Natürlich gab es den Messi-Moment an diesem Abend - doch war es so ein perfekter, so ein kitschiger, dass man es für eine Inszenierung hätte halten können. Selbst David Beckham, der in seinem Leben ja einiges gesehen hatte, stand mit Tränen in den Augen am Spielfeldrand und schüttelte den Kopf; später sagte er: "Mir fehlen die Worte. So was passiert nur im Traum, aber so musste es wohl sein. Was für ein Moment für diese Liga, was für ein Moment für dieses Land!" Messi selbst nannte den Moment bei seinem Debüt für US-Klub Inter Miami am Freitagabend "pure Freude".
Messi war gefoult worden, in der Nachspielzeit der Pokalpartie gegen den mexikanischen Verein Cruz Azul - oder, um es mit Goethe zu sagen: halb zog es ihn, halb sank er hin. Völlig egal, der Schiedsrichter entschied auf Freistoß in Messi-Position. 22 Meter vom Tor entfernt, halblinke Position. Messi legte sich den Ball zurecht, richtete seinen Kragen ganz bewusst in Anti-Cristiano-Ronaldo-Lage (gefaltet, nicht aufgestellt) - und dann zwirbelte er den Ball ins linke obere Eck, unhaltbar. Hat man schon so oft gesehen, und ist doch immer wieder einzigartig. 2:1 hieß es am Ende für Inter Miami, wegen des Messi-Moments. "Als ich den Ball ins Tor segeln sah, war ich einfach nur froh", sagte er danach: "Ich hoffe, dass es noch viele dieser Momente geben wird."
Die Vermarktung des Fußball-Heiligen beginnt: sofort
Müsste man das, was am Freitagabend in Florida passiert ist, als Witz beschreiben - er ginge so: Treffen sich Kim Kardashian, Serena Williams und Posh Spice in einem winzigen Fußballstadion, um die Partie des Tabellenletzten der mexikanischen Liga gegen den Klub mit der schlechtesten Bilanz der US-Liga zu sehen - beim sportlich völlig irrelevanten Leagues Cup, an dem sämtliche Mannschaften beider Ligen teilnehmen. Quasi als Zwischenspiel, bis die Frauen-WM vorbei ist - ach ja: Zeitgleich zum Messi-Debüt gewann die US-Elf ihre Auftaktpartie beim WM-Turnier in Australien und Neuseeland mit 3:0 gegen Vietnam.
Ein Pausen-Pokal also fürs Messi-Debüt. Irre, oder? Okay, immerhin wird ein Preisgeld in Höhe von 40 Millionen Dollar ausgerufen.
Natürlich waren Selbstvermarktungs-Gesamtkunstwerk Kardashian, Tennis-Star Williams, Lifestyle-Legende Beckham und andere Promis wie LeBron James oder Marc Anthony nicht wegen der Pokalpartie im Stadion, sondern wegen: Messi. Beckham hatte als Mit-Eigentümer von Inter Miami diesen Deal mit Messi eingefädelt, der wichtiger sein soll als sein eigener im Jahr 2007 von Real Madrid zu Los Angeles Galaxy.
Das Timing könnte kaum besser sein: Die großen Profiligen NFL (Football), NBA (Basketball) und NHL (Eishockey) sind in der Sommerpause, beim Baseball hat gerade die zweite Hälfte der regulären Saison begonnen. Das kollektive Interesse gehört jetzt - auch wegen der Frauen-WM, die Amerikanerinnen sollen den dritten Titel nacheinander holen - dem Fußball. Wie grandios, dass der Fußball-Heilige sofort vermarktet werden kann, sich aber erst einspielen darf, bis es dann am 20. August ernst wird beim ersten Liga-Spiel.
In der ersten Halbzeit sah Messi also zu; sie blendeten ihn alle fünf Minuten ein beim Streamingdienst Apple+, der übrigens 40 Dollar verlangt für den MLS-Messi-Pass bis zum Ende der Saison. Es wird ja intensiv debattiert derzeit über Unterschiede im Fußball - Geschwindigkeit, Intensität, Technik. Um die Debatte ein für allemal zu beenden, und auch Messi dürfte es gesehen haben: Der Unterschied ist gewaltig - zwischen Männerfußball in Europa und Männerfußball in Nordamerika.
Nach 53 Minuten kam Messi aufs Feld, gemeinsam mit Kumpel Sergio Busquets aus gemeinsamen Barça-Zeiten - und es war zunächst Busquets, der seinem Ruf gerecht wurde (Man kann ein ganzes Spiel gucken, ohne Busquets zu sehen. Wer aber Busquets guckt, sieht das ganze Spiel): Er dirigierte, ordnete und er spielte einen No-Look-Zuckerpass auf Messi in der 85. Spielminute. Dessen Schuss wurde jedoch geblockt - so wie alle anderen Versuche von Messi, diesen Moment im ersten Spiel herbeizuführen, vielleicht sogar zu erzwingen, weil er freilich spürte, dass 22 000 Leute im Stadion sowie mehr als 30 000 weitere auf dem Parkplatz davor nur darauf warteten. Es musste sein, irgendwie.
Halb zog es ihn, halb sank er hin - der Rest ist Geschichte
Also: elegante Drehung und öffnender Pass (66. Minute), geblockter Schuss (71.), ein bisschen zu verspielt im Doppelpass-Zocken mit Josef Martinez (89.), Versuch, eine Ecke direkt zu verwandeln (68.) oder einen Elfmeter zu schinden (82.). Am Ende sah es aus, als würde der Debüt-Moment vielleicht ein verwandelter Elfmeter sein - das Reglement des Cups sieht bei Unentschieden eine Entscheidung vom Punkt vor - und kein Knaller wie beim ersten Spiel von Zlatan Ibrahimovic in den USA, der den Ball für LA Galaxy aus 35 Metern volley ins Netz gezimmert hatte.
Dann aber spürte Messi eine leichte Berührung an der Schulter; halb zog es ihn, halb sank er hin - der Rest wird von nun an Teil der Geschichte sein, die Messi in den kommenden Jahren in den USA schreiben wird. Er und Beckham, die sich danach innig umarmten, hätten sich keinen besseren Beginn wünschen können.