Motorsport:"Da Da Da Danke!"

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"Großartiger Fahrer mit großem Herz": Die Mechaniker applaudieren Sebastian Vettel vor seinem letzten Rennen im Ferrari in Abu Dhabi. Der 33-Jährige verlässt das Team nach sechs Jahren unfreiwillig. (Foto: Steven Tee /Motorsport Images/Imago)

Trotz einer enttäuschenden Zeit bemühen sich Sebastian Vettel und die Ferrari-Führung an seinem letzten Arbeitstag um Harmonie. Über Funk singt er dann noch ein berühmtes Lied mit eigenem Text - speziell für seine Crew.

Von Anna Dreher, Abu Dhabi/München

Für seine letzten Meter in einem Ferrari hatte sich Sebastian Vettel etwas überlegt. Er lenkte seinen roten Wagen durch die Nacht von Abu Dhabi, die beleuchtete Strecke des Yas Marina Circuit war nicht mehr so stark befahren wie noch wenige Minuten zuvor während des Saisonfinales der Formel 1. Vettel musste niemanden mehr überholen oder hinter sich lassen. Er hatte Zeit für seinen letzten Funkspruch. "Danke an das gesamte Team", sagte er hörbar bewegt. "Ihr wisst, dass ich manchmal gerne singe. Deshalb habe ich gedacht: zum letzten Mal ein Lied für euch. Wartet..."

Der viermalige Formel-1-Weltmeister bog um die Kurve auf die Zielgerade. Er hatte sich die Handschuhe ausgezogen, hielt einen kleinen Zettel in der rechten Hand, senkte kurz seinen Kopf im silbern funkelnden Helm. Dann fing er an.

"Ihr seid das rote Team, ihr seid leidenschaftlich, ihr gebt niemals auf. Mein letzter Halt ist nun gekommen, es hat mir gefallen, bei euch zu sein. Eure Magie zu fühlen war ein außergewöhnliches Erlebnis." Vettel, 33, sang auf Italienisch, ein selbst geschriebenes Abschiedslied, für das er sich die Melodie eines der populärsten Schlager des Ferrari-Heimatlandes ausgesucht hatte: Azzurro von Adriano Celentano. Aus Azurblau wurde nun Rot. Vettel holte kurz Luft und setzte zur nächsten Strophe an: "Jungs, ich danke euch, mich bei euch gehabt zu haben. Ich werde euch vermissen! Ein Gruß an alle in Maranello, ihr habt es verdient, genannt zu werden."

Und es ging noch weiter, insgesamt eine Minute lang: "Jetzt sage ich auf Wiedersehen und wünsche euch allen das Beste. Ich wünsche euch, glücklich zu sein, aber vor allem, gesund zu sein. Da da da dadada! Danke!"

Den Traum eines WM-Titels konnten sich Vettel und Ferrari nicht erfüllen

Sein letzter Tag als Fahrer des erfolgreichsten und traditionsreichsten Rennstalls der Formel 1 wurde trotz der insgesamt ernüchternden Zusammenarbeit ein sehr emotionaler. Nach sechs Jahren, 118 Grand Prix, 55 Podiumsplätzen, 14 Siegen, zwölf Pole Positions und dem unerfüllten Traum eines gemeinsamen Titelgewinns ist sie nun also vorbei, die einst mit viel Liebe gestartete Liaison zwischen Vettel und der Scuderia. Während er sonst meist dann gesungen hatte, wenn er glücklich war - also immer seltener -, zeigte dieses Ständchen, wie viel es ihm bei aller Enttäuschung der letzten Monate bedeutet hat, Teil der Ferrari-Familie gewesen zu sein.

Eine versöhnliche Geste nach all der Misere. Nicht nur die Ingenieure und Mechaniker in der Box dürfte das gerührt haben. Letztere hatten ihm Spalier stehend applaudiert, als er aus der Garage gebogen war. Und nachdem Vettel seinen SF1000 später wieder geparkt hatte, verteilte er Bier. Wenigstens im Rahmen der Möglichkeiten sollte ein bisschen gefeiert werden.

Was dabei ebenso deutlich mitschwang wie die Wertschätzung für seine Boxencrew, war Vettels Erleichterung, dass für ihn 2021 bei dem dann von Racing Point in Aston Martin umbenannten Team etwas Neues beginnen wird. "Es ist nach so vielen Jahren immer schwer, und dieses Jahr und auch das heutige Rennen sprechen ja nicht für die ganze Zeit, die wir gemeinsam hatten", sagte der Heppenheimer. "Aber jetzt ist es so. Es ist zu Ende. Einerseits ist das traurig, andererseits freue ich mich auf das nächste Kapitel."

