpusten. Per SMS schreibt er: "Wird schon alles."

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