Formel-1-Team von Mercedes:Jim Ratcliffe liest die Krümel auf

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Erst Sponsor, jetzt Mitentscheider: Jim Ratcliffe, Chef des Chemiegiganten Ineos, engagiert sich im Radsport, Segeln, Fußball und nun auch in der Formel 1. (Foto: Toby Melville/Reuters)

Der britische Milliardär stellt sich in der Sportwelt immer breiter auf - und übernimmt ein Drittel des Formel-1-Teams von Mercedes. Der Konzern aus Stuttgart verliert an Einfluss, spart aber Geld.

Von Philipp Schneider, München

Einer der reichsten Menschen im Königreich Großbritannien schert sich nicht sonderlich um gesellschaftliche Konventionen. Das überrascht natürlich nicht. Zu einem Vermögen bringen es ja meist nicht diejenigen, deren Sinn nach Literatur oder Philosophie strebt und die Gutmenschentum von der Kanzel predigen. Aber dass Sir James Arthur Ratcliffe, geboren vor 68 Jahren und aufgewachsen in einer Sozialwohnung in Failsworth, Lancashire, gerne etwas unternimmt, das dem sogenannten Zeitgeist zuwiderlaufen scheint, hat er gerade erst unter Beweis gestellt. Da nämlich gab der von ihm gegründete Chemiekonzern Ineos bekannt, er werde das Daimler-Werk im lothringischen Hambach übernehmen, wo der Konzern den elektrischen Kleinwagen Smart fertigte.

Ratcliffs Idee? Er wird die im Sommer frisch renovierten Produktionsbänder nutzen, um dort ein Fahrzeug zusammenzufügen, dessen technischen Spezifikationen so zeitgemäß anmuten wie das Skelett des Tyrannosaurus Rex im Natural History Museum in London: Der robuste Geländewagen Ineos Grenadier sieht aus wie ein Panzer für Forstwirte. Er besitzt zwar keinen Kettenantrieb, dafür aber Allrad, eine maximale Zuladung von einer Tonne Gewicht sowie Benzin- und Dieselmotoren von BMW, darunter auch Sechszylinder mit drei Litern Hubraum.

Mercedes wird fortan in drei gleich große Kuchenstücke geteilt

Daimler hatte den Verkauf des Werks im Zuge seiner Restrukturierung beschlossen. Der E-Smart hatte sich nicht so verkauft wie gewünscht. Und Ratcliffe hatte offenbar erkannt, dass viele Kunden zwar in ihren Kegelrunden den ökologischen Wert von Winzigflitzern preisen, aber sich privat dann doch lieber von tonnenschwerem Blech umhüllt bewegen mögen. Er war der einzige Interessent für das Werk.

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Insofern mutet es wie die logische Intensivierung einer gerade entflammten Partnerschaft an, dass Ratcliffe mit seiner Firma, die ihm zu 60 Prozent gehört, auch noch beim Formel-1-Team von Mercedes einsteigen wird, das fortan in drei gleich große Kuchenstücke geteilt wird. Eines übernimmt Ineos. Die übrigen zwei teilen sich der Investor und Teamchef Toto Wolff, der von seinen bislang 30 Prozent um 3,3 Prozent aufstockt. Daimler wiederum reduziert seinen Anteil von bislang 60 auf 33,3 Prozent.

Der Konzern aus Stuttgart verschlankt sich und lässt Krümel fallen. Jim Ratcliffe liest sie auf und wird immer breiter. Und Toto Wolff, der schon in der vergangenen Woche im SZ-Interview kundgetan hatte, dass er Teamchef bleiben wird, baut mit dem Deal seine Machtposition aus: War er zuvor der Juniorpartner von Daimler, wähnt er sich nun auf Augenhöhe mit dem Weltkonzern.

Dessen Chef Ola Källenius hatte angekündigt, die Kosten seines Konzerns für die Formel 1 zu verringern. Bis Ende 2023 wolle er die finanziellen Belastungen durch die Formel 1 halbieren, sagte er: "Das Team wird sich verändern von einer Kostenstelle zu einer wertvollen Firma." Angesichts dieser Win-win-win-Konstellation war die Stimmung hervorragend, als Wolff, Källenius und Ratcliffe am Freitag bei einer Videoschalte ihren Deal verkündeten.

Ratcliffe, Sohn eines Schreiners, studierte in Birmingham Chemie-Ingenieurwesen und spezialisierte sich danach auf das Krümelauflesen. Ineos machte er zum fünftgrößten Chemiekonzern der Welt, indem er über die Jahre immer mehr Chemiewerke aufkaufte und sie einverleibte. Das Formel-1-Team wiederum hatte er in diesem Jahr zunächst als Sponsor unterstützt, nun darf er dort schon als einer von Dreien mitentschieden. Ob er im nächsten Schritt die Mehrheit anstrebe? "Oh no! Not at all!" Dass nun jeder Partner ein Drittel halte, entspreche einer "sehr harmonischen Beziehung", sagt Ratcliffe.

Überhaupt scheint der Investor mit einem geschätzten Vermögen von rund 11 Milliarden US-Dollar Gefallen daran zu finden, sich in der Sportwelt immer breiter aufzustellen: Er unterhält das teuerste Radsport-Team der Welt, investiert in ein Segelschiff beim Americas Cup. Dem Kenianer Eliud Kipchoge ließ er die Prater Hauptallee in Wien frisch asphaltieren, damit er dort einen Marathon unter zwei Stunden laufen konnte. Dazu Fußball: In der Schweiz übernahm er den FC Lausanne-Sport, in Frankreich den OGC Nizza. Im Vorjahr gelang es ihm ausnahmsweise mal nicht, auch noch den FC Chelsea in der Premier League zu schlucken. Aber der Gedanke hinter all diesen Investments in den Sport dürfte sein, mit seinem Konzern eine Bühne einzunehmen, auf der zur Ablenkung getanzt werden kann, wenn sich Umweltverbände mit der Chemiebranche anlegen. Das unterscheidet Ineos von Red Bull. Das Brause-Imperium von Dietrich Mateschitz benötigt Aufmerksamkeit als Grundlage für den Verkauf seiner Dosen.

Für die kommenden drei Jahre will Toto Wolff nun Teamchef bleiben. Danach wird er "vermutlich analog zu Niki Lauda früher den Leuten als Chairman oder CEO weiter auf die Nerven gehen, aktiv bleiben und Präsenz zeigen", wie er der SZ sagte. Am Samstag stand noch immer die Vertragsverlängerung von Lewis Hamilton aus, obwohl der Brite am Abend auf einer überwiegend virtuellen Gala schon seinen siebten Weltmeister-Pokal überreicht bekam. Derweil überantwortete Konkurrent Red Bull das Cockpit von Alex Albon wie erwartet an Sergio Perez. Der Mexikaner wird 2021 Teamkollege von Max Verstappen. "Es wird keine schwierige Diskussion werden. Wir wollen einander, weil wir einander brauchen", sagte Wolff auf die Frage, wann denn Hamilton seine Unterschrift unter einen Vertrag setzen werde. Man könnte ja meinen: Dafür, dass sie nur miteinander reden müssen, zieht sich die Angelegenheit inzwischen etwas.

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