In Abu Dhabi wurde Vettel Vierzehnter, was das desaströse letzte Jahr ganz gut widerspiegelte. Zehnmal in 17 Rennen war er ohne Punkte geblieben. Einzig in Istanbul schaffte es Vettel aufs Podest. Die Saison beendete er als Dreizehnter, so schlecht wie noch nie als Stammfahrer. Seinen letzten Sieg hatte er im September 2019 in Singapur geholt. Lange her - und weit unter den Ansprüchen beider Seiten. Für Ferrari war Rang sechs in der Konstrukteurs-WM das schlechteste Ergebnis seit Platz zehn 1980. "Der letzte Tanz mit Vettel als Ferrari-Pilot war eine Qual", schrieb die Gazzetta dello Sport. Und der Corriere dello Sport befand: "Vettel verabschiedet sich als Verlierer von Ferrari. Die Wette, in Rot zu siegen, hat er auf ganzer Linie verloren."

Vettel selbst sprach von einer Achterbahnfahrt - und von einem Scheitern. Denn das große Ziel wurde verfehlt: Er wechselte 2015 als viermaliger Champion von Red Bull zu Ferrari, um wie sein Idol Michael Schumacher auch mit der Scuderia Weltmeister zu werden. 2017 und 2018 waren Pilot und Team eine starke Einheit, hinter Lewis Hamilton und Mercedes die beste im Feld. Mehr war in sechs Jahren nicht drin. Vettel hat sich redlich bemüht, diesen speziellen, bisweilen komplizierten Rennstall zu prägen und anzuführen, so wie es Schumacher gelungen war. Dass es nicht klappte, hat viele Gründe.

Beide Seiten bemühen sich, nicht im Streit auseinander zu gehen

Es gab strategische Fehlentscheidungen sowie technische Flops, der chancenlose SF1000 sticht hier besonders heraus. Dem Routinier Vettel unterliefen zahlreiche Missgeschicke - sein selbstverschuldetes Aus 2018 auf dem Hockenheimring, das ihn den Sieg und wohl auch die WM kostete, markierte dabei einen Wendepunkt. Eine Saison später hatte Vettel zudem in Charles Leclerc einen jungen, aufstrebenden Gegenspieler in den eigenen Reihen. Leclerc überzeugte auf Anhieb, er wurde schnell zum neuen Liebling und Hoffnungsträger, das erhöhte den Druck. Parallel dazu wurde Mercedes zur übermächtigen Konkurrenz.

Hinzu kamen politische Kämpfe an der Spitze des Rennstalls, die teils zu einem Machtvakuum führten. Es fehlte an Ruhe und Stabilität. Der frühere Technikchef Mattia Binotto setzte sich gegen Teamchef Maurizio Arrivabene durch. Binotto war es dann auch, der Vettel auf skurrile Weise am Telefon rausschmiss. Während der Deutsche im Frühjahr noch darauf spekulierte, einen Dreijahreskontrakt zu unterzeichnen, war längst entschieden, dass sein Cockpit ab 2021 von Carlos Sainz besetzt werden würde.

Binotto sprach nun Vettels Bilanz als Ferrari-Pilot mit den meisten Siegen nach Schumacher (72) und Niki Lauda (15) an: Vettel hinterlasse riesige Fußstapfen und werde immer Teil der Familie bleiben. Was dann doch etwas scheinheilig wirkte. Vettel wiederum sagte der Gazzetta: "Wir respektieren uns, aber zwischen uns ist nie diese Art von Liebe entstanden, die als Fundament dient." Beide Seiten bemühten sich, nicht im Streit auseinander zu gehen.

Bevor Sebastian Vettel mit dem Singen begonnen hatte, dankte ihm das Team im Funk für seine harte Arbeit. Er sei ein großartiger Fahrer, ein toller Mann mit großem Herzen. Mit Leclerc tauschte er den Helm und nahm beim Abschiedsfoto vor der Garage nach vielen Umarmungen und "Campione"-Rufen einen riesigen silbernen Pokal entgegen, auf dessen Fundament seine Siege eingraviert waren. Er werde sich erinnern "an die ganzen Gesten der Jungs, meiner Mechaniker und Ingenieure", sagte Vettel. "Es war eine andere Energie, die ich heute gespürt habe, daran werde ich mich erinnern."

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