College-Basketball:Ruhe im Chaos

College-Basketball: Auf Korb- und Titeljagd: Der Berliner Franz Wagner strebt mit seiner Mannschaft aus Michigan nach höheren Erfolgen.

Auf Korb- und Titeljagd: Der Berliner Franz Wagner strebt mit seiner Mannschaft aus Michigan nach höheren Erfolgen.

(Foto: Doug McSchooler/AP)

In den USA herrscht wieder "March Madness", der Wahnsinn im März. Mittendrin im Kampf um den College-Titel im Basketball: der Berliner Franz Wagner. Mit der University of Michigan gehört er zu den Favoriten.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Der Wahnsinn, schreibt der amerikanische Poet Robert M. Drake, befindet sich an der Schnittstelle von Chaos und einem Traum. "March Madness" nennen sie es in den USA, den "Wahnsinn im März", wenn wie gerade jetzt wieder 68 Uni-Teams im K.-o.-Modus um den College-Titel im Basketball spielen.

Diese Finalrunde ist nach dem Super Bowl im American Football die populärste Sport-Veranstaltung in den USA, der Grund für die Beliebtheit der Amateure ist simpel: Bei den Profis geht's um Geldverdienen, Marken, Image - beim College-Basketball darum, seiner Universität zu Ruhm und Ehre zu verhelfen, Kommilitonen und frühere Absolventen in Ekstase zu versetzen. Die emotionale Bindung ist groß, das sportliche Niveau hoch, etwa wie bei einer U21-EM im Fußball: Künftige Weltstars machen mit, aber auch solche Talente, die es nicht in die höchsten Ligen schaffen werden. Die sind umso engagierter, weil sie wissen, dass es der Höhepunkt ihrer sportlichen Karriere sein wird. Kurzum: Es sind zweieinhalb Wochen Wahnsinn.

Sein Bruder gibt nur einen Rat für das Turnier: "Genieße jeden Tag!"

Einer, der in diesem Chaos davon träumen darf, beim Finale am 5. April auf dem Parkett zu sein und danach möglicherweise von einem Klub aus der Profiliga NBA engagiert zu werden, ist der Flügelspieler Franz Wagner, 19, aus Berlin. Wie sein Bruder Moritz, 23, der vor drei Jahren das Finale erreichte und mittlerweile bei den Washington Wizards seine dritte NBA-Saison absolviert, spielt er für die University of Michigan in der 120 000-Einwohner-Stadt Ann Arbor, westlich von Detroit. Die Mannschaft ist in ihrem Viertel der Setzliste auf Platz eins notiert und damit Favorit, das Halbfinale zu erreichen, das sogenannte Final Four. Am Samstag geht es in der ersten Runde gegen das Team der Texas Southern, es kann dann auch schon vorbei sein: Vor drei Jahren schied das topgesetzte Team aus Virginia gleich aus. Madness eben, Wahnsinn.

"Der einzige Rat, den mir mein Bruder geben konnte: Genieße jeden Tag!", erzählt Franz Wagner am Telefon. Er hat sich vor zwei Jahren gegen eine Profikarriere beim aktuellen deutschen Doublegewinner Alba Berlin und für ein Studium in den USA entschieden, so wie sein Bruder vor ihm. Doch die Erfahrungen der beiden lassen sich schon deshalb nicht vergleichen, weil die vergangene Saison wegen der Corona-Pandemie abgebrochen wurde. In diesem Jahr wird das Turnier in einer Blase in Indianapolis ausgetragen. Die Eltern dürfen zu den Spielen in die Arenen, ansonsten jedoch keinen persönlichen Kontakt zum Filius haben.

"Ich habe gelernt, mit Widrigkeiten umzugehen", sagt Franz Wagner: "All die Sachen, auf die man eigentlich keinen Bock hat, machen dann Spaß, weil man sie überhaupt wieder tun darf - das lässt einen dankbar sein." Den Schritt in die USA habe er nicht bereut, im Gegenteil: "Im Profisport geht es dann nur noch um Basketball. An der Uni lernt man noch fürs Leben. Der Trainer ist deshalb auch eher eine Vaterfigur." Der Trainer in Michigan ist Juwan Howard, in den 1990er-Jahren Mitglied der legendären "Fab Five" der Uni, eine der besten College-Mannschaften der Geschichte. Danach spielte er 19 Jahre lang in der NBA und gewann mit Miami Heat zwei Titel, 2012 und 2013. Er kennt also den Wahnsinn im März und auch das, was auf junge Leute wie Wagner später noch zukommen kann.

Die Experten haben ihn weit oben auf dem Zettel der potenziellen NBA-Kandidaten

Franz Wagner hat in dieser Saison im Schnitt 12,9 Punkte, 6,2 Rebounds und 2,9 Korbvorlagen pro Partie geschafft, doch Howard lobt ihn vor allem wegen anderer Eigenschaften, deretwegen er als All-Around-Force gilt, als Allzweckwaffe. Dank seines erstaunlichen Spielverständnisses bewegt sich Wagner abseits des Balles intuitiv richtig, schickt Mitspieler auf ihre Positionen, verteidigt gewissenhaft - alles Dinge, die nicht auf den ersten Blick auffallen, aber mehr über Sieg und Niederlage entscheiden als ein spektakulärer Dunk, der ja auch nur zwei Punkte bringt.

Im Basketball halten die Spieler nach solchen Aktionen gerne mal die Muskeln in die Kamera. Wagner bleibt da eher gelassen. Das haben auch die NBA-Teams mitbekommen. Manche Experten führen ihn bereits auf Platz zehn in ihrer Rangliste der begehrtesten Talente in diesem Jahr. "Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich das nicht mitbekommen würde", sagt er, will sich aber erst nach dem Turnier entscheiden, ob er den Sprung zu den Profis wagen oder noch ein Jahr in Michigan spielen soll. Keine Ablenkung jetzt.

"Ich habe im vergangenen Jahr manchmal den Fokus verloren, sei es aus Frust, aber auch dadurch, dass ich zu gehypt gewesen bin", sagt Wagner; er habe bewusst daran gearbeitet, gelassener zu werden. Das könnte sich nun auszahlen. Man braucht sechs Siege nacheinander für den Titel, und die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass nicht immer die talentierteste Mannschaft gewinnt, sondern jene, die in diesem Chaos gelassen bleibt. Der große Favorit in diesem Jahr ist die Gonzaga University aus Spokane im US-Bundesstaat Washington, in 26 Partien unbesiegt. Was muss das für ein Druck sein, wenn alles außer sechs weiteren Siegen eine Enttäuschung wäre?

"Wir haben nicht diesen einen Star, den man aus dem Spiel nehmen muss. Wir sind eine verschworene Gemeinschaft, jeder kann jederzeit eine Partie prägen", sagt Franz Wagner über seine Mannschaft: "Wir verteidigen gut, wir sind mental stärker als letztes Jahr, wir spielen sehr gut zusammen. Ich glaube, dass es sehr, sehr schwer ist, gegen uns zu spielen." Er sagt das mit dieser selbstbewussten Gelassenheit, die einer hat, der sich recht wohl fühlt an der Schnittstelle zwischen Chaos und einem Traum.

